Reaktionen aufs Wahlergebnis
Wirtschaft im Land fordert schnelle Regierungsbildung
Anpacken - das fordert die Wirtschaft in Rheinland-Pfalz von der neuen Bundesregierung.
Oliver Berg. picture alliance/dpa

Eine neue Wirtschaftspolitik, mehr Investitionen, Verlässlichkeit, soziale Gerechtigkeit – das fordern Vertreter aus Wirtschaft, Handwerk, Gewerkschaften und Landwirtschaft. Die Herausforderung, vor denen eine neue Bundesregierung stehe, seien enorm.

Der Bundestagswahlkampf war bis zuletzt vor allem bestimmt vom Thema Migration. Dabei drückt Deutschland auch wirtschaftlich der Schuh. Vertreter aus Wirtschaft, Handwerk, der Gewerkschaften und der Landwirtschaft wünschen sich eine schnelle, stabile Regierungsbildung, einen Neustart in der Wirtschaftspolitik, Investitionen und Verlässlichkeit.

Dass ein Zweier-Regierungsbündnis möglich ist, beruhigt Ralf Hellrich – der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer (HwK) Koblenz hofft nun auf eine schnelle Regierungsbildung, denn die Wirtschaft brauche Klarheit: „Wir müssen wieder zu einem Land werden, in dem es eine Lust aufs Unternehmertum gibt, auf Fortschritt, darauf, Dinge nach vorn zu bringen. Die Wirtschaft braucht Freiräume.“ Friedrich Merz könne dafür der geeignete Mensch sein, meint Hellrich.

Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Koblenz
Thomas Frey. picture alliance / Thomas Frey/dpa

Sorge bereitet ihm, dass die äußeren Ränder bei dieser Wahl gestärkt wurden: „Wir haben ein Stück weit die Mitte verloren.“ Einfache Parolen, verkürzte Lösungsversprechen haben offenbar verfangen, und das in einer Welt, die immer komplexer wird. „Die Probleme, die wir haben, sind aber nicht einfach zu lösen. Vor der neuen Regierung liegen gewaltige Aufgaben“, sagt Hellrich im Gespräch mit unserer Zeitung.

Beim den Wahlkampf überstrahlenden Thema Migration betont der Hauptgeschäftsführer, dass Menschen, die zu uns kommen, die Gewissheit haben müssen, willkommen zu sein – das Handwerk braucht Migration, braucht Zuwanderung. Gleichzeitig brauche es klare Regeln für jene, „die nicht in unsere Gesellschaft passen“.

Von der neuen Bundesregierung erwartet er vor allem Einigkeit und Einheitlichkeit in der Führung – in Unternehmen sei das ein Muss, in der Politik aber mindestens genauso. Der ständige Zwist und Streit müsse aufhören – er traut CDU und SPD zu, zu einer konsensualen Form des Umgangs zu kommen. Und er glaubt auch, dass diese beiden potenziellen Regierungspartner die Themen der Wirtschaft angehen, vor allem den vielfach beschworenen Bürokratieabbau. „Das Versprechen liegt in der Luft, dass da endlich etwas geschieht. Das muss auf europäischer Ebene passieren. Wir müssen Ballast loswerden.“

Eine schnelle Regierungsbildung fordern auch die Industrie- und Handelskammern (IHKs) in Rheinland-Pfalz – „damit die Politik rasch ins Handeln kommt“, wie es in einer Mitteilung der IHK-Arbeitsgemeinschaft vom Montagmorgen heißt. „Wir setzen darauf, dass die neue Bundesregierung rasch ihre Arbeit aufnehmen kann“, ergänzt Arne Rössel gegenüber unserer Zeitung.

Der Hauptgeschäftsführer der IHK Koblenz sowie der IHK-AG sagt: „Das Regierungsprogramm muss den Wirtschaftsstandort wieder wettbewerbsfähig machen – und zwar in den Bereichen Baurechtserlangung, Berichtspflichten, Energie- und Arbeitskosten, Unternehmenssteuern und digitale Verwaltung.“ Rössel fordert ein Sofortprogramm, das dafür sorgt, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. „Nur mit einer starken Wirtschaft lassen sich die großen Herausforderungen, die vor uns liegen, meistern.“

Karsten Tacke, Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz
Jörg Halisch. picture alliance/dpa

Einen konsequenten Politikwechsel fordert Karsten Tacke: „Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die pragmatisch, planungssicher und unideologisch ist, und zwar sofort“, sagt der Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz (LVU). Die Deindustrialisierung sei in vollem Gang, auch und gerade in Rheinland-Pfalz – mit potenziell dramatischen Folgen. Es brauche eine starke Industrie, um Arbeitsplätze zu sichern, die wiederum die sozialen Sicherungssysteme stützen, und um die Transformation zur Klimaneutralität bezahlen zu können.

Ist für all dies am Sonntag die richtige Entscheidung gefallen? „Um Haaresbreite“, sagt Tacke. Gut sei, dass eine Zwei-Parteien-Konstellation möglich ist, das spreche für Handlungsfähigkeit, die dringend nötig ist. Pragmatismus sei gefragt. „Das Wahlergebnis hätte ruhig noch ein bisschen eindeutiger ausfallen können“, meint Tacke, der außerdem sagt, dass „wir die FDP im bürgerlichen Lager noch vermissen werden“.

Susanne Wingertszahn, Vorsitzende des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland
Arne Dedert. picture alliance/dpa

Dass so viele Wählerinnen und Wähler ihr Kreuz bei der in Teilen rechtsextremen AfD gemacht haben, „ist nicht gut für unsere Demokratie“, sagt Susanne Wingertszahn, Vorsitzende des DGB Rheinland-Pfalz, im Gespräch mit unserer Zeitung. Nun sei es wichtig, dass sich ein Bündnis demokratischer Parteien zusammenschließe, „das vertrauensvoll und kompromissbereit miteinander arbeitet“.

„Wir stehen vor Jahrhundertaufgaben, für deren Bewältigung wir eine handlungsfähige Regierung brauchen“, betont Wingertszahn. Es sei ein großer Investitionsstau entstanden, ob bei der Bahn, bei Straßen, Brücken, in Schulen oder im Bereich der Energieversorgung. „Die Investitionsbremsen müssen gelöst werden.“ Der DGB wünsche sich eine Reform der Schuldenbremse.

DGB: Wandel zur Klimaneutralität bei Erhalt tarifgebundener Arbeitsplätze

Zudem müssten Themen in den Blick genommen werden, die die Bürger bewegen. Hier nennt Wingertszahn etwa einen klimaneutralen Umbau der Industrie, bei dem gleichzeitig „gut bezahlte und tarifgebundene Arbeitsplätze erhalten bleiben“. Als große Themen benennt sie des Weiteren mehr soziale Gerechtigkeit, eine stabile Gesundheitsversorgung sowie eine verlässliche Rente. Wichtig sei es auch, Lösungen für einen guten Umgang mit Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und sozialen Medien zu finden.

„Das Wichtigste für Landwirtschaft und Weinbau, aber auch für die Bundesrepublik: Wir brauchen eine stabile Regierung“, erklärt Marco Weber, Präsident des Bauern- und Winzerverbands (BWV) Rheinland-Nassau, auf Anfrage unserer Zeitung. Die Entscheidungen der neuen Regierung müssten nachhaltig und dauerhaft sein, „denn wir Landwirte und Winzer denken und planen in Generationen, nicht in Legislaturperioden“.

Der BWV Rheinland-Nassau wünsche sich „einen Bundeslandwirtschaftsminister vom Fach, der im wahrsten Sinne des Wortes auch ‚Stallgeruch‘ hat“, schreibt Weber weiter in seiner Erklärung zum Wahlausgang. Die neue Bundesregierung habe große Aufgaben vor sich: „Sie muss Ordnung und Kontinuität in die Politik und den Handel innerhalb Europas bringen“, so Weber weiter. Und: „Wir werden sie außerdem an die vielen offenen Forderungen der Landwirtschaft erinnern.“

Top-News aus der Region

Weitere regionale Nachrichten