Der Ukrainer Wolotymir G. liegt im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz. Er hat an den Demonstrationen auf dem Maidan in Kiew teilgenommen und dabei schwere Schussverletzungen erlitten. Foto: Thomas Frey
Schläuche verbinden Wolotymyr G. mit Geräten, auf einem Bildschirm zeigt ein Graph seinen Herzschlag. Links neben ihm stehen auf einem Tisch Marienbilder – zumindest etwas Individuelles in seinem sterilen Behandlungszimmer im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz. Seit rund anderthalb Wochen liegt der Ukrainer mit Schussverletzungen hier, die er am 20. Februar auf dem Maidan-Platz in Kiew erlitt. Einen Tag vorher war er 31 Jahre alt geworden. „Da hatte ich zwei Tage hintereinander Geburtstag“, sagt er rückblickend.
Wolotymyr ist einer von 24 verletzten Ukrainern, die in Deutschland behandelt werden. Sie waren Mitte März mit einer Spezialmaschine der Bundeswehr gekommen, zwölf wurden von Berliner Krankenhäusern aufgenommen, sechs kamen nach Ulm, sechs nach Koblenz.
Das humanitäre Engagement in der Ukraine kam nach Angaben des Auswärtigen Amtes in Berlin auf Bitten der „Obersten Rada“, des ukrainischen Parlaments, an die deutsche Botschaft in Kiew zustande. Deutschland übernimmt einen Teil der Kosten, einen Teil steuert den Angaben zufolge ein ukrainischer Geschäftsmann bei. „Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Deutschland Solidarität mit den Menschen der Ukraine zeigt und den Verwundeten vom Maidan hilft“, sagte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Anfang März.
In den vergangenen Jahren hat es mehrere solcher humanitärer Hilfseinsätze gegeben, in denen der sogenannte MedEvac-Airbus A 310 der Bundeswehr – eine Art fliegende Intensivstation – zum Einsatz kam. Die Maschine dient grundsätzlich der Versorgung deutscher Soldaten. „Die Maxime des Sanitätsdienstes besagt, dass den Soldaten im Fall einer Verwundung oder Verletzung im Auslandseinsatz eine medizinische Versorgung zuteil werden soll, die im Ergebnis dem fachlichen Standard in Deutschland entspricht“, erklärt der Leiter der Verwundetenleitstelle der Bundeswehr, Oberstarzt Axel Höpner.
Zwischendurch stehen aber immer wieder Transporte von Verletzten aus anderen Ländern an. Im April 2013 etwa wurden 34 Verwundete aus Syrien nach Deutschland gebracht, im Oktober 2011 waren es 39 verletzte Libyer, auch nach dem verheerenden Tsunami in Südostasien Ende 2004 war die Maschine im Einsatz. Die Kosten klären Bundeswehr und Auswärtiges Amt jeweils vor solchen Einsätzen, wie Oberstleutnant Matthias Frank vom Pressezentrum des Sanitätsdienstes sagt.
Wolotymyr erzählt, dass er recht kurzfristig von seiner Reise nach Deutschland erfahren hat. Seine Arme sind hager, wegen eines Schusses ins Rückenmark kann er seine Beine nicht mehr bewegen. Ob er sie jemals wieder spüren wird, wissen die Ärzte nicht. Doch seine Stimme klingt fest, wenn er die Erlebnisse vom Maidan-Platz schildert.
Dort hatte er schon seit Anfang Februar mit Bekannten gezeltet. Zuhause, in einem Ort im Süden der Ukraine, habe es ihn nicht mehr gehalten. Er habe etwas gegen die große Ungerechtigkeit in seiner Heimat unter dem damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch tun wollen, sagt er. „Wir haben erfahren, wie reich und wohlhabend Janukowitsch lebt; und wir wollten, dass er das mit der normalen Bevölkerung teilt.“ Er habe es auch für seine Tochter Anna-Maria getan, damit sie eine bessere Zukunft bekomme, sagt der geschiedene Vater. Mit ihr hält er ständig Kontakt per Internet und Telefon.
Am 20. Februar habe er Mitglieder der Polizei-Spezialeinheit Berkut (Steinadler) auf dem Platz gesehen. „Sie haben hilflose Menschen zusammengeschlagen, geschubst und Frauen an den Haaren gezogen.“ Sie hätten Waffen gehabt, die Protestler nur Steine, Stöcke und Benzin. Plötzlich seien Schüsse gefallen, wer sie abfeuerte, weiß er nicht. Als er einen Verletzten retten wollte, erwischte es Wolotymyr. Ein Kamerad habe ihn zu Ärzten gebracht, er kam in eine Klinik, wurde zweimal operiert, später folgte die Reise nach Koblenz. Hier wurde er dann am Bauch operiert, eine Rücken-OP steht noch an.
In seiner Heimat haben sich die Ereignisse mittlerweile überschlagen, in Kiew ist eine Übergangsregierung an der Macht, die Halbinsel Krim hat sich nach einer höchst umstrittenen Volksbefragung Russland angeschlossen. Das politische Klima zwischen dem Westen und Moskau kühlt sich immer weiter ab. „Ich hoffe, dass es keinen Krieg geben wird“, sagt Wolotymyr. „Das wäre das Schlimmste.“
Vor den Protesten renovierte der 31-Jährige Wohnungen, wie er sagt. Möglich, dass er das nie wieder tun kann. Trotzdem bereut er es nicht, an dem für ihn so verhängnisvollen 20. Februar auf dem Maidan gewesen zu sein. „Ich würde alles wieder genauso machen.“