Während man sich in Rheinland-Pfalz noch über Zuständigkeiten und Fieberambulanzen streitet, macht Hessen Nägel mit Köpfen
Wirrwarr in Zeiten von Corona: Streit im Land über Zuständigkeiten und Fieberambulanzen
Coronavirus
Ein Coronavirus unter dem Mikroskop. Foto: Center for Disease Control/epa/dpa/Archivbild
Center for Disease Control/epa/dpa/Archivbild. dpa

In Rheinland-Pfalz nimmt die Zahl der Coronavirus-Fälle weiter zu, am Freitag wurde ein zweiter Fall in Mainz bestätigt: Eine 70-jährige Frau zeigte nach einem Urlaub in Spanien milde grippeartige Symptome und wurde unter häusliche Quarantäne gestellt. Ob sie sich in Spanien infiziert hat, ist unklar. Kontakt habe die Frau nach ihrer Rückkehr vor allem mit ihrer Familie gehabt. Zunächst sollte eine Mainzer Kita vorsorglich geschlossen werden, weil der Schwiegersohn der 70-Jährigen dort arbeitet. Doch dann gab es Entwarnung vom Gesundheitsamt, weil die Familie der Betroffenen negativ getestet worden sei.

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Ein Coronavirus unter dem Mikroskop. Foto: Center for Disease Control/epa/dpa/Archivbild
Center for Disease Control/epa/dpa/Archivbild. dpa

Derweil machen die Behörden in Mainz widersprüchliche Angaben, wohin sich Ratsuchende bei Verdachtsfällen wenden sollen. Im Gesundheitsministerium heißt es, wer eine Infektion befürchtet, sollte sich ans Gesundheitsamt wenden. Im Kreis Mainz-Bingen heißt es indes: bloß nicht beim Gesundheitsamt anrufen, bitte an den Hausarzt wenden. „Es soll in erster Linie der Arzt angerufen werden und nicht das Gesundheitsamt“, betonte ein Sprecher der Kreisverwaltung auf Anfrage unserer Zeitung – das Gesundheitsamt könne eine noch größere Welle von Anrufen gar nicht bewältigen. Schon jetzt gebe es täglich Hunderte Anrufe beim Gesundheitsamt zum Thema Coronavirus. Außerhalb der Sprechstunden der niedergelassenen Ärzte sei der ärztliche Bereitschaftsdienst zuständig, den man unter 116.117 erreicht.

In Hessen geht man derweil andere Wege: Ab Montag werden dort flächendeckend zentrale Untersuchungsstellen an ausgewählten Standorten des ärztlichen Bereitschaftsdienstes eingerichtet. Hält ein Arzt einen Test auf das neue Virus Covid-19 für geboten, könnten diese so gebündelt werden und vor allem außerhalb der Arztpraxen stattfinden, teilte das Wiesbadener Gesundheitsministerium mit. So könnten die Hausarztpraxen entlastet und mit den begrenzten Ressourcen sparsamer umgegangen werden. Das Virus in die Kliniken und Arztpraxen zu tragen, sei hingegen „der falsche Weg“. In Rheinland-Pfalz arbeitet das Ministerium zusammen mit Krankenhausgesellschaft und Kassenärztlicher Vereinigung noch an einem Konzept für Fieberambulanzen, in denen Verdachtspersonen künftig getestet werden sollen.

Ungewöhnliche Aktion auf dem Parkplatz der Kreisklinik Groß-Gerau: Dort können Patienten nach Voranmeldung einen Corona-Test machen lassen.

Die Kreisklinik Groß-Gerau richtete diese Woche sogar eine Coronavirus-Teststation per Drive-in auf dem Klinikparkplatz ein. Dabei fahren die Patienten in ihrem eigenen Auto vor, eine Ärztin in Schutzkleidung nimmt dann durchs geöffnete Autofenster einen Abstrich für den Virustest. Der Drive-in gelte allerdings nur nach vorheriger Anmeldung, betont Klinikgeschäftsführerin Erika Raab: „Wir klären vorher ab, ob die Patienten aus einem Risikogebiet kommen oder Kontakt mit infizierten Personen hatten.“ Erst dann werde nach Absprache mit dem Gesundheitsamt zum Test geladen. Der Test finde dann tatsächlich auf dem Klinikparkplatz statt. „Das ist schnell, pragmatisch, und es verschwendet keine Ressourcen“, betont Raab. Nach Bekanntwerden des Drive-in sei es zu einem richtigen Ansturm gekommen. „Es kamen Anrufe aus München, Heidelberg und sogar London“, sagt die Klinikgeschäftsführerin: „Viele Patienten wollen einfach kommen und die Tests auch selbst bezahlen.“ Das aber würde die Testlabore lahmlegen, sagt Raab – auch seien solche flächendeckenden Tests gar nicht nötig. 20 Tests habe es bisher gegeben – „kein einziger war positiv“.

„Die Patienten sind stark verunsichert“, sagt Raab weiter. Zwar werde vonseiten der Politik und der Medien sehr viel informiert, doch das helfe nur bedingt: Die Politik sei weit weg und auch nicht immer glaubwürdig, zudem kursierten viele Legenden zum Virus. Die Verunsicherung der Menschen sei groß. Sechs Mitarbeiter seien in ihrer Klinik derzeit allein damit beschäftigt, Fragen zum Coronavirus zu beantworten. „Die Patienten vermitteln uns das Gefühl, dass das Virus heruntergespielt wird“, sagt Raab und fordert: „Wir brauchen Anlaufstellen von Praktikern. Die Menschen brauchen jemanden, der ihnen die Abläufe erklärt – das beruhigt.“ Auch das Bedürfnis nach einem Test erledige sich dann meist. „Wir brauchen eine Beruhigung in der Bevölkerung“, betont Raab. „Was bei uns wirkt: Wir nehmen die Ängste der Patienten sehr, sehr ernst.“

Zugleich betont sie, dass sich die Klinik gerade als Anlaufpunkt anbietet, „auch um unsere Hausärzte zu entlasten“. Die seien gerade auch in Zeiten von Grippewellen „eine ganz wichtige Ressource“, oft aber mit Schutzkleidung oder Atemschutzmasken gar nicht in großem Umfang ausgestattet. „Wir haben hier gute Räumlichkeiten in Groß-Gerau“, betonte Raab, die Klinik habe im Notaufnahmebereich die Möglichkeit, verschiedene Bereiche abzutrennen und so Patienten zu isolieren.

Derweil leidet auch die Kreisklinik unter dem Diebstahl von Gesichtsmasken und Desinfektionsmitteln. „Alle öffentlich zugänglichen Desinfektionsmittelspender waren am Wochenende leer geräumt“, berichtet Raab. Vor den Türen schwer kranker Patienten deponierte Gesichtsmasken sind ebenfalls gestohlen worden. Gleichzeitig bekommt Raab Anrufe von Müttern, deren Kinder Diabetes haben, oder von Dialysepatienten: „Das Schlimmste für mich ist, wenn die sagen, sie haben nicht mehr genügend Desinfektionsmittel. Da verstehe ich die Leute nicht mehr.“

Sogar Wisch-Desinfektionsmittel für den Boden oder destilliertes Wasser wurden gestohlen, berichtet die Klinikchefin. Dabei helfe das gar nicht – Reinigungsmittel könnten im Gegenteil schwere Hautprobleme verursachen. „Die Leute wollen etwas tun, und dann kommt man auf die absurdesten Ideen“, sagt Raab, Fakt sei aber: „Händewaschen ist effizienter, hautschonender und verfügbarer.“

Gisela Kirschstein

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