Einen guten Job, eine Familie, viel Geld. Der heute 55-jährige Thomas Patzelt hatte um die Jahrtausendwende herum scheinbar alles, was es für ein glückliches und sorgenarmes Leben braucht. Doch als wir den gebürtigen Bayern, der seit 20 Jahren in Trier wohnt, vor Kurzem im Schlosspark in Koblenz trafen, gestand er: „Nach außen hin schien ich sehr erfolgreich zu sein. Doch im Innern war ich zutiefst unglücklich. Mir fehlte es an Liebe, Zuneigung und Anerkennung. Jedenfalls war die Dosis, die mir mein Umfeld an Wertschätzung gab, zu gering.“ Die Lösung, die im eigentlichen Sinne keine war: Zocken in der Spielhalle. Der kurzfristige Adrenalinkick gab ihm ein Gefühl der Zufriedenheit – eines, das er im wahren Leben so längst nicht mehr gespürt hatte.
Die Geschichte von Thomas Patzelt ist nicht die irgendeines Spielsüchtigen, der am Automaten im wahrsten Sinne des Wortes viel verspielt hat. Es ist die eines Mannes, der angesichts seines eigenen Schicksals die Verantwortung verspürt, anderen Betroffenen zu helfen. 2012 gründete er in Hetzerath (Kreis Bernkastel-Wittlich) den Verein Spielfrei24. Im Oktober des vergangenen Jahres initiierte er mit diesem das Projekt „Restart“. So will er Straffälligen nach der Haftentlassung einen geordneten Neustart – also „Restart“ – in ein Leben ohne Glücksspiel ermöglichen und sie dabei unterstützen.
„Die Zockerei hat vieles zerstört.“
Karl Kuhn
„Ich habe wegen Spielautomaten meine Ehe und meinen Job als Versicherungsfachwirt verloren, rutschte in die Insolvenz und war wegen Beschaffungskriminalität vorbestraft“, erzählt Patzelt mit ernster Miene, aber doch mit erstaunlicher Offenheit bei unserem Gespräch im Schlosspark. Zu diesem erscheint er übrigens nicht allein, sondern gemeinsam mit seinem guten Freund Karl Kuhn, der ebenfalls einst der Spielsucht verfallen war.
„Thomas war der einzige, der in der schwierigsten Zeit meines Lebens hinter mir stand. Die Zockerei hat vieles zerstört. Doch mit ihm gab es jemanden, der mir zur Seite stand und mich als Menschen mit einer Krankheit namens Spielsucht sah“, sagt jener über Patzelt. Die beiden eint ihre Bereitschaft, all das, was sie im Leben durch die Glücksspielsucht verloren haben, offen und ehrlich auszusprechen. Und zwar nicht allein zur persönlichen Vergangenheitsbewältigung, sondern weil sie anderen helfen möchten. Auch Kuhn möchte sich nämlich bei therapeutischen Maßnahmen, die Spielfrei24 mit Selbstberatungsgruppen oder eben dem Projekt „Restart“ anbietet, mit seinen eigenen Lebenserfahrungen einbringen.

„Glücksspielsucht erfährt im Vergleich zur Abhängigkeit von Drogen wenig gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung und daher auch wenig Anerkennung. Zwar handelt es sich seit 2001 um eine anerkannte Krankheit, doch das Angebot an Beratungsstellen und Fachkliniken ist noch viel zu dünn“, kritisiert Patzelt.
„Die Gründe für die Entwicklung einer Glücksspielsucht sind häufig vielfältig. Grundsätzlich verbinden die meisten Menschen mit dem Spielen – und auch mit dem Glücksspiel – Spaß, Spannung und Unterhaltung“, erklärte eine Sprecherin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gegenüber der dpa. Lockt ein Geldgewinn, sind Glücksspiele für manche besonders reizvoll. „Die Spiele selbst sind zum Teil auch sehr attraktiv gestaltet mit Licht- und Klangeffekten, die bei manchen Menschen einen regelrechten Kick auslösen können“, so die BZgA-Sprecherin.
Durch „Restart“ sollen Häftlinge aus dem Teufelskreis von Sucht und Kriminalität befreit werden. „Wenn die Haft zu Ende ist, haben die Betroffenen häufig keine Arbeit, keine Wohnung und nur wenig soziale Kontakte. Ein Ausweg, um diesen Problemen zu entkommen, ist dann häufig die Spielhalle“, weiß Patzelt. Hier fühle man sich plötzlich wie in einem Rauschzustand, der die Sorgen des Alltags vergessen mache.

Der ehemalige Betroffene besucht derzeit viele Haftanstalten in ganz Rheinland-Pfalz, um Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuloten – so auch die Justizvollzugsanstalt in Koblenz. Er sucht auch aktiv Unterstützung für sein Vorhaben in der Politik sowie im Justizwesen: „Im Falle von Drogensucht wird vielfach dem Prinzip ‚Therapie statt Strafe‘ gefolgt. Warum nicht endlich auch bei der Spielsucht?“ Patzelt weiß, dass er einen langen Atem beweisen muss: „Die Glücksspielindustrie macht riesige Umsätze, und der Staat verdient daran mit. Doch ich bin zuversichtlich, dass ein Umdenken möglich ist.“
Der Initiator des „Restart“-Programms schätzt, dass bis zu einem Drittel der Inhaftierten mit Glücksspiel zu tun hatten oder haben. Von ihnen will er möglichst viele erreichen. Indem er ihnen erzählt, dass es auch bei ihm mit einem kleinen Einsatz angefangen und mit einem gigantischen Verlust aufgehört hat. „Reden ist die beste Medizin“, lautet seine Überzeugung. Durch seine Offenheit und Ehrlichkeit glaubt er, möglichst viele zu erreichen und zum Umdenken zu bewegen. Wie auch Karl Kuhn, dem er einst geholfen hat und der sich inzwischen selbst im Helferkreis engagiert.
Spielfrei24 bietet vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten
Der Verein Spielfrei24 verhilft Glücksspielsüchtigen auf vielen Wegen zur Spielfreiheit. Neben dem nun gestarteten Programm „Restart“ findet auch Beratung in Einzelgesprächen statt. Außerdem gibt es Selbsthilfegruppen, bei denen Betroffene und Angehörige sich austauschen und voneinander lernen können. Für den Erstkontakt ist der Verein telefonisch über 06508/9199419 oder per Mail unter info@spielfrei24.de erreichbar. Weitere Informationen gibt es auch im Netz unter www.spielfrei24.de kij