Kommentar: Die Lage im Nahen Osten wird noch unübersichtlicher

Von detlef.drewes@rhein-zeitung.net

Das ist zwar kein Blankoscheck, den die Nato der Türkei da ausgehändigt hat. Aber Ankara hat dennoch bekommen, was es wollte: die Rückendeckung der Bündnispartner.

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Detlef Drewes 
zur Haltung der Nato zur Politik der Türkei

Das mag angesichts der Gewalteskalation im türkisch-syrischen Grenzgebiet und der oft undurchschaubaren Gemengelage zwischen Kurden und Islamisten nachvollziehbar sein. Aber das Bündnis muss wissen, dass die Türkei diesen Schulterschluss auf ihre Weise interpretieren wird. Ankara nimmt keineswegs den Islamischen Staat ins Visier, sondern die Kurden.

Den neuen Schub, den sich vor allem US-Präsident Barack Obama für den Kampf gegen die IS-Schlächter von dem Einsatz Ankaras erwartet, gibt es nicht. Die ohnehin schwierige Mehr-Fronten-Situation in der Region wird ab sofort nicht klarer, sondern noch unübersichtlicher. Und damit noch gefährlicher. Weil Washington sich mit einem Partner verbündet hat, der mit seinen Aktionen dafür verantwortlich ist, dass niemand mehr weiß, wer jetzt eigentlich Freund und wer Feind ist. Es ist zwar richtig, dass der Plan einer vom Islamischen Staat befreiten Pufferzone zwischen Syrien und der Türkei sinnvoll und ein großer Sieg über die Extremisten wäre. Doch die Gefahr, dass dieses Vorhaben im Blut aller Seiten untergeht, bleibt groß.

Ob die Nato sich aus dem Schlammassel auf Dauer heraushalten kann, ist fraglich. Für den Augenblick mag die Konzeption, nicht mit westlichen Kräften vor Ort einzugreifen, richtig sein – zumindest so lange, wie die Nachbarn Syriens und der Türkei die internationale Anti-IS-Koalition anführen. Doch wenn die vollmundig versprochenen Erfolge ausbleiben, wenn dann noch mit der Türkei ein weiterer Partner versucht, unter falschem Etikett seine politischen Ambitionen zu verwirklichen, bleibt eine Eskalation nicht mehr ausgeschlossen. Noch hält die Nato still, weil sie niemand haben will und auch keiner braucht. Doch das muss nicht so bleiben.

Darüber ist niemand froher als die Allianz selbst. Sie will ihre Kräfte in Europa halten, um hier ein Bollwerk gegen Russland auszubauen. Mehrere Konflikte an unterschiedlichen Fronten kann das Bündnis nicht schultern. Das ist eine gute Nachricht für die Regierungen der Allianz. Für die explosive Lage in der türkisch-syrischen Region dürfte das eher eine schlechte Botschaft sein. Es sind zu viele Mächte am Werk, die das eigentliche Ziel der Aktion, nämlich den Kampf gegen den IS, zugunsten eigener Interessen herunterstufen.

E-Mail: detlef.drewes@rhein-zeitung.net