Verschärft sich der Notstand in der Corona-Krise erst recht? Wie sich Pflegeheime wappnen

Von Ursula Samary
Schutzzone Seniorenheim Foto: picture alliance/dpa

Aufnahmestopps in Seniorenheimen gibt es nicht nur in Wolfsburg, wo bereits 17 Demenzkranke in einem Heim gestorben und etwa 70 Bewohner infiziert sind. Um einen solchen Notfall zu verhindern, sind auch Heime in Rheinland-Pfalz bei Neuaufnahmen vorsichtig, zumal Schutzausrüstung fürs Personal überall fehlt und nicht zu beschaffen ist. Derzeit gibt es in Rheinland-Pfalz unter den mehr als 40.000 Bewohnern von Pflegeeinrichtungen bereits 22 bestätigte Krankheitsfälle sowie 19 bestätigte Fälle bei Mitarbeitern der stationären Pflege, berichtet das Mainzer Gesundheitsministerium auf Anfrage unserer Zeitung. Zudem sind inzwischen auch drei Todesfälle zu beklagen.

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Aber: Die meisten Senioren werden zu Hause von Angehörigen oder Kräften beispielsweise aus Osteuropa gepflegt. In welche Not geraten sie, wenn die pflegende Tochter erkrankt, die polnische Kraft aus Angst oder wegen Einreiseproblemen ausfällt? Und wer kümmert sich um Kinder, wenn Eltern ins Krankenhaus kommen, sie aber selbst nicht infiziert sind? Für diese Notlagen hat der Krisenstab rund um Landrätin Susanne Ganster in der Südwestpfalz unbürokratische Antworten gefunden, die modellhaft werden könnten. Ein Not-Pflegeheim für Senioren gehört auch dazu. Denn die Kreisverwaltung hat in Pirmasens neue Pflegestrukturen in der Corona-Krise für Alte wie Junge geschaffen: Die katholische Bildungs- und Freizeitstätte Heilsbach, mitten in der Natur des Pfälzer Waldes im Ort Schönau gelegen, ist seit Anfang der Woche ein provisorisches Pflegeheim für Senioren mit zunächst 80 Plätzen. Die Pflege übernimmt rund um die Uhr der Arbeiter- und Samariterbund (ASB) Pirmasens.

Wie Ganster unserer Zeitung sagt, hat ihr Kreis eine hohe Altersstruktur. Deshalb habe man sich sehr früh Gedanken darüber gemacht, wo Senioren versorgt werden können, wenn die häusliche Pflege nicht mehr gesichert ist. Umgekehrt haben wegen Corona plötzlich leer stehende Bildungsstätten ihre Hilfe angeboten. Konsequenz für Ganster: Eine Expertenkommission besichtigte Objekte und prüfte, ob sie für Senioren geeignet sind oder für Jugendliche oder Kinder.

Für Senioren ist die Wahl auf „Die Heilsbach“ gefallen, denn die Gebäude sind barrierefrei, wie Ganster bestens weiß. Denn sie hat diese katholische Bildungs- und Freizeitstätte geleitet, bevor sie zunächst zur Landtagsabgeordneten (CDU) und im Oktober 2017 zur Landrätin gewählt wurde. Dort reiche die Kapazität für mindestens 140 Plätze, auch Demenzkranke könnten hier untergebracht werden. Gepflegt werden sie von 40 Kräften des ASB in Schichten. Er übernimmt auch die Transporte. Es hätten sich außerdem Freiwillige gemeldet, „die zwar keine pflegerische Ausbildung haben, aber Senioren im Rollstuhl durch den Park fahren oder einen Singkreis organisieren wollen“. Aufgenommen werden nur nicht infizierte Menschen mit dem Pflegegrad 1 bis 3. „Dies soll Pflegedienste entlasten, damit sie sich auch bei Krankheitsfällen in eigenen Reihen auf Schwerstpflegefälle konzentrieren können, die auf spezielle Pflegebetten und medizinische Geräte zu Hause angewiesen sind.“ Besucher sollen möglichst fernbleiben, die Helfer die strengen Hygienevorschriften einhalten. Diesem Landkreis fehlt es nicht an Mundschutzmasken. „Wir haben vor dem großen Engpass vorgesorgt und gehen gut organisiert an den Start“, wie Ganster versichert.

Im derzeit ebenfalls leeren Wallfahrtsort und Geistlichen Zentrum Maria Rosenberg in Waldfischbach-Burgalben finden Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 18 Jahren ein vorübergehendes Zuhause, wenn ihre Eltern im Krankenhaus behandelt werden müssen. Johanniter sind rund um die Uhr für sie da, wie Ganster berichtet. Auch für die ganz Kleinen gibt es im Kreis eine Lösung. In einer Kita von Pirmasens, die für die Notbetreuung nicht gebraucht wird, können Kinder zwischen ein und sechs Jahren rund um die Uhr aufgenommen werden. Denn dort gibt es Betten, eine Küche, viele Spielsachen und Erzieher.

Die Kostenfrage in der strukturschwachen Region schreckt die Landrätin nicht. Bei der Pflege der Senioren greife das Regelsystem der Pflegekassen je nach Stufe. Angehörige hätten ja bisher auch ausländische Pflegekräfte bezahlt. Für die Jüngsten gibt es Mittel der Jugendhilfe, auch das Budget des Landes helfe. „In dieser Lage darf Hilfe nicht am Geld scheitern“, lautet die Ansage der couragierten Landrätin in der Corona-Krise.

Die Zusammenarbeit zwischen dem Kreis sowie den Städten Pirmasens und Zweibrücken funktioniere gut. „Aber in allen Fällen gilt, dass nachweislich bedingt durch Corona eine neue Pflegehilfe gebraucht wird. Da gibt es einen ganz klaren Kriterienkatalog“, betont Ganster. Für zusätzliche Krankenhausbetten könnten noch eine Schule und die Jugendherberge hergerichtet werden. Denn die Landrätin beurteilt die Ansage von Gesundheitsministerin Bätzing-Lichtenthäler äußerst kritisch, dass Notkrankenhäuser nicht notwendig sind. Ganster ist froh über jedes Bett und will lieber drei zu viel als zu wenig haben, „damit jeder, der stationäre medizinische Hilfe braucht, sie auch erhalten kann“.

Ihre Devise in diesen Tagen lautet: „Die Ruhe bewahren und sich gut strukturieren.“ Deshalb habe ihr Kreis zwar als erster Notpflegeeinrichtungen, aber nicht die erste Fieberambulanz. Da wollte sie vorher lernen und verhindern, dass der Zulauf zu diesem Zentrum nicht zu ungeordnet wird. „Unsere eigene Hotline ist mit zehn Kräften besetzt und noch nicht zusammengebrochen. Sie ist inzwischen mit der Landeshotline vernetzt, mit einem eigenen Zugang für Hausärzte.“

In einer Telefonkonferenz hat Ganster ihr Pflegenotkonzept anderen Landräten vorgestellt. Der geschäftsführende Direktor des Landkreistages, Burkhard Müller, gibt sich beeindruckt. In der Nähe zu Frankreich sei dieser Kreis besonders alarmiert und daher einen Schritt voraus. Das Modell könne auch eines für andere Kreise sein, wenn sich die Lage verschärft, zumal nicht nur leere Jugendherbergen, sondern auch große Hotels ihre Kapazitäten anbieten würden. Personelle Reserven sieht Müller auch beim Personal von Betreuungseinrichtungen etwa für Behinderte, die jetzt geschlossen werden mussten. Dieses Personal könne nach den neuen Hilfspaketen der Bundesregierung weiterbezahlt werden, wenn es in der Corona-Krise gebraucht wird. Ursula Samary