Wer dem Verbraucher etwas Gutes tut, gerät automatisch unter Verdacht. In der Welt der Konsumgesellschaft sorgen Geschenke für kritische Aufmerksamkeit. Dieses Reaktionsmuster ist gleichsam Teil der Logik. Signale dieser Art ernten Misstrauen. Als vor Kurzem eine Discount-Kette auf breiter Front Preissenkungen ankündigte, wurde umgehend nach den Hintergründen gefragt. Unaufrichtigkeit wird vorausgesetzt.
Aber kann in diesen Zusammenhängen überhaupt von Logik gesprochen werden? Wenn die Anbieter auf diesen Märkten etwas zu sagen haben, dann plakatieren sie um die Wette, eine Welt aus Gelb und Rot, schrille Farben, alles zugeklebt. Jeder will den anderen übertrumpfen. Im Radio erklingen die „Lohnt sich“ – und „Dann geh doch zu“-Slogans. Rekorde werden erneut gebrochen, Gefälligkeiten gibt es am laufenden Band, in gewöhnlichen Läden gibt es nur Sonderangebote, der Widerspruch wird zur Regel. Über allem schwebt ein Retter-Image.

Während diese rätselhaften Vorgänge die Abendnachrichten beschäftigen, sickert hier und da die Erinnerung an massive Preiserhöhungen der Vergangenheit durch. Wo also ist das Geschenk? War und ist die Teuerung ein Traum? Kaffee, Schokolade – wo ist da Entgegenkommen? Die Verbraucherzentralen beobachten seit Langem deutliche Preisschwankungen, vor allem aber eine seit 2021 deutliche Verteuerung von Produkten des täglichen Bedarfs: Brot, Säfte, Tee, Eier, Speiseöle, Käse, Obst, Gemüse, Zucker. Die Liste ist lang.
Das Konsumklima kannte seit der Corona-Pandemie eigentlich nur noch eine Richtung. In dieser Zeit wurde jede Aufhellung der Konsumlaune als Tunnel-Effekt gefeiert. Von einem solchen spricht man, wenn eine Verbesserung der äußeren Umstände Wirkung auch dort zeigt, wo die Entlastung noch gar nicht angekommen ist. Jene, die von Monat zu Monat die Berichte über die Konsumstimmung im Land formulieren müssen, hätten angesichts der historischen Tiefststände eigentlich über ein neues Basisjahr (als Bezugspunkt für neue Berechnungen) nachdenken müssen. Denn irgendwann musste es ja mal wieder besser werden, um anschließend die Kurvenfahrt wieder in eine andere Richtung lenken zu können.

Die Sorge der Menschen, etwas zu verlieren, wiegt (nicht nur aktuell) deutlich schwerer als die Hoffnung auf Gewinne. Jede (befürchtete) Rezession nährt den Zweifel an einer guten Zukunft. Die Politik befindet sich in einer Phase der Hochverantwortung und die Erwartung an sozial gerechte Verteilmodelle ist allenthalben spürbar. Konsum war immer auch ein Mittel der Teilhabe am Wohlstand einer Gesellschaft und hat darüber integriert; zugleich differenziert er, insbesondere in Krisen, da dort das Ungleichheitsempfinden noch stärker hervortritt.
Der Sparzwang und der Sparwunsch vereinen die Konsumenten. Vor Jahren schon hat man den Discountladen als den Robin Hood des kleinen Mannes bezeichnet. Darüber ließe sich angesichts der Konsequenzen der angewandten Preispolitik für andere (zum Beispiel Lieferanten) trefflich streiten. Aber es ist nun einmal die Vielfalt der Gelegenheiten, die den Konsum zunächst nicht mit Begrenzung oder Beschränkung in Verbindung bringt.
Selbst der Discount bietet Premium-Produkte, also einen Hauch von Luxus, zu vertretbaren Konditionen. Alleine die statistisch möglichen Kombinationen halten vielfältige Möglichkeiten bereit, den Einkauf anders als das Gewöhnliche erscheinen zu lassen. Ebenso hat auch dieses Marktsegment eine Vielzahl begehrter Produkte aufzuweisen, die schichtübergreifend für Freude sorgen.

So bewertet die Centerchefin die Leerstände im Forum
Das Forum am Zentralplatz von Koblenz kämpft seit Jahren mit Leerständen. Durch Werbefolien auf den Schaufenstern fallen diese oft nicht direkt auf. Nachdem Sinn sich zurückzog, verschärft sich die Lage.
Die Robin-Hood-Metapher profitiert ebenfalls von einer regelmäßigen Wiederkehr. So setzte im Jahr 2021 ein Supermarkt auf Humor in der Werbung und ließ „Sir Robin“ Pfeile auf die Konkurrenz schießen. Die Konsumwelt lachte und kritisierte zugleich die fehlerhafte Haltung von Pfeil und Bogen. Ebenfalls 2021 war es erneut Robin Hood, der vorübergehend einem alternativen Laden-Konzept den Namen gab. Die Verbindung zwischen Produzent und Konsument sollte direkter und gerechter werden. In der Welt der Automobile durfte sich ein Kleinwagen über den Vergleich mit dem Helden aus der englischen Ballade erfreuen. Die Botschaften der Werbung ignorieren die Vergangenheit und sind geschichtslose „Hier und jetzt“-Meldungen. Wer nachdenkt, denkt zu viel an mögliches zukünftiges Gutes.
Zur Geschichte des Discounts gehörten lange Zeit auch die individuelle Leugnung seiner Nützlichkeit und die Unterschätzung seiner Wirkung durch ungewohnt niedrige Preise. Bescheidenheit ist zwar auch ungleich verteilt, aber der Kaufpragmatismus, gepaart mit Bequemlichkeit, macht den Markt insgesamt bunter und mobiler, aber doch auch zunehmend einfältiger und gefräßig. Sorgsam wird die Entwicklung der Innenstädte beobachtet, deren Besuch nun einmal eng mit einem guten und attraktiven Ladensortiment korreliert.
Die Abwärtsspirale, die bereits durch die Corona-Pandemie verstärkt wurde, hält an. Kleine Fachhändler und Filialbetriebe ziehen sich zurück. Für Nachfolger erweist sich eine Schätzung des voraussichtlichen Umsatzes als zunehmend schwieriges Unterfangen. Alles ist auf Kurzfristigkeit ausgelegt. Wenn bestimmte Ziele nicht erreicht werden, steigt die Nervosität. Wo sich Räume auftun, mieten sich daher vermehrt Restseller ein: fahrende Händler mit einer etwas längeren Standmiete.
Es ist ein Kommen und Gehen, das negativ auf das gesamte Umfeld ausstrahlt. In den Städten kaschieren Schaufenster mit aufgebrachten Fotos von Geschäftsinnenräumen die dahinter sich ausbreitende Leere. Derweil werden unsere Bedürfnisse tagtäglich in Kartons oder Papiertüten verpackt und beflügeln das Streben nach neuen Logistik-Rekorden. Kein Wunder also, dass die Werbung auf Humor setzt. Bereits Ringelnatz wusste: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.“
Der Soziologe Michael Jäckel – geboren 1959 in Oberwesel (Rhein-Hunsrück-Kreis) – war von 2011 bis August 2023 Präsident der Universität Trier. Zu seinen wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkten zählen neben der Allgemeinen Soziologie insbesondere die Themenbereiche Medien- und Konsumsoziologie, Neue Kommunikationstechnologien und Arbeitsorganisation sowie die Soziologie der Zeit. Sein aktuelles Buch trägt den Titel „Konsum“. Das Werk ist im Verlag Springer erschienen (157 Seiten, 22,99 Euro).