In den Tagen nach der Germanwings-Katastrophe am 24. März 2015 stiegen viele Passagiere mit einem mulmigen Gefühl ins Flugzeug ein. Das Wissen, dass man sein Leben in den nächsten Stunden unbekannten Menschen anvertraut, war nach dem tragischen Absturz mit 150 Toten präsenter denn je. Ein Pilot der betroffenen Fluggesellschaft Germanwings fand in dieser Situation die richtigen Worte: Frank Woiton vermittelte seinen Passagieren damals mit einer einfühlsamen, persönlichen Ansprache direkt in der Kabine vor den Passagieren ein Gefühl der Sicherheit, das in dieser Zeit besonders wichtig war. Der Flugkapitän wurde damit zu einer Internetberühmtheit. Noch heute sprechen ihn Fluggäste darauf an.
Was die meisten nicht wissen: Woiton stammt ebenfalls aus Montabaur und kannte den Co-Piloten der Unglücksmaschine, Andreas Lubitz, als Kollegen. In den Tagen nach dem Absturz meldete sich der heute 58-Jährige freiwillig zum Fliegen, obwohl er eigentlich frei gehabt hätte. „Einige meiner Kollegen fühlten sich nicht flugtauglich“, erinnert sich der Pilot. Der Absturz hatte sie so mitgenommen, dass sie eine Auszeit brauchten.

„Wir wollten, dass sein Name immer wieder genannt wird“
Die Eltern des 24-jährigen Westerwälders Sebastian Stahl, der zu den Opfern der Germanwings-Katastrophe gehörte, engagieren sich seit zehn Jahren in Bereichen in der Region, die ihrem Sohn wichtig waren.
Auch für Woiton waren es schwere Tage. Das merkt man ihm sogar zehn Jahre später noch an, wenn er über die Ereignisse spricht. Aber Fliegen wollte er trotzdem. „Um die Kollegen zu entlasten“, wie er sagt. In seiner Bundeswehrdienstzeit als Marineflieger auf dem U-Bootjäger und Seefernaufklärer „Breguet Atlantic“ hatte er bereits einige Kriegseinsätze im Kosovo-Krieg hinter sich und wusste daher, dass er auch unter schwierigen Bedingungen die Ruhe bewahren kann.
Bei den Menschen in Erinnerung geblieben ist vor allem seine einfühlsame Ansprache. Woiton begrüßte in den ersten Tagen nach der Katastrophe alle Passagiere beim Betreten des Flugzeugs persönlich und erzählte anschließend am Mikrofon in der Kabine stehend, wie sehr ihn und seine Crewmitglieder der Absturz getroffen habe. „Er sagte, dass er und die anderen Besatzungsmitglieder auch Familien haben. Und dass sie alles tun wollen, um sie am Abend wieder in die Arme schließen zu können – genau wie die Passagiere“, berichtete eine Frau damals beeindruckt.
Es waren wichtige Worte in dieser Ausnahmesituation. Einige Fluggäste waren so bewegt, dass ihnen die Tränen kamen. Andere sagten, es habe sie beruhigt zu wissen, wer im Cockpit die Verantwortung trägt. „Der ganze Flieger hat applaudiert“, lobte eine Passagierin damals. Auch sie selbst sei danach mit einem guten Gefühl geflogen. „Ich wollte den Passagieren zeigen, dass auch wir ganz normale Menschen sind“, erinnert sich Woiton.

Neue Doku: Warum riss Copilot 149 Menschen mit in Tod?
Im März ist es zehn Jahre her, dass eine Germanwings-Maschine in den Alpen zerschellt. 150 Menschen sterben. Eine ARD-Doku hat recherchiert, wie es zu der Tragödie kommen konnte. Auch im Westerwald hat die Tragödie tiefe Spuren hinterlassen.
Jedes Unglück hinterlässt Spuren, so auch dieser Absturz, denn Sicherheit hat immer oberste Priorität in der Luftfahrt: Es gibt zum einen im Lufthansa-Konzern neben den jährlichen medizinischen Tauglichkeitsuntersuchungen nun auch unangekündigte, jederzeit mögliche Alkohol- und Drogentests vor dem Flug. Zum anderen legt man auch in den sogenannten EM-/CRM-Schulungen (Emergency- und Crew-Resource-Management-Schulungen) und den Simulator-Trainings großen Wert auf die zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der Besatzung. Es geht dabei vor allem um die effektive Zusammenarbeit im Cockpit und mit der gesamten Crew.
„Wir lernen, wie wir unter hohem Druck klare Entscheidungen treffen, Risiken minimieren und kritische Situationen gemeinsam bewältigen“, erklärt Woiton. „Kommunikation, Situationsbewusstsein und Teamkoordination stehen dabei im Mittelpunkt. Letztlich trägt dieses Training maßgeblich dazu bei, menschliche Fehler zu reduzieren und die Sicherheit in der Luftfahrt kontinuierlich zu verbessern.“
„Wir lernen, wie wir unter hohem Druck klare Entscheidungen treffen, Risiken minimieren und kritische Situationen gemeinsam bewältigen.“
Frank Woiton über die Ausbildung zum Piloten
Woiton fliegt mittlerweile als Lufthansa-Kapitän Langstrecke von Frankfurt aus. An seine Zeit bei Germanwings denkt er aber auch heute noch oft zurück. „Bei Germanwings gab es nach dem Absturz keine Rückkehr zur Normalität mehr“, sagt der Montabaurer. Selbst Crewmitglieder brauchten ungefähr ein halbes Jahr, bis sie wieder volles Vertrauen zu ihren Kollegen hatten, so Woiton. „Teilweise haben sich sogar langjährige Kollegen eine Weile kritisch beäugt“, ergänzt er. Das sei nach einem solchen Ereignis aber wahrscheinlich auch ganz normal. „Passagiere und Crew vertrauen den Piloten ihr Leben an.“ Das koste Überwindung, auch wenn alle wüssten, dass ein Piloten-Suizid sehr unwahrscheinlich ist.

In Erinnerungen leben die Germanwings-Opfer weiter
Bei der Germanwings-Katastrophe 2015 verloren auch drei junge Menschen aus dem Westerburger Land (Westerwaldkreis) ihr Leben. Der Pfarrer der katholischen Gemeinde dort, der alle drei Opfer angehörten, erinnert sich an die schmerzliche Zeit.
Dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, ist freilich auch dem Montabaurer Piloten klar. Auch er habe Andreas Lubitz nichts angemerkt, als er wenige Wochen vor dem Absturz mit ihm flog, erinnert sich Woiton. Er habe deshalb Verständnis dafür, dass selbst Ärzte und Psychologen ein solches Verhalten nicht immer vorhersehen können.
Zu den damaligen Kollegen bei Germanwings steht Woiton noch heute in Kontakt. „Es gibt eine Facebook-Gruppe der ehemaligen Germanwings-Mitarbeiter, in der zum Jahrestag am 24. März stets der Opfer des Fluges 4U9525 gedacht wird“, so der Pilot. „Es ist nicht vergessen, und es hat Narben hinterlassen“, sagt der Montabaurer, dessen Leidenschaft fürs Fliegen trotz allem ungebrochen ist.

Der Schmerz bleibt, viele Antworten fehlen
Am 24. März 2015 bringt Co-Pilot Andreas Lubitz den Germanwings-Flug 4U9525 in Südfrankreich zum Absturz – und reißt mit der Maschine 149 Menschen in den Tod. Eine Sky-Doku blickt nun zurück auf die tragischen Ereignisse.