Es ist schon nach Mitternacht, als der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses in die Runde fragt, ob es denn noch Fragen an Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) gebe. Es gibt keine mehr. Also schließt Martin Haller um 0.21 Uhr die Marathonsitzung, die um 9.30 Uhr morgens begann. Es scheint so, als hätte es Spiegel geschafft.
Die Grünen-Politikerin war während der Flutkatastrophe rheinland-pfälzische Klimaschutz- und Umweltministerium, als solche für Hochwasservorsorge und die Voraussage von Pegelständen verantwortlich. Doch dann wartet auf dem Weg zum Gebäudeausgang noch eine Schar von Journalisten im Halbkreis. Spiegel muss noch einmal die Fragen beantworten, die ihr zuvor im U-Ausschuss gestellt wurden. Zum Beispiel die, ob ihr das eigene Schicksal wichtiger war als das Schicksal der Menschen im Ahrtal.
Sitzungsunterbrechung. Gegen 19 Uhr musste die Sitzung des rheinland-pfälzischen Untersuchungsausschusses (U-Ausschuss) zur Flutkatastrophe im Ahrtal unterbrochen werden. Zu dieser Zeit sollte die Befragung des Staatssekretärs im Umweltministerium, Dr.U-Ausschuss zur Ahr-Flut: Staatssekretär Manz muss Kommunikation mit Ministerin Spiegel erklären
Die damalige Klimaschutz- und Umweltministerin wiederholt das, was sie zuvor in einer mehrstündigen Anhörung im rheinland-pfälzischen Parlament sagt: „Es ist absolut falsch, dass ich zu irgendeinem Zeitpunkt eine andere Priorität hatte, als Menschen zu unterstützen.“ Die Speyrerin räumt zugleich die Echtheit von Chatprotokollen ein. Nach den unter anderem von dieser Zeitung veröffentlichten Kurznachrichten ging es zwischen Spiegel und dem stellvertretenden Regierungssprecher am Morgen nach der verheerenden Flutnacht vor allem darum, ein „Wording“, also eine Formulierung zu finden, dass sie rechtzeitig gewarnt hätten. Spiegel betont am späten Freitagabend, das Klimaschutz- und Umweltministerium sei nicht Teil der Meldekette und habe deshalb keinen Anlass gehabt, in funktionierende Abläufe einzugreifen.
Ähnlich hatte sich zuvor Staatssekretär Erwin Manz geäußert. Die Grünen-Politikerin räumte ein: „Ja, es gab diese SMS. Aber es ist mir sehr wichtig zu betonen, dass es Tausende Seiten Kommunikation gab. Und das sind zwei Seiten.“ Alles habe sich nur darum gedreht, wie man den Menschen vor Ort helfen und sie unterstützen könne. Spiegel betont, dass die Korrespondenz vom damaligen stellvertretenden Regierungssprecher ausging. Sie sagt: „Ich hätte das proaktiv nicht geschrieben.“
Es gibt sicher angenehmere Termine für eine Bundesministerin, als freitagabends in einem Untersuchungsausschuss (U-Ausschuss) aussagen zu müssen. An diesem Freitag kehrt Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) nach Mainz zurück.In Erklärungsnot: Die interne Kommunikation zur Flutnacht lässt Anne Spiegel nicht gut dastehen
Zu ihrer Äußerung eines bevorstehenden „Blame Game“, also von möglichen Schuldzuweisungen, verweist die 41-Jährige ebenfalls darauf, dass die Nachricht vom damaligen stellvertretenden Regierungssprecher kam. Sie habe darauf geantwortet, eine weitere Kommunikation oder Aktivitäten „in diese Richtung“ habe es nicht gegeben. Und weiter: Der Sprecher „hatte einen Gedanken und ich hatte einen Gedanken, und für mich war er genauso schnell wieder weg, wie er da war.“ Eine Formulierung, die Anne Spiegel mehrmals bei ihrer Befragung verwendet.
Was unklar bleibt
Was die Grünen-Politikerin am Abend des 14. Juli machte, mit wem sie telefonierte, ist lange unklar. So richtig klar wird es auch an diesem Abend nicht. Denn einen Einzelverbindungsnachweis der Anrufe der Ministerin gibt es nicht, wie sie zugibt. Es habe „mehrfach“ beim Mobilfunkanbieter den Versuch gegeben, einen solchen zu bekommen. Vergeblich. Wegen ihres Handyvertrags und einer Flatrate. Wie unsere Zeitung berichtet hatte, hatte Staatssekretär Erwin Manz um 22.24 Uhr versucht, seine damalige Chefin zu erreichen. Erfolglos. Spiegel erklärt, dass sie „ziemlich sicher“ sei, den Anruf gesehen zu haben und zurückgerufen habe. Das Telefongespräch mit Manz sei ein kurzes gewesen, außerdem habe sie mit Bernhard Braun, Grünen-Fraktionsvorsitzender gesprochen.
Anne Spiegel hat im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe keinen guten, schon gar nicht einen überzeugenden Auftritt hingelegt. Noch mehr: Die Performance war einer Politikerin, die heute Mitglied des Bundeskabinetts ist, nicht würdig.Kommentar zu Anne Spiegel im U-Ausschuss: Sie hätte alle Möglichkeiten gehabt – und ergriff sie nicht
Mit Braun, der als Spiegels Mentor und Befürworter gilt, war sie nach dem Plenum, das an diesem Tag war, etwas essen. Dieser Termin sei schon länger vereinbart gewesen. Spiegel zum Telefonat mit Braun später: „Da ging es noch mal um die Situation. Ich war mir sicher, dass er noch wach ist.“ Auch mit ihrem Ehemann habe sie in ihrer Mainzer Zweitwohnung noch mal telefoniert. Ansonsten habe sie im Internet die Lage verfolgt und E-Mails gelesen: „Ich gehe eigentlich nicht ins Bett, wenn ich nicht alle E-Mails gesehen habe. Ich brauche das, da tickt jeder anders.“
Nachricht an die Ministerpräsidentin
In einer Nachricht an Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hatte Spiegel morgens geschrieben, dass bis 2 Uhr nachts telefoniert habe. Auf die Frage des AfD-Obmanns Michael Frisch, wie drei Telefonate in dreieinhalb Stunden zu erklären seien, wiederholt die Zeugin das, was sie zuvor erläutert hat. Spiegel legt übrigens immer wieder Wert darauf, dass sie aus ihrer Erinnerung berichtet. Viele Sätze beginnen mit „Meiner Erinnerung nach.“
Wie aus Chatprotokollen hervorging, hatte Dreyer am 14. Juli um 21.42 Uhr Innenminister Roger Lewentz gefragt, ob „Anne auch informiert“ sei. „Sie ist ja echt ein bisschen nervös“, so Dreyer. Lewentz hatte geantwortet: „Das weiß ich gar nicht, sie hat ein eigenes Lagesystem.“ Darauf angesprochen, sagt Spiegel: „Ich war auf jeden Fall angespannt, sensibilisiert, fokussiert, vielleicht war ich auch besorgt, würde mich aber nicht unbedingt als nervös beschreiben.“
Zur Ministerpräsidentin und Innenminister Roger Lewentz habe es vor Mitternacht am 14. Juli keine Kontaktaufnahme gegeben, berichtet die Befragte. Spannend: Spiegel erklärt außerdem, dass man in ihrem Ministerium „kein eigenes Lagesystem“ gehabt habe. „Was der Innenminister damit meint“, könne sie nicht sagen, so die Grünen-Politikerin.
Mainz. Im Landesamt für Umwelt herrschte am Tag der Ahr-Flut Kommunikationschaos. Milan Sell, der am Tag der Katastrophe für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich war, hat die Ahr-Pegelstände und Prognosen des eigenen Hauses kaum verfolgt.Umweltamt hätte deutlicher warnen können: Konfuse Kommunikation der Landesbehörde am Tag der Flut
Wie vor der Anhörung schon öffentlich wurde, trieb Spiegel offensichtlich die Sorge um, dass ihr Ministerkollege Lewentz sie angehen könnte. „Ich traue es Roger zu, dass er sagt, die Katastrophe hätte verhindert werden können oder wäre nicht so schlimm geworden, wenn wir als Umweltministerium früher gewarnt hätten“, hatte Spiegel geschrieben. Auf diese Nachricht und ihr Verhältnis zum Innenminister angesprochen, spricht Spiegel nun von einem Umgang, „der herzlich war, freundschaftlich war, vor allem sehr professionell. Wir haben gut miteinander gearbeitet“.
Und dann wiederholt die Speyrerin ihre Formulierung zum Gedanken, der kurz kam – und genauso schnell wieder weg war. Sie habe übrigens überlegt, am Abend beziehungsweise in der Flutnacht ins Krisengebiet zu fahren. Randolf Stich, Staatssekretär des Innenministeriums, habe ihr mitgeteilt, dass Lewentz in die Katastrophenregion fahre. Sie habe mehrmals am Rande des Plenums Staatssekretär Manz darauf angesprochen und gefragt, ob sie ebenfalls aufbrechen solle. Doch Manz habe sie „überzeugt, dass das nicht unsere Zuständigkeit ist“.
Pressemitteilung ist Thema
Bei Spiegels Anhörung geht es auch lange um die Pressemitteilung, die um 16.43 verschickt wurde. Überschrift: „Angespannte Hochwasserlage in Rheinland-Pfalz – Wasserstände an Rhein, Mosel und kleineren Flüssen und Bächen werden weiter ansteigen.“ Spiegel wurde damals folgendermaßen zitiert: „Wir nehmen die Lage ernst, auch wenn kein Extremhochwasser droht.“ Vor der U-Ausschuss-Sitzung war die Ministerin auch in große Erklärungsnot geraten, weil Spiegel sie freigegeben habe. Und um 15.56 Uhr geschrieben hatte: „Konnte nur kurz draufschauen, bitte noch gendern CampingplatzbetreiberInnen, ansonsten Freigabe.“ Die 41-Jährige sagt dazu, sie habe „nur kursorisch draufgeschaut“.
Für sie sei wichtig gewesen, dass die Internetseite des Hochwassermeldedienst angegeben worden wäre. Dass sie geschaut habe, ob gegendert wurde, mache sie bei jeder Pressemitteilung. Das sei so üblich. Spiegel betont mehrfach, dass die Medieninfo fachlich von der Fachabteilung sowie ihrem Staatssekretär freigegeben worden sei. „Ich wusste, dass die Abteilung und Erwin Manz sie gesehen und geprüft haben.“ Sie habe nachmittags dann die Plenardebatte verfolgt und ihre Rede vorbereitet. „Die Fäden sind bei Staatssekretär Erwin Manz zusammengelaufen.“