Oberfell/Straßburg

Langen (CDU) im Interview: Die Sozialdemokraten haben Vertragsbruch begangen

Werner Langen (CDU)
Werner Langen (CDU). Foto: Thomas Frey/ARCHIV

Werner Langen aus Oberfell ist seit 1994 Mitglied im Europäischen Parlament. Der CDU-Politiker freut sich im RZ-Interview über den Wahlsieg seines konservativen Kollegen Antonio Tajani.

Lesezeit: 5 Minuten
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Was sagen Sie zum Wahlausgang?
Ich habe erwartet, dass Herr Tajani spätestens im 4. Wahlgang die Abstimmung gewinnen wird. Interessant ist, dass in der Koalition aus Christdemokraten, den Liberalen und der ECR alle zu der Zusage gestanden haben, die getroffen wurde, während Herr Pittella die Grünen, Sozialisten und Kommunisten um sich versammelt hat. Und die Europagegner, wie zum Beispiel Marine Le Pen, haben ungültig abgestimmt. Herr Tajani ist also ohne Mitwirkung der rechten Abgeordneten gewählt worden, während Herrn Pittella von den Kommunisten gewählt wurde. Herr Tajani wird das Amt sehr ordentlich führen. Er hat gesagt, er hat die Agenda des Parlaments und keine eigene Agenda hat, nicht wie Schulz. Herr Tajani will Neutralität wahren und die Parlamentsbeschlüsse umsetzten.

Sind Sie zufreiden?
Ja, ich bin sehr zufrieden. Ich war von Anfang an der Meinung, dass Herr Tajani die richtige Wahl ist. Es ist zwar auch viel verhandelt worden und es wurden auch einige Kompromisse eingegangen, aber die neue Koalition wird mit der Wahl der Vizepräsidenten weiter gestärkt werden, nachdem die Sozialdemokraten die alte Koalition mit uns offensiv aufgekündigt haben.

Wie stehen Sie zu ihrem Kandidaten Antonio Tajani?
Ich kenne Antonio Tajani seit Beginn – er hat mit mir hier angefangen 1994. Er ist ein zuverlässiger, erfahrener Kollege, der vor seiner Tätigkeit im Europäischen Parlament bereits im nationalen Parlament war und in der aller ersten Regierung von Berlusconi als Pressesprecher. Danach ist er von der Regierung nominiert worden als Kommissar, er war Vizepräsident der EU-Kommission. Und er hat die nötige Erfahrung, um den Posten des Parlamentspräsidenten zielgerichtet ausfüllen zu können.

Für einige Abgeordnete ist Tajani nicht wählbar wegen seiner Nähe zu Berlusconi…
Das ist an den Haaren herbeigezogen. Heute spiel Berlusconi selbst in der italienischen Politik keine Rolle mehr. Und Tajani hat immer, in den Zeiten in denen Berlusconi noch im Amt war, vermittelnd gewirkt. Er ist zudem deutsch-freundlich – das ist für einen deutschen Abgeordneten durchaus ein Kriterium. Und er ist zuverlässig – er hat alle Dinge, die er zugesagt hat, sei es als Kommissar oder als Vizepräsident des Parlaments oder auch als Kollege, immer eingehalten. Die Kritik, die hier geäußert wird, die zielt auf Herrn Berlusconi, aber Herr Tajani wird in eine einseitige Ecke gestellt.

Welche Signalwirkung geht von der Wahl Tajanis aus – ein vermeintlicher Populist an der Spitze des Parlaments, der nun wieder präsidial regieren will, ohne persönlichen Einfluss?
Das Parlament wird gestärkt, weil die Kontrolle der Kommission wieder so wahrgenommen wird, wie es sich gehört. Herr Tajani wird seine Aufgabe besser machen als Schulz in seiner zweiten Wahlperiode, da bin ich ziemlich sicher. Nur wird Herr Tajani nicht in jedes deutsche Mikrofon beißen – wie Herr Schulz es getan hat (lacht).

Was ist Ihre Meinung über den sozialdemokratischen Gegenkandidaten, Herrn Pittella?
Pittella ist ebenfalls langjähriges Mitglied. Er war Vizepräsident in der vorletzen Legislaturperiode, das hat er ganz ordentlich gemacht. Und er wollte dann gerne Präsident werden – aber dann kam die Verlängerung von Herrn Schulz dazwischen. Das war sein Problem und deshalb kandidiert er jetzt auch: Es gibt bei den italienischen Sozialisten eine interne Regelung, dass man maximal drei Wahlperioden im gleichen Parlament kandidieren darf. Und nur weil er die Aussicht hatte, 2014 Präsident werden zu können, haben die Sozialisten ihn nochmal aufgestellt. Für Pittella war das also eine Herzensangelegenheit und deshalb muss man aus seiner persönlichen Befindlichkeit auch die Tatsache verstehen, dass die Sozialisten die Vereinbarung gebrochen haben – die Vereinbarung von 2014, als Schulz erstmals wiedergewählt wurde als Präsident. Ich kann das ganz offen für mich sagen: Ich bin mit Herrn Schulz hier ins Parlament gekommen und ich habe immer dafür plädiert, dass wir nach zweieinhalb Jahren wechseln und ich habe 2014 Herrn Schulz nur wieder gewählt, weil es eben diese Vereinbarung gab, dass es 2017 einen Wechsel gibt. Und Herr Schulz wollte jetzt eben noch länger, was ja der Vereinbarung widersprochen hat, und seine Fraktion hat sich dann anschließend nicht an die Vereinbarung gehalten, die im Übrigen auch von den Liberalen mit abgezeichnet wurde. Also ich finde diesen Vertragsbruch viel schlimmer als alle Spekulationen, wie es in Zukunft hier weitergeht. Wenn die beiden größten demokratischen Parteien nicht mehr gemeinsam gegen Radikale von links und rechts vorgehen, dann sind wir doch selber schuld.

Herr Pittella hat in seiner Rede die große Koalition aufgekündigt – wie sehen Sie das?
Herr Pittella wird – wenn die Wahlen vorbei sind – hoffentlich wieder auf die Linie der Vernunft zurückkehren.

Hinterlässt dieser Vertragsbruch „verbrannte Erde“ zwischen den Konservativen und den Sozialdemokraten?
Nein, keine „verbrannte Erde“. Es gab häufiger schon Auseinandersetzungen um Personalentscheidungen in der Vergangenheit. Und die große Koalition ist ja keine große Koalition im deutschen Sinne gewesen. Das war eher eine Verabredung über eine bestimmte Vorgehensweise. Und das fatale an der zweiten Amtszeit von Herrn Schulz waren zwei Dinge: Erstens hat das Parlament seine Aufgabe und Fähigkeit verloren, die Kommission zu kontrollieren, weil es eine Kumpanei zwischen Schulz und Juncker gab. Und zweitens hatten wir in allen Sachfragen die allergrößte Mühe, noch einen Konsens mit den Sozialdemokraten zu finden. Diese große Koalition bestand überwiegend auf dem Papier und sie ist auch nicht aktiv praktiziert worden am Ende. Insofern ändert sich nichts – wir werden auch in Zukunft bei jedem Gesetzgebungsvorhaben um Einzelheiten kämpfen müssen: Um die Zustimmung zu einem einzigen Paragraphen oder zu einer politischen Linie, quer durchs Parlament. Aber da sich seit 2014 die Zahl der Europagegner und der Radikalen von rechts und links doch deutlich erhöht hat auf über 20 Prozent aller Abgeordneten, ist es notwendig, dass die beiden größten Fraktionen unter Einbeziehung der Liberalen und der Grünen, zusammenarbeiten. Das ist die Notwendigkeit aus den Wahlergebnissen.

Obwohl die Zusammenarbeit zwischen den Sozialdemokraten und den Konservativen bisher nicht einwandfrei funktioniert hat?
Da hat einiges nicht funktioniert. Ich kann mich erinnern, dass wir in wichtigen Fragen mit den Grünen und den Liberalen besser zurecht gekommen sind als mit den Sozialdemokraten. Also insofern war diese sogenannte „große Koalition“ ein Zweckbündnis.

Wie werden die Fraktionen im Parlament dann zukünftig zusammenarbeiten?
Das entscheiden die Sozialdemokraten. Wir haben den ersten Schritt für eine vernünftige Arbeitsmehrheit gemacht. Die Sozialdemoraten sind eingeladen, ihren Konfrontationskurs abzustellen und mit uns zusammenzuarbeiten, um den Europakritikern von links und rechts die Stirn zu bieten. Das ist wichtig. Wir werden – wie in der Vergangenheit – versuchen, für Gesetzgebungsvorschläge unsere wichtigsten Kernpunkte zu verabreden und Kompromisse zu suchen mit allen Beteiligten, wenn es möglich ist. Aber selbst eine informelle Koalition zwischen den Liberalen, der EVP und der ECR hat nur knappe Mehrheiten – aber es gibt Mehrheiten.

Ist der Sieg zu Tajanis hoch erkauft – nun gibt es ja eine Koalition mit der europakritischen ECR?
Nicht nur, das sind gemischte Stimmen drin. Der überwiegende Teil ist gar nicht europakritisch. Das sind Mitglieder aus unterschiedlichen Ländern. Und Herr Tajani hat lediglich zugesagt, dass er sie fair behandeln wird, auch wenn es um den Brexit geht.

Was wünschen Sie sich noch für die restliche Legislaturperiode?
Der Wunsch ist, dass Herr Pittella zum normalen Umgang zurückkehren wird, wenn er verloren hat. Insofern sehe ich keine potenzierten Schwierigkeiten. Die Schwierigkeiten, die wir haben, die kommen von außen. Das sind einmal die anstehenden Brexit-Verhandlungen, das ist aber auch die Rolle, die Amerika möglicherweise unter Trump einnehmen wird, und das sind die ungelösten Konflikte, in denen Europa nicht immer eine glückliche Figur gemacht hat, wie bei der Migrationspolitik oder auch im Syrienkrieg. Auch in der Frage, wie reagieren wir auf die anti-demokratischen Veränderungen in der Türkei. Das sind die Fragen, die auf uns zukommen. Und natürlich nach wie vor die unterschiedliche Wirtschaftsentwicklung im Norden, Süden und im der Mitte Europas, in der Eurozone, das ist ein Dauer-Konfliktthema. Aber ich bin trotzdem optimistisch – es gibt keine Alternative zu Europa.

Das Gespräch führte Nina Kugler