Was Experten der Region raten
Ländlicher Raum baut nicht genug gegen Klimawandel an
Derzeit erlebt der Mittelrhein wieder eine Phase von Niedrigwasser - eine Folge der relativen Trockenheit der jüngsten Tage. Wie kann der ländliche Raum gegen die Folgen des Klimawandels anbauen, resilienter werden? Darum ging es jetzt bei einer Veranstaltung der Buga 2029.
Boris Roessler. Boris Roessler/dpa

Hitzestress, Starkregen, Leerstand: Der Klimawandel stellt das Mittelrheintal vor große Herausforderungen. Wie Bauen und Ortsentwicklung zur Lösung beitragen können, können Experten erklären. Was jetzt tun ist – oder vielmehr jetzt zu tun wäre.

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Niedrigwasser am Rhein, aufgeheizte Ortskerne, immer extremere Niederschläge: Auch am Mittelrheintal geht der Klimawandel nicht vorbei. Doch wie kann man ihm begegnen? Um diese Frage drehte sich kürzlich ein Buga-Dialog im Kuppelsaal der Festung Ehrenbreitstein. Dazu hatte die Buga gGmbH Experten eingeladen, die zeigten, wie sich unsere Lebens-, Freizeit- und Arbeitswelt nachhaltig an den Klimawandel anpassen kann.

„Tag und Ort für dieses Thema könnten nicht passender sein“, merkte Angela Kaiser-Lahme von der Generaldirektion Kulturelles Erbe RLP zur Begrüßung an. Denn die Hitzewelle hatte an dem Tag auch Koblenz erreicht, und der unbegrünte Festungsinnenhof flimmerte schon am Morgen in der sengenden Sonne. „Schon der Blick auf Koblenz, aber auch auf viele andere Städte und Gemeinden im Mittelrheintal zeigt die vielen Konfliktzonen zwischen Denkmal-, Arbeits-, Klimaschutz und anderen Interessen“, so Kaiser-Lahme. Deshalb sei es wichtig, gute Beispiele zu sammeln, „wie wir Wohnen, Freizeit und Arbeit unter den Bedingungen besser machen können“.

Worms geht mit HItzeschutzplan voran

Eines davon ist Worms, das bereits einen Hitzeschutzplan entwickelt hat und diesen umsetzt. Darüber berichtete Marcus Engelbrecht, Klimaanpassungsmanager von Worms. „Wir sehen uns einem durchschnittlichen Temperaturanstieg von 2 bis 3 Grad global gegenüber. Das bedeutet für die lokale Ebene, also unsere Städte und Gemeinden, 3 bis 4 Grad“, berichtete er von wissenschaftlichen Prognosen. „Wir erinnern uns an das Hitzejahr 2018, das gilt mittlerweile als Zeigerjahr, in 50 Jahren wird das kein Rekordsommer mehr sein, sondern Normalität.“ Deshalb müsse man einerseits den Klimaschutz, also die Senkung von Emissionen, jetzt anpacken, um den Treibhauseffekt abzumildern.

Doch der Klimaprozess sei träge, „was wir heute emittieren, hat erst Auswirkungen für 2070. Deshalb müssen wir uns andererseits den klimatischen Bedingungen anpassen“, so Engelbrecht. Das bedeute zum einen kurzfristige Maßnahmen: Was passiert, wenn die Temperatur lokal über 30 Grad steigt? Mittelfristig müsse die Bevölkerung sensibilisiert werden für die Frage: Was bedeutet der Klimawandel konkret für meine Lebenswelt? Und langfristig müssten unsere Städte und Gemeinden umgestaltet werden – ein klarer Handlungsauftrag für die Verwaltungen.

„Der alte Konflikt zwischen Auto und Baum ist allgegenwärtig.“ 
Architektur-Professor Peter Thomé von der Hochschule Koblenz 

Dass dieser Auftrag noch nicht und gerade nicht im ländlichen Raum angekommen ist, das betonte Peter Thomé, der sich an der Hochschule Koblenz mit baulichen Zukunftsstrategien ländlicher Räume beschäftigt. „Ich muss den Finger in die Wunde legen. In ganz Rheinland-Pfalz finden wir keine Best-Practice-Beispiele für Klimaanpassung im ländlichen Raum“, sagte er klipp und klar. Dabei werde die Bevölkerung weniger und älter, vor allem auf dem Land. „Wir haben hier auch das große Problem der ärztlichen Versorgung. Gerade ältere Menschen leiden zunehmend an der Hitze, finden aber keinen Arzt. Deshalb ist Klimaanpassung auch ein Thema der Daseinsvorsorge, doch die Sensibilität dafür fehlt.“

Das betrifft auch die historischen, dicht bebauten Ortskerne in unserer Region. So habe man zum Beispiel jüngst in Rhens (Kreis Mayen-Koblenz) die Ortsdurchfahrt saniert, „ich brauche Ihnen kein aktuelles Foto zu zeigen, es sieht aus wie vorher. Kein einziger Baum wurde dort gepflanzt, kein Straßenbegleitgrün, das Schatten und Kühle bringt. Der alte Konflikt zwischen Auto und Baum ist allgegenwärtig.“ 

Bei Dorferneuerungen würden die falschen Bäume gepflanzt, statt großer Schattenspender setze man viel zu häufig pflegeleichte, aber zu kleine, zu schmale Sorten. Ein weiteres Problem: der viele Leerstand, „der in den kommenden Jahren, wenn die älteren Menschen ihre Einfamilienhäuser aufgeben, nicht besser wird“, prognostiziert der Wissenschaftler, „St. Goarshausens Bevölkerung zum Beispiel ist in den vergangenen 50 Jahren um die Hälfte geschrumpft.“

Die Häuser würden nicht saniert und verfallen, irgendwann ließe die Gemeinde sie womöglich abreißen und mache schlimmstenfalls einen Parkplatz draus. Auch historische oder identitätsstiftende Gebäude wie die alte Schlosserei oder die Kirchen in der Rheingemeinde werden in naher Zukunft ihren Nutzen verlieren. „Da müssen wir uns jetzt schon Gedanken machen, wie wir damit umgehen.“ 

RLP-Touristik spürt Abkehr vom Sommerurlaub am Mittelmeer

Neben der grünen Infrastruktur müsse man auch in puncto Wasser, Boden und Energie umdenken, wie Thomé am Beispiel Litzendorf in Oberfranken zeigte. Hier hat die Gemeinde PV-Anlagen errichtet, kanalisierte Bachläufe freigelegt, Überflutungsflächen für Hochwasser geschaffen und Flächen entsiegelt – die Dorfentwicklung wurde ganz neu gedacht. In Litzendorf ging das laut Thomé vor allem durch eine aktive Bürgerschaft und einen konsequenten Gemeinderat, der zum Beispiel auch 20 Prozent der bereits ausgewiesenen Wohngebiete zurücknahm, um die Klimamaßnahmen umzusetzen – eine mutige Entscheidung. „Wir sehen: Es geht. Man muss nur auch mal über die Ortsgrenze hinaus denken. Klimawandel macht nicht am Ortsschild halt.“

Wie die Touristik dem Klimawandel Rechnung trägt, darüber berichtete Stefan Zindler von der Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH. „Wir erleben eine Abkehr vom Sommerurlaub am Mittelmeer, die deutschen Destinationen werden für die Sommerferien attraktiver. Das können wir nutzen“, berichtete Zindler. Aber man habe auch Hausaufgaben. So müsste man in unserer Region, die stark vom Wander- und Naturtourismus geprägt ist, vor allem den Zustand der Wander- und Radwege im Auge behalten, da die Wälder unter den klimatischen Veränderungen leiden.

Touristiker geben Gästen Tipps für heiße Tage

Auch will man Gäste für klimafreundliche Mobilität zum und am Urlaubsort sensibilisieren. „Außerdem unterstützen wir auch die Verschiebung der Reisezeiträume Richtung Frühjahr und Herbst und die Anpassung von Öffnungs- oder Angebotszeiten vor allem für Outdoor-Aktivitäten. Wer einmal eine Stadtführung im Hochsommer gemacht hat, weiß, warum das nötig wird.“

Zusätzlich zu Schlechtwettertipps erhalten die Gäste vermehrt Tipps für heiße Tage, zum Beispiel Empfehlungen für Schattenwege oder Ausflüge in Höhlen oder Bergstollen. „Insgesamt stellen wir die Touristik nachhaltig auf. Das bedeutet aber nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich und sozial mit Blick auf den Fachkräftemangel“, fasste Zindler zusammen. Die To-do-Liste ist also lang.

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