„Die Kultur im Keller in Montabaur ist bekannt für die kulturelle Vielfalt im 14-tägigen Angebot. Das jüngste Ereignis ging dabei buchstäblich unter die Haut. Dafür sorgten die Protagonisten Heiner Feldhoff und Claudia Schwamberger mit einer Lesung, Eva Zöllner mit Musik und Violetta Richard mit bildnerischem Schaffen. Drei feinsinnige Positionen, die in der Erinnerung zu einer berührenden Performance im künstlerischen Dreiklang „ertönten“.

Die Darbietungen im Kulturkeller werden in aller Regel mit viel Applaus begleitet. Am vergangenen Dienstagabend war das ganz anders. Nach 80 fesselnden Minuten herrschte betretene, oder besser gesagt, bewegende Stille. Es war die düstere und eindringliche Atmosphäre der Geschichte um Pauline Leicher, die 1941 in der Gaskammer von Hadamar ermordet wurde. Es war Eva Zöllners expressionistische Musik, die mit ihrem Akkordeon eine Atmosphäre schaffte, die die Zuhörer ganz nah an die Person der Pauline heranließ. Und es war die Künstlerin Violetta Richard, die während der Lesung ein Kunstwerk entstehen ließ, um auf zurückhaltende Weise einen visuellen Zugang zu dem Schicksal der Pauline Leicher und zu der intensiven, ausdrucksstarken, emotionalen und individuellen Musik von Eva Zöllner zu schaffen. Also alles andere als Beifall heischend.
Tabuisierung und Verdrängung machen Aufarbeitung schwierig
Eva Zöllner hatte bei der Begrüßung der im wahren Wortsinn nur zwei Handvoll Zuhörern einen durchdringenden Abend versprochen, und sie ging sogar so weit, schwache Nerven davor zu warnen, dass sie auf die Schilderung von brutaler Gewalt, Zwangssterilisierung und Tötung durch Vergasung und „Entsorgung“ gefasst sein müssten. Doch auch diese Art von Kulturpflege darf vor den Mauern des historischen Gewölbes in Montabaur nicht Halt machen.
Der Westerwälder Schriftsteller Heiner Feldhoff hat trotz fehlender Quellen und Dokumente wesentliche Ereignisse aus dem 37-jährigen Leben von Pauline Leicher zusammengetragen. Ihr Schicksal steht stellvertretend für 15.000 Menschen, die 1941 bis 1945 in Hadamar umkamen. Pauline Leicher wurde 1904 in Lautzert im Westerwald geboren und war geistig behindert. Den Nazis galt sie als „unwertes“ Leben. 1941 wurde sie in der Gaskammer von Hadamar ermordet. Kaum mehr gibt es von ihr in den Annalen. Der Weg dieser Recherche macht deutlich, wie sehr Verdrängung und Tabuisierung das Gedenken an die Opfer der NS-Euthanasie bis heute erschweren.

Zu Beginn der gemeinsamen Lesung mit Claudia Schwammberger nannte Heiner Feldhoff seine Gründe, warum er das so im Dunkel liegende Schicksal der Pauline Leicher, einer Verstoßenen, in „das Himmelreich der Schrift“ erhoben habe, wie er sagte. Er wollte die Vergessene in die Öffentlichkeit rücken, um schonungslos einen Appell gegen das Vergessen zu schaffen. Die düstere Schilderung umspann Eva Zöllner mit Musik mit an die Texte angelehnten Titeln. Eines sei hier besonders hervorgehoben, die „16 Stufen“.
Diese „16 Stufen“ hinab in die Gaskammer klangen wie ein stummer und doch unendlich schriller Aufschrei bis zum ersterbenden Verhauchen. Heiner Feldhoff bewegt sich in seinem bemerkenswerten Buch von der Suche nach einer Vergessenen über die Kindheit von Pauline Leicher im Kaiserreich und die Unfruchtbarmachung bis hin zur Fahrt mit dem Bus nach Hadamar und schließlich zur „Endlösung“ in der Gaskammer. All das hat Violetta Richard in einem furchterregenden Bild visuell dargestellt.

Die bewegende Performance gegen das Vergessen lief quasi als „Generalprobe“ am Vormittag vor Schülern von zwei elften Klassen des Landesmusikgymnasiums vor „ausverkauftem Haus“ schon einmal über die Bühne. Wie Eva Zöllner gegenüber unserer Zeitung erklärte, seien die jungen Leute stark beeindruckt gewesen. Nicht zuletzt durch die unverblümte Schilderung von Verbrechen, die sich nie wieder wiederholen dürften.
Die Protagonisten werden diesen bewegenden „Dreiklang“ am Donnerstag, 26. Juni, 19.30, im Stöffel-Park in Enspel noch einmal aufführen. Der Eintritt kostet 15 Euro.