Interview mit „Lindenstraße“-Macher Hans W. Geißendörfer

"Lindenstraße"-Macher Hans W. Geißendörfer
"Lindenstraße"-Macher Hans W. Geißendörfer Foto: DPA

Während „Mutter Beimer“ Marie-Luise Marjan mit den Vorbereitungen ihrer großen Geburtstagsparty alle Hände voll zu tun hatte, haben wir uns mit „Lindenstraße“-Erfinder Hans W. Geißendörfer über die Jubiliarin unterhalten – und erfahren: Die „Mutter der Nation“ ist privat ganz und gar nicht mütterlich.

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Während „Mutter Beimer“ Marie-Luise Marjan mit den Vorbereitungen ihrer großen Geburtstagsparty alle Hände voll zu tun hatte, haben wir uns mit „Lindenstraße“-Erfinder Hans W. Geißendörfer über die Jubilarin unterhalten – und erfahren: Die „Mutter der Nation“ ist privat ganz und gar nicht mütterlich.

Marie-Luise Marjan wird 70. Aus der „Mutter der Nation“ wird die „Großmutter der Nation“ – oder, Herr Geißendörfer? Ist Frau Marjan wie 70?

Marie-Luise Marjan füttert
Marie-Luise Marjan füttert „Lindenstraße“-Erfinder Hans W. Geißendörfer zum zehnjährigen Jubiläum der Serie mit Torte.
Foto: DPA

Wie ist man denn mit 70? Sie ist weiterhin ungeheuer belastbar, pünktlich und textsicher. Sie hat als Profi eingesehen, dass sie ein Hörgerät tragen muss, um den Proben- und Drehablauf nicht zu stören. Wir haben ihr das Gerät auch als Mutter Beimer gegeben. Und das Schönste mit 70: Sie ist ungeheuer erfahren und hört trotzdem noch auf die Regie, die Kollegen und manchmal auch noch auf mich.

Helga Beimer sollte ja eigentlich eine Bayerin sein. Die haben sie Rolle vor fast 25 Jahren extra für Marie-Luise Marjan umgeschrieben, aus Mutter Beimer eine Zugezogene aus dem Ruhrpott gemacht. Warum?

Weil Marie-Luise glasklar die einzige richtige Mutter Beimer war. Als sie in meinem damaligen Münchner Büro auf mich wartete, raunten mir schon meine Mitarbeiter zu: Helga wartet im Wohnzimmer oben in deiner Wohnung auf dich. Und ich ging hoch und wusste nach 3 Sekunden: Ja, das ist sie.

Als „Mutter der Nation“ ist Helga Beimer der Inbegriff einer Familienglucke. Wie viel davon steckt in Frau Marjan?

Das muss man sehr differenziert sehen: Marie-Luise wollte nie Kinder, sie wollte Freiheit für Theater, TV und Film. Eine ehrgeizige Frau ist meistens keine Glucke. Dass sie nun die Mutterrolle in der Lindenstraße so überzeugend spielt, liegt an ihrem schauspielerischen Können. Dabei muss man natürlich beachten, dass bestimmte Eigenschaften dieser Schauspieler-Persönlichkeit von mir und den Autoren für die Figur Helga Beimer „geklaut“ wurden, dass also Eigenschaften von der fiktiven Helga Beimer eigentlich Eigenschaften der Persönlichkeit Marjan sind.

Helga Beimer ist Frau Marjans 25. Mutterrolle. Warum ist sie dafür scheinbar so prädestiniert?

Marie Luise ist vom Typ her Mutter, von ihrem Wesen her aber überhaupt nicht. Die Kinder, mit denen sie vor der Kamera arbeitet, gehen nach Drehschluss nach Hause und ihr nicht auf die Nerven. Während der Arbeitszeit kann sie sich voll auf die Kleinen und Jungen konzentrieren, sie kann sie sogar im Spiel „erziehen“, sie kann ihnen viel schenken und lässt sich viel schenken. „Kinder und Tiere stehlen Dir die Schau“, sagt ein alter Schauspieler-Spruch. Bei Marie-Luise stimmt das nicht. Sie macht sich die Kleinen zu Freunden, sie verlieben sich ineinander, treffen sich auch mal am Sonntag zum Eisessen und werden so eine harmonische Familie, die aber nur in der Fiktion funktionieren muss, nicht aber im Alltag. Ähnlich kann das auch mit den Partnern sein. Im Alltag lieben, stetig und beständig sein ist etwas ganz anderes, als vor der Kamera lieben und streiten. Die Erlebnisse vor der Kamera gehen nicht ins Herz und kommen auch nicht aus der Seele, sondern sind nur flüchtig Gast und aus einem Drehbuch und sind nach der Arbeit schnell vergessen. Sie werden aber interpretiert mit der Erfahrung aus der Wirklichkeit. Umgekehrt sind die künstlichen Welten, denen sich ein Schauspieler ausliefert, heimlich und vielleicht auch oft unterbewusst Vorbild und echte Lebenserfahrung und damit auch Quellen der Freude aber auch der Angst und der Vorurteile. Die Flucht aus der Fiktion aber ist immer möglich, die aus dem Alltag nie.

Wie kam Helga Beimers Vorliebe für Spiegeleier zustande?

Ich selbst esse gerne Spiegeleier. Und als wir die Figur Helga Beimer entwickelt haben, suchten wir nach einem typischen und immer wiederkehrenden Verhalten. Die Spiegeleier wurden so zum Antistress-Mittel, sind schnell vor laufender Kamera zu braten und sind auch in einer Szene – wenn's mal sein soll – leicht und schnell zu essen und machen nicht dick.

Hat Frau Marjan je angedeutet, keine Lust mehr auf die „Lindenstraße“ zu haben?

Nein, nie! Sie war immer zu 100 Prozent dabei und loyal, hatte sicherlich auch ab und zu mal was zu meckern. Mal mit Recht, mal unbegründet. Maul aufmachen aber ist gesund für den Betrieb und gehört bei uns zu den Ritualen des Ensembles.

Wie lange werden wir – wenn es nach Ihnen geht – Mutter Beimer noch in der Lindenstraße sehen?

Wenn es nach mir geht, bis zum hoffentlich friedlichen Tod unserer Jubilarin in wahrscheinlich genau 33 Jahren. Sie wird 103, hat mir eine Wahrsagerin mal gesagt."

Die Fragen stellte Anna Lampert