Am frühen Nachmittag kommen die Gäste des Weinguts Weinheimer Hof in Rümmelsheim im Landkreis Bad Kreuznach ordentlich ins Schwitzen: Sie arbeiten an der prallen Sonne im Weinberg, die Temperatur ist Richtung 30 Grad geklettert. Die Abhängigkeit vom Wetter – das ist nur eine der Erfahrungen, die die Teilnehmer an der Aktion „Hof mit Zukunft“ machen. Zwei Tage lang dürfen sie auf dem Weingut der Familie Pieroth mitanpacken.
Hinter den Aktionstagen steckt das Bündnis „Wir haben es satt!“, zu dessen Trägerorganisationen unter anderem der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland, Brot für die Welt, Greenpeace oder die Bioanbauverbände Demeter und Bioland gehören. Das Bündnis tritt für eine umweltverträglichere, ökologischere Landwirtschaft ein. Für ein paar Tage hat es landwirtschaftliche Betriebe in ganz Deutschland mit Menschen zusammengebracht, die sich für Klima-, Tier- und Umweltschutz einsetzen. Sie packen in den Betrieben mit an. Und es wird miteinander gesprochen – über die Zukunft der Landwirtschaft.
Schon morgens um 7 Uhr geht es in den Weinberg
„Wir sind aktuell dabei, die Triebe einzuheften“, sagt Christine Pieroth, die ihre Gäste bei den Arbeiten im Weinberg anleitet. Die 33-Jährige betreibt das Weingut Weinheimer Hof gemeinsam mit ihren Eltern. Mithilfe der Heftdrähte zwischen den Stickeln – den Pfählen im Weinberg – werden die Rebtriebe fixiert. „Wir geben ihnen durch den Draht Halt und Stabilität“, erklärt Pieroth. Auf der Fläche wachsen die weiße Rebsorte Bacchus sowie die rote Sorte Regent, die zu den pilzwiderstandsfähigeren Piwi-Rebsorten gehört.
Aufgebrochen ist Pieroth mit den Aktionsteilnehmern schon morgens um 7 Uhr. „Es geht ja auch darum, dass der Besuch unseren normalen Alltag mitbekommt“, sagt die Winzerin. Erste Anlaufstelle war ein Steilhang bei noch angenehmen 16 Grad. Nun, nach der Mittagspause, geht es im Flachen weiter. „Wir machen jetzt noch ein paar Stunden, dann reicht es“, meint Pieroth und lächelt unter dem Schirm ihrer Baseballkappe hervor.
„Wenn man ein bisschen durch die Reihe läuft, flattern die Schmetterlinge, es ist ganz viel Leben da.“
Christine Pieroth über ihre begrünten Weinberge
Die Winzerfamilie beherbergt für „Hof mit Zukunft“ drei Gäste: aus Stuttgart, Bonn und Wien. Warum das Weingut sich an der Aktion beteiligt? „Ich finde, man merkt ganz stark, dass immer weniger Kontakt zwischen landwirtschaftlichen Betrieben und den Verbraucherinnen und Verbrauchern da ist“, antwortet Christine Pieroth. Sie habe mitmachen wollen, um in den Austausch zu kommen und Fragen zu beantworten.
So wie etwa am Morgen die Frage aufkam, warum ihre ökologisch bewirtschaftete Fläche anders aussieht als die des konventionell wirtschaftenden Kollegen nebenan. „Wenn man ein bisschen durch die Reihe läuft, flattern die Schmetterlinge, es ist ganz viel Leben da“, sagt Pieroth mit Blick auf eigene Flächen. Die Weinberge des Weinguts seien alle natürlich begrünt, zwischen den Rebzeilen wächst eine Vielzahl an Kräutern und Pflanzen, so Pieroth. Das diene der Bodengesundheit. „Je mehr Bodenbearbeitung man macht, desto mehr kann man auch am Bodenleben zerstören.“

Das Weingut arbeite an einem gesunden Boden. „Der ist die Basis für alles“, betont Pieroth. Das mache sich auch optisch in den Weinbergen bemerkbar. „Manche empfinden das vielleicht als ein bisschen unordentlich, ich empfinde das als total lebendig, wild und schön“, sagt die 33-Jährige über das Grün zwischen den Rebzeilen. Seit 2022 hat der Familienbetrieb eine Biozertifizierung, er ist Mitglied bei Ecovin, dem Bundesverband Ökologischer Weinbau. „Die Umstellung fühlt sich richtig für mich an“, betont Pieroth. Doch jeder Betrieb habe seine eigene Philosophie und seine eigenen Beweggründe so zu arbeiten, wie er arbeitet.
Apropos arbeiten: Auch wenn Christine Pieroth und die Aktionsteilnehmer unserer Zeitung geduldig Fragen beantworten, läuft die schweißtreibende Arbeit im Weinberg natürlich weiter. Das Heften der Triebe sieht bei Franziska Fischer schon ziemlich routiniert aus – obwohl sie einräumt, nichts über Weinbau zu wissen. „Alles ist neu für mich, aber es macht mir total Spaß“, sagt sie. „Ich merke wieder, wie schön das ist, mit den Händen Dinge zu machen und direkt zu sehen, was man tut.“
„Klimaaktivisten und Bauern trennt nicht viel.“
Franziska Fischer, Teilnehmerin bei „Hof mit Zukunft„
Die 28-Jährige arbeitet für eine Energieagentur, die Kommunen um Bonn herum im Bereich Klimaschutz und Energiewende berät. Vor ihrer Berufstätigkeit hat sie sich bereits für die Klimabewegung engagiert, beispielsweise bei Fridays for Future, erzählt Fischer. „Ich finde es total spannend, sich anzuschauen, wie Klimaschutz in der Praxis aussieht, und von Leuten wie Christine zu lernen“, begründet sie ihre Teilnahme an den Aktionstagen.
Es gehe ihr darum, wie Betriebe mit den Folgen des Klimawandels umgehen – wie etwa auf neue pilzresistente Sorten zu setzen –, welchen Beitrag Landwirtschaft für den Klimaschutz leisten könne und was die Klimabewegung für die Landwirtinnen und Winzer tun könne. „Klimaaktivisten und Bauern trennt nicht viel“, betont Fischer. „Wir kämpfen für dieselbe Sache.“
Wer im Weinbau und in der Landwirtschaft arbeite, sei direkt vom Klimawandel betroffen. „Hitze, Dürre, das alles kommt bei unserer Versorgung mit Grundnahrungsmitteln als Erstes an“, sagt Fischer. Bleibe die Ernte aus, dürfe man die Landwirtinnen und Landwirte damit nicht allein lassen. „Das ist deren ganz persönliche Existenz und gleichzeitig sind das auch unsere Lebensmittel“, betont die 28-Jährige. Das müsse den Menschen wieder bewusster werden. Dabei könne eine Aktion wie „Hof mit Zukunft“ helfen.

Aus Fischers Sicht muss die Gesellschaft als Ganzes einen Weg finden, sich dem Klimawandel anzupassen. „Da ist natürlich die Politik ein Akteur, aber auch die ganzen Organisationen, die in der Landwirtschaft aktiv sind, die forschen“, meint die 28-Jährige. Das Wissen, wie man mit dem Klimawandel umgeht, müsse enger mit der Praxis zusammengebracht werden.
Ins Gespräch zu gehen, Wissen und Erfahrung auszutauschen, das hält auch Joost Herrebout für wichtig. Der 29-Jährige befindet sich beruflich im Umbruch, wie er erzählt. Aktuell arbeitet er noch als Stadt- und Raumplaner in Wien, macht Klimaanalysen für Kommunen und Regionen. Auf dem Weg hin zu einer nachhaltigeren, klimafreundlicheren Landwirtschaft sei es wichtig, Bauern und Winzer nicht nur finanziell zu unterstützen.
Nicht nur Kritik üben, sondern ins Gespräch gehen
„Was auch wichtig ist, ist persönliche Unterstützung zu erhalten“, glaubt Herrebout. „Dafür braucht man Gespräche, um diese Herausforderung zu identifizieren.“ Vielleicht lerne man so auch Aktionen und Projekte auf lokaler Ebene kennen, über die ein Wissensaustausch stattfinden könne. Gleichzeitig hält er es für wichtig, „dass sich Aktivisten ein bisschen bemühen und die alltägliche Herausforderung der Landwirte kennenlernen – und mitdenken können, wie so große Änderungen eigentlich stattfinden können“. Nur Kritik zu üben sei einfach.
Als Joost Herrebout nach Abschluss der Aktionstage mit unserer Zeitung telefoniert, zieht er eine positive Bilanz: Christine Pieroth habe eine große Leidenschaft für ihr Handwerk. Im Umgang mit dem Ökosystem, in dem sie arbeitet, sei sie sehr achtsam. „Sie achtet darauf, wie sie ihre Weinberge gestalten kann, um dem System etwas zurückzugeben“, sagt Herrebout. Sie habe etwa Obstbäume gepflanzt, um den Reben Schatten zu spenden. Herrebout wünscht sich, dass noch mehr Betriebe so nachhaltig arbeiten.

Ähnlich positiv äußert sich auch Teilnehmerin Nadja Kögel über ihre Gastgeberin: „Was ich bewundere, ist eine klare Haltung, zu sagen: Gewisse Themen sind einem wichtig, sei es Klimaschutz oder ökologischer Anbau, und ich bin bereit, da etwas hineinzugeben.“ In ihrem Alltag habe sie nicht viele Berührungspunkte mit Weinbau oder auch ökologischem Weinbau. Nach noch nicht einmal einem Tag habe sie bei der Aktion bereits wahnsinnig viel darüber gelernt. Wie viel Handwerk in einer Flasche Wein steckt, sei ihr nicht bewusst gewesen.
Sie finde es wichtig, auch mal in andere Lebenswelten einzutauchen, „weil ich in letzter Zeit das Gefühl habe, dass man immer so sehr in seiner Bubble unterwegs ist“, sagt die 36-jährige Kulturmanagerin aus Stuttgart. Sie nehme sich derzeit bewusst ein Dreivierteljahr Zeit, „um mich in neuen Umfeldern, an neuen Orten und in neuen Kontexten auszuprobieren“. Durch die Aktion fühle sie sich nun mehr sensibilisiert, darauf zu achten, woher Lebensmittel kommen und wer dahintersteckt. Künftig möchte sie sich als Konsumentin mehr selbst einbringen, etwa in einem genossenschaftlich organisierten Projekt für solidarische Landwirtschaft.
Ein neuer Blick auf den Wein, den man trinkt
Und wie sieht Christine Pieroths Fazit aus? „Sehr positiv“, sagt die 33-Jährige. Sie konnte Einblicke in ihre Arbeit auf dem Weingut geben. „Und es war wichtig, dass persönliche Gespräche zustande kommen“, erklärt Pieroth. Ein großes Thema dabei: der Klimawandel. Sie habe versucht aufzuzeigen, welche Schwierigkeiten es im Weinbau gibt – auch in anderen Betrieben. Als Beispiele nennt die Winzerin Bodenerosion durch Starkregen oder eine größere Gefahr durch Spätfröste, da die Reben früher austreiben.
Erst vor Kurzem habe der Weinheimer Hof einen Hagelschaden erlitten. Auf einzelnen Flächen sei die Hälfte der jungen Triebe betroffen. Worüber sich die Aktionsteilnehmer teils noch keine Gedanken gemacht hätten: „Dass Menschen auch beruflich und finanziell vom Wetter abhängig sind“, meint Pieroth. Und noch etwas habe die Aktion bewirkt: Wer bei 30 Grad im Weinberg arbeite, „sieht den Wein, den er trinkt, mit anderen Augen“.