Straßburg

Stabile Mehrheiten sind nach Tajanis Wahl in Gefahr: Die Arbeit im EU-Parlament dürfte schwieriger werden

Antonio Tajani ist neuer Präsident des EU-Parlaments. Das hat Folgen für dessen Arbeit.  Foto: dpa
Antonio Tajani ist neuer Präsident des EU-Parlaments. Das hat Folgen für dessen Arbeit. Foto: dpa

Nach dem erbitterten Streit über den neuen EU-Parlamentspräsidenten fehlen der Kammer nun stabile Mehrheiten. Die Große Koalition aus Sozial- und Christdemokraten sei endgültig vorbei, bekräftigte der sozialistische Fraktionschef Gianni Pittella. Er war am Vortag in einem Wahlmarathon dem konservativen EVP-Kandidaten Antonio Tajani unterlegen, der mit einfacher Mehrheit zum Nachfolger des Deutschen Martin Schulz bestimmt wurde.

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Dass die Zusammenarbeit der beiden größten Fraktionen darüber zerbrach, macht es für EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schwieriger, Projekte durch das Parlament zu bekommen. Bei der Wahl der 14 Vizepräsidenten des Parlaments kamen auch drei Deutsche in Amt und Würden: der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff, der Christdemokrat Rainer Wieland und die Sozialdemokratin Evelyne Gebhardt.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gratulierte dem neuen Parlamentspräsidenten Tajani. Dessen Wahl hatte in Italien Jubel ausgelöst, unter anderem beim ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, dessen Sprecher Tajani einst war. Im Parlament ist der 63-Jährige nicht zuletzt wegen seiner Verbindungen zu Berlusconi umstritten. Auch zu seiner Vergangenheit als EU-Kommissar gibt es kritische Fragen wegen einer möglichen Mitverantwortung für den Abgasskandal.

Für die beiden Europaabgeordneten aus Rheinland-Pfalz, Werner Langen (CDU) und Norbert Neuser (SPD), war der Ausgang der Wahl keine Überraschung. „Es war schwierig, für unseren Kandidaten Pittella eine Mehrheit zu organisieren“, sagte Neuser unserer Zeitung. Dennoch gibt er zu, „ein klein wenig“ enttäuscht zu sein – aber die Reihen hinter dem neuen Parlamentspräsidenten Tajani seien während der Wahl überraschend geschlossen gewesen. Allerdings kritisiert Neuser die Unterstützer – die in Teilen europakritische Fraktion der ECR –, mit deren Stimmen Tajani gewählt wurde: „Ich denke, die EVP muss damit zurechtkommen, dass sie jemanden als Parlamentspräsidenten durchgesetzt hat mit der Hilfe derer, die beispielsweise den Brexit betrieben haben und in Polen die nationalistische Regierung stellen.“

Mit der Niederlage der Sozialdemokraten sieht Neuser nun die Konservativen gefordert, die nun „eine verdammt große Verantwortung für Europa“ hätten. Seiner Einschätzung nach werden die beiden großen Parteien zwar bei den großen europapolitischen Fragen weiter zusammenarbeiten. Aber: „Bei uns Sozialdemokraten besteht nach der Niederlage die Tendenz, eine harte Oppositionspolitik zu betreiben.“ Tajani kündigte bereits während seines Wahlkampfs an, das Amt weniger persönlich als Martin Schulz, dafür umso präsidialer auszufüllen. Das ist keine Stärkung des Parlaments, sondern eher ein Rückschritt“, sagt Neuser.

„Sehr zufrieden“ mit dem Ausgang der Wahl ist hingegen Werner Langen. „Ich war von Anfang an der Meinung, dass Herr Tajani die richtige Wahl ist.“ Langen ist überzeugt davon, dass Tajani das Amt des Parlamentspräsidenten besser ausfüllen wird als Martin Schulz: „Herr Tajani hat gesagt, er hat die Agenda des Parlaments und keine eigene Agenda, nicht wie Schulz.“ Langen sieht darin – im Gegensatz zu Neuser – die Chance, dass das Parlament gestärkt wird.

Auch Langen hofft, dass die großen Fraktionen im Parlament weiter eng zusammenarbeiten werden. Seiner Ansicht nach liegt der Ball aber nun bei den Sozialdemokraten: „Wir haben den ersten Schritt für eine vernünftige Arbeitsmehrheit gemacht. Die Sozialdemoraten sind eingeladen, ihren Konfrontationskurs abzustellen und mit uns zusammenzuarbeiten.“

Lesen Sie hier die ausführlichen Interviews mit Norbert Neuser (SPD) und Werner Langen (CDU).

Nina Kugler/dpa