Boppard/Straßburg

Neuser (SPD) im Interview: Die Herausforderungen werden größer

Norbert Neuser
Norbert Neuser Foto: SPD

Der Sozialdemokrat Norbert Neuser ist Mitglied im Europäischen Parlament. Im RZ-Interview spricht er über die Wahl des neuen Präsidenten des Europäischen Parlaments.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

Was sagen Sie zum Wahlausgang?
Das ist keine Überraschung, denn es war schwierig für unseren Kandidaten Pittella eine Mehrheit zu organisieren. Die EVP hat überraschend Unterstützung erfahren von den Liberalen. Das hatten wir so nicht erwartet. Wir dachten, dass etliche der liberalen Abgeordneten einen Gefolgsmann Berlusconis nicht wählen würden. Und auch dass die ECR Tajani unterstützt hat, ist eine etwas seltsame Konstellation, die so nur wohl bei den Präsidentenwahlen möglich war.

Sind Sie enttäuscht?
Ein klein wenig. Aber ich denke, wir hatten alle realistisch gesehen, dass Pittella zwar ein Chance hatte, aber es war klar, dass es schwierig wird gegen die EVP eine Mehrheit zu organisieren, weil die EVP geschlossen hinter Tajani gestanden hat.

Wie stehen Sie zu Gianni Pittella, dem Kandidaten ihrer Fraktion?
Ich kenne Pittella schon seit siebeneinhalb Jahren. Er war bis 2014 ein guter Vizepräsident, hat alles im Parlament gut und fair organisiert. Als er dann vor zweieinhalb Jahren in der Fraktion der Nachfolger für Schulz geworden ist, hat er einige andere Schwerpunkte gesetzt als Schulz. Die haben mir persönlich gut gepasst: Mehr die Außen- und Entwicklungspolitik zu sehen. Pittella hat einen anderen Führungsstil als Schulz, aber die haben trotzdem weiterhin eng zusammengearbeitet. Gemeinsam mit der EVP haben sie immer dafür gesorgt, dass eine breite Mehrheit im Parlament zusammen kam, um auch die Kommission in wichtigen Entscheidungen zu unterstützen. Als Präsident hätte er sicher eine andere Rolle gespielen als Martin Schulz: vielleicht mehr integrierend – Martin Schulz war sehr fokussiert auf die beiden großen Parteien und die Liberalen. Pittella hätte vielleicht eine weniger intensive Rolle gespielt, als sie Martin Schulz eingenommen hat. Schulz hat sein Präsidentenamt sehr stark genutzt, um politische Inhalte rüberzubringen, was bei einem Präsidenten eigentlich weniger erwartet wird. Da hat Tajani bei seiner Rede im Parlament sogar recht gehabt: Er will sich als Präsident hinter die Entscheidungen des Parlaments stellen. Und Schulz hat – in sehr enger Kooperation mit Junker – versucht, einen gemeinsamen Weg mit der Kommission zu finden.

Was halten Sie von dem konservativen Wahlsieger Antonio Tajani?
Ich nehme ihm das ab, was er in seiner kurzen Vorstellung gesagt hat: Dass er die Position des Parlaments vertreten will. Aber er ist vorbelastet als Kommissar, weil er eine sehr wirtschaftsfreundliche Politik gemacht hat. Und auch, weil er eng mit Berlusconi zusammen gearbeitet hat. Das wird ihm sicher auch Schwierigkeiten machen, Stimmen aus den anderen Fraktionen zu bekommen, die er braucht. Aber wenn die Liberalen ihn unterstützen, kann es eine Mehrheit geben aus EVP, ECR, Liberalen und vielleicht auch noch ein paar Rechten, die ihn mit unterstützen, sodass im Parlament eine Mitte-Rechts Koalition entstehen würde. Eine große Koalition gab es eigentlich in dem Sinne, wie wir eine große Koalition verstehen, nie. Wir haben auch immer gut mit den Liberalen oder den Grünen zusammen gearbeitet. Aber in den entscheidenden Fragen gab es eben immer eine enge Abstimmung zwischen Parlament und Kommission, durch die beiden Figuren Schulz und Junker. Das ist jetzt aufgekündigt, das heißt, es wird im Parlament künftig stärker wechselnde Mehrheiten geben. Es wird wohl keine so starke Freundschaft zwischen Tajani und Junker geben, obwohl beide aus der gleichen Parteienfamilie kommen. Aber wir müssen darüber weiter hinaus denken – denn die Herausforderungen in der EU sind verdammt groß.

Ist der Sieg zu hoch erkauft – nun gibt es ja eine Koalition mit der europakritischen ECR?
Schwierig. Ich denke, die EVP muss damit zurechtkommen, dass sie jemand als Parlamentspräsident durchgesetzt hat mit der Hilfe derer, die beispielsweise den Brexit betrieben haben und in Polen die nationalistische Regierung stellen. Ich wünsche mir, dass sich die EVP schnell wieder als pro-europäische Kraft sieht, die pro-europäische Mehrheiten organisieren kann. Und durch die aktuellen Herausforderungen werden wir das sicher auch so erleben.

Wie wird das Parlament in der verbleibenden Legislaturperiode zusammen arbeiten, jetzt wo die Große Koalition aufgekündigt wurde?
Tajanis Wahl bedeutet erst einmal eine Zurückhaltung und Enttäuschung in unserer Fraktion. Aber bei wichtigen inhaltlichen Punkten denke ich schon, dass die Pro-Europäer eng zusammen stehen werden. Beispielsweise bei der Frage, wie man mit den USA und Trump umgehen wird, wie man sich gegenüber der Türkei positionieren wird und wie gegenüber dem Brexit. Ich glaube, es gibt da große Gemeinsamkeiten, die auch zu einer großen Mehrheit im Parlament führen. Davor habe ich keine Angst. Aber die notwendigen sozialpolitischen Veränderungen einzubringen, das wird schwierig, weil bei der EVP mit ihren neuen Partnern die Sozialpolitik kaum noch Beachtung findet. Aber ein soziales Europa ist notwendiger denn je, sieht man doch, welche Probleme gerade die jungen Menschen und die ärmere Bevölkerung in den südlichen und osteuropäischen Mitgliedsländern haben.

Die große Linie wird also die Gleiche bleiben?
Ja. Die Pro-Europäer werden näher zusammen rücken, weil die Herausforderungen größer geworden sind.

Drei Konservative in den Spitzenämtern – was bedeutet das für die Sozialdemokraten?
Das ist eine Niederlage für uns, weil wir als Sozialdemokraten weniger Einfluss haben werden. Von daher haben die Konservativen aber auch eine verdammt große Verantwortung für Europa – in den nächsten Jahren müssen sie wirklich liefern. Und bei uns Sozialdemokraten besteht nach der Niederlage die Tendenz, eine harte Oppositionspolitik zu betreiben. Aber das wird sich hoffentlich im Sinne pro-europäischer Lösungen wieder einspielen.

Welche Signalwirkung geht von der Wahl Tajanis aus – ein vermeintlicher Populist an der Spitze des Parlaments, der nun wieder präsidial regieren will, ohne persönlichen Einfluss?
Es ist keine Stärkung des Parlaments, sondern eher ein Rückschritt. Die Signalwirkung ist für alle, die auf ein engeres und geeintes Europa hoffen, enttäuschend. Die Wahl Tajanis wird die Populisten in Europa eher stärken als schwächen.

Was wünschen Sie sich für die Zusammenarbeit in der restlichen Legislaturperiode?
Das wir den Fragen gegenüber – USA, Brexit, Türkei, Russland, Syrien – in einer breiten Mehrheit als Parlament geschlossen stehen. Und dass wir den Zusammenhalt noch verbessern, dort wo es notwendig ist.

Das Gespräch führte Nina Kugler