Ein Strafstoßfestival für die Ewigkeit: Deutschland besiegt Italien
Aus Bordeaux berichtet unser Redakteur Klaus Reimann
Die erste Möglichkeit, die DFB-Elf gegen Italien vom Punkt weg ins Halbfinale zu schießen, hatte Bastian Schweinsteiger versemmelt, als er seinen Strafstoß auf die Tribüne drosch. Schweinsteiger, allein zum Auftritt des mittlerweile nicht nur so aussehenden, sondern auch so spielenden Grand Seigneurs des deutschen Teams gäbe es so viel zu sagen. Doch dafür reichte die Zeit nicht – vorerst nicht. Denn Hector lief an. Schoss flach, aber nicht sonderlich platziert. Und doch flutschte der Ball unter Gianluigi Buffon hindurch ins Netz. 6:5 im Elfmeterschießen – Deutschland weiter, Italien raus.
Elfmeterschießen, diese ungeliebte Ultima Ratio, dieser untaugliche Versuch, die Siegerfrage irgendwie doch noch fair beantworten zu wollen. Aber was ist schon fair – nach 120 Minuten, in denen beide Mannschaften geackert und gekämpft hatten wie an diesem Abend in Bordeaux? Italien hatte die Niederlage nicht verdient, für die DFB-Auswahl war das Weiterkommen nicht unverdient. Weil sie mehr investiert, die besseren Chancen gehabt hatte in der Zeit, als sich das Geschehen noch vor beiden Toren abspielte.
Es war das erwartete Duell, hoch an Konzentration und Intensität, an selbst verordneter Spielkontrolle. Nicht immer hochklassig, aber nie ohne das Gefühl der Anspannung. Wer findet die Lücke im dichten Deckungsgeflecht des Gegners, wer leistet sich den einen Moment der Unaufmerksamkeit, wer nutzt diese Chance eiskalt aus? Eine Halbzeit lang war es ein Schattenboxen, weil es weder bei der deutschen, noch bei der italienischen Dreierkette ein Durchkommen gab. Joachim Löw hatte sich entschieden, aufs gleiche Defensivkonstrukt zurückzugreifen wie beim 4:1-Sieg gegen Italien im März. „Gegen zwei attackierende Stürmer ist das das einzig probate Mittel. Das war mir schon nach dem Sieg der Italiener gegen Spanien schnell klar“, begründete der Bundestrainer seinen Schritt.
Verpasste die Vorentscheidung: Bastian Schweinsteiger.
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Machte den Deckel drauf: Jonas Hector.
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Schockmoment für die DFB-Elf: Boatengs Handspiel führte zum Elfmeter und zum 1:1.
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Held im Elfmeterschießen: Manuel Neuer parierte stark.
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Erst in Halbzeit zwei lösten beide Teams die taktischen Fesseln – leicht. Die DFB-Elf übte noch mehr Druck aus, war bemüht, die länger werdenden Ruhephasen der Italiener mit höherem Tempo in den Aktionen zu beantworten. Nach dem 1:0 durch Mesut Özil lief alles auf einen deutschen Sieg hinaus, die DFB-Auswahl ließ Ball und Gegner laufen. „Aus dem Spiel heraus hätten die Italiener nie ein Tor gemacht“, bilanzierte Löw diese Phase der Partie. Der erste Turniersieg gegen Italien, er war so nah. Und nach Jerome Boatengs Handspiel im Strafraum und dem von Leonardo Bonucci verwandelten Strafstoß doch so weit weg. „Ein blödes Ding. Ich wollte die Hände weg lassen, damit ich kein Foul begehe. Und dann bekomme ich sie nicht mehr runter“, beschrieb der Innenverteidiger die Szene, die Italien moralisch wieder aufrichtete in diesem Spiel. Dennoch, über 120 Minuten hinweg hatte der Bundestrainer seine Mannen „klar feldüberlegen“ gesehen. Doch was hätte es genützt, wäre Manuel Neuer im Elfmeterschießen nicht zur Stelle gewesen? (siehe Artikel unten auf dieser Seite).
Es passte zu diesem Strafstoßfestival, dass auch im deutschen Team von den ersten fünf Schützen nur zwei trafen. Özil scheiterte erneut, beim laufstarken Thomas Müller ging just am Punkt das Benzin aus -, und Schweinsteiger lief beim Elfmeterschießen dem Erfolgserlebnis hinterher, das er schon im Spiel vergebens gesucht hatte.
So gab es auch Wasser in den Wein: Mats Hummels fehlt im Halbfinale wegen Gelbsperre. Für Sami Khedira (Adduktorenanriss) ist das Turnier gelaufen. Stürmer Mario Gomez ist angeschlagen. Und Bastian Schweinsteiger gibt mehr Rätsel auf, als er Lösungen anbietet. Aber warum sollen sich Abende wie dieser nicht wiederholen? Es muss am Donnerstag ja nicht wieder ein Elfmeterschießen sein.