Wie beständig das Handwerk ist, lässt sich in Koblenz bewundern: Die Handwerkskammer (HwK) feiert 125-jähriges Bestehen. Diese Beständigkeit hat viel mit der Fähigkeit zum Wandel und zur Weiterentwicklung zu tun, die Handwerkerinnen und Handwerker seit jeher auszeichnet. Egal wie traditionsreich das Handwerk ist – neuer Technik, neuen Strömungen verschließt es sich nicht. Über das Jubiläum, über die aktuelle Lage, über Erwartungen an die neue Bundesregierung und über schwierige Personalsuche haben wir mit HwK-Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich gesprochen – in einem ausführlichen Video-Podcast. Das folgende Interview ist ein Auszug daraus:
Herr Hellrich, ein Jubiläum ist immer Gelegenheit zur Bestandsaufnahme. Aber bevor wir dazu kommen: Wie wird der besondere Anlass begangen?
Angefangen haben wir mit dem Neujahrsempfang, den wir in einem besonderen Stil gestaltet haben. Wir wollten zeigen, was wir in unserem Zentrum für Ernährung und Gesundheit tun. Dann haben wir beim Rosenmontagsumzug in Koblenz mitgemacht. Jetzt kommt der Höhepunkt des Jahres, die Gala mit unseren Gästen aus Politik und Handwerk. Dann kommt nicht zuletzt für unsere 330 Mitarbeiter das Oktoberfest. Und noch schlussendlich die Nacht der Technik am 7. November. Da werden wir wieder sicherlich 10.000 Besucher in der August-Horch-Straße im Handwerk Campus begrüßen dürfen.
Auch ich war Gast beim Empfang. Man sieht dort immer viele wirklich nette Menschen, Handwerker aus allen Branchen. Nur wenn man zu Hause einen braucht, dann kommt nie einer.
Wir haben in vielen Gewerken eine sehr viel höhere Nachfrage, als wir mit Menschen sofort bedienen können. Derzeit ist der Markt an Fachkräften immer noch unterversorgt – und auch bei Menschen, die Lust haben, etwas zu tun, aber vielleicht noch nicht perfekt in der Fachlichkeit sind. Auch diese Menschen fehlen uns im Handwerk. Es ist einfach eine demografische Entwicklung in Deutschland, die dafür sorgt, dass zu wenig Menschen für das Handwerk bereitstehen. Es hat einen Dreh gegeben Ende der 2010er-Jahre. Ein Hauptproblem ist sicherlich auch, dass zu viele junge Menschen sich in bestimmte Vorstellungen einer beruflichen Karriere hinein versteifen, ohne sich die Gesamtheit des beruflichen Angebots anschauen zu wollen.
Sind Anspannung und Arbeitsdichte auch deshalb so hoch geworden, weil sich auch auf der Kundenseite etwas verändert hat? Sind die Auftraggeber, Privathaushalte oder Unternehmen, anspruchsvoller geworden?
Ja, die Technologie vor allem ist anspruchsvoller geworden, und die Technologie wird ja auch genutzt. Denken wir beispielsweise an Smart Home, also Häuser, die in vielen Fällen automatisiert sind. Das ist auch ein energetisches Thema, Häuser so zu gestalten. Und dazu braucht es viel Technologie, und es ist natürlich auch mit höheren Kosten verbunden. Wenn wir früher den Rohbau mit 60 Prozent eines Bauvolumens belastet gesehen haben, dann sind es heute nur 40 Prozent, und der Rest ist Ausbau.
„Die Stimmung im Handwerk ist bei Weitem nicht so schlecht wie in der übrigen Wirtschaft.“
Ralf Hellrich
Auch kommunale Wärmeplanung wird ohne Handwerk nicht zu stemmen sein. Jagt Ihnen das einen Schrecken über den Rücken? Oder freuen Sie sich auf eine Auftragsflut?
Wir haben einen neuen Werbeslogan, der das gut ausdrückt: Wir können alles, was kommt. Ich glaube, das ist ein bisschen die Stimmung im Handwerk. Wir würden auch sagen, die Stimmung im Handwerk ist bei Weitem nicht so schlecht wie in der übrigen Wirtschaft. Ich glaube, dass insgesamt die Stimmung sowieso schlechter ist als die tatsächliche Lage.
Ist diese Stimmung das Einzige, was das Handwerk besonders macht?
Besonders ist, dass es eine Qualifikation braucht, um ein Handwerk ausüben zu können. Und das führt wiederum dazu, dass wir eine Qualifikationsvoraussetzung haben, die eben Grundsätzliches ermöglicht, wie eben die duale Ausbildung. Wir haben einen Geist bei den Menschen in den Handwerksbetrieben, diese Herausforderung anzunehmen, junge Menschen zu qualifizieren. Das schafft eine Unabhängigkeit bei den Menschen, die dazu führt, dass sie befähigt sind, in ganz Deutschland oder in der ganzen Welt zu arbeiten. Ein Zimmerer ist immer ein Zimmerer, egal ob in Flensburg oder in Garmisch-Partenkirchen. Der kann, was erforderlich ist im Zimmererhandwerk, und das ist das Tolle in Deutschland. Und das ist so auch ziemlich einmalig in der Welt.

Wie das Handwerk zur Wirtschaftsmacht wurde
Handwerk hat in der Region goldenen Boden. Einen entscheidenden Beitrag dazu hat die Koblenzer Kammer geleistet, die vor 125 Jahren gegründet worden ist. Pressesprecher Jörg Diester hat dazu spannende Anekdoten und Kuriositäten ausgegraben.
Und was sind die größten oder neuesten Herausforderungen?
Wir haben einiges an Bildungsstätten, und unsere größte Herausforderung ist es, diese Bildungsstätten so à jour zu halten, dass Menschen qualifiziert ausgebildet werden können. Unsere Aufgabe ist, Technologie, die es am Markt schon gibt, jungen Menschen mitzugeben, sodass ein Lehrling im besten Fall auch seinem Meister neu erklären kann, was es auf dem Markt gibt und welche Arbeitserleichterung oder welche Verbesserungen in der Qualität dadurch möglich sind. Wir haben in Deutschland etwa 500 dieser Bildungsstätten. Für sie braucht es Modernisierungsmaßnahmen. Die werden derzeit auf etwa 3 Milliarden geschätzt.
Wir treffen uns ein paar Tage nach der im zweiten Anlauf geglückten Kanzlerwahl. Was sind die Erwartungen der Handwerkskammer Koblenz und der Handwerkerschaft an die neue Regierung?
Also, ganz vorn steht wirklich das Thema Bürokratieabbau. Es muss wieder Vertrauen an die Betriebe gegeben werden. Bürokratie ist ein Mittel, um Vertrauen zu ersetzen. Und ich würde mir sehr wünschen, dass wir wieder mehr Vertrauen in die Betriebe geben. Mehr Vertrauen, dass sie ihre Arbeitnehmer gut behandeln und damit vielleicht nicht mehr jedes Arbeitnehmerschutzrecht, wie wir es derzeit etabliert haben, aufrechterhalten müssen. Es wird als eine Gängelung empfunden, dass die Betriebe alles dokumentieren müssen, was sie tun. Das macht den Betrieben keine Lust mehr auf Selbstständigkeit und keine Lust mehr auf Unternehmertum.
„In anderen Bundesländern geht das schneller.“
Ralf Hellrich
Auch Rheinland-Pfalz hat sich den Bürokratieabbau auf die Fahne geschrieben...
Es passieren immer noch Dinge, die wir nicht nachvollziehen können. Ich nenne die kleine Bauvorlageberechtigung. Man braucht immer Architekten, um eine Bauvorlage machen zu können. Es gibt aber viele Arbeiten, die am Haus stattfinden, wo man vielleicht gar keinen Architekten oder Ingenieur findet, um diese Bauvorlage rechtzeitig zu fertigen. Meister können so was auch.
Können Sie ein Beispiel bringen?
Ein Handwerksmeister möchte nachträglich eine Gaube auf einem Dach anbringen – mein Präsident ist Dachdeckermeister und weiß, wie das geht – und findet keinen Architekten, der diese Gaube in die Bauvorlage bringt. Dann steht ein Gerüst acht oder zehn Wochen. Also hätte er das doch selbst machen können. Aber die Landesregierung war der Meinung, dass er das nicht kann. In anderen Bundesländern geht das schneller.
Wie viele Lehrstellen sind aktuell offen? Wohin geht da der Trend?
Wir verlieren 3 bis 4 Prozent jedes Jahr. Wir sind derzeit bei ungefähr noch 8000 Lehrlingen im Kammerbezirk.

Lässt sich das ausgleichen?
Aufs Ganze durchaus, etwa durch Optimierungen in den Betrieben bei der Digitalisierung. Wir versuchen, etwa mit KI zu erklären, welche Möglichkeiten es gibt. Wir möchten nicht länger, dass Servicetechniker angerufen werden an einem freien Samstag, weil die Heizung steht, wenn das nicht nötig ist.
Die Kammer wird 125 Jahre alt. Wo steht das Handwerk, wenn die Kammer 150 Jahre alt sein wird?
Leistungsfähigkeit könnte etwas mit der Größenordnung zu tun haben, die ein Betrieb hat. Da müssen wir dran arbeiten. Vielleicht auch weniger Betriebe mit stärkeren Leistungsportfolios. Die Kundenerwartungen gehen ja auch in die Richtung, dass man möglichst viel Leistung aus einer Hand bekommen will. Also dann eben Meister in einem Betrieb vereint. Das erleichtert natürlich auch die Zusammenarbeit. Trotzdem glaube ich, dass die Menschen, die fürs Handwerk arbeiten, nach wie vor einen Bezug zu dem Unternehmen und zu ihren Chefs haben wollen. Das Tagwerk eines Handwerkers ist das Wunderbare. Er sieht, was er gemacht hat. Ich glaube, das ist der Schlüssel, um Menschen zu gewinnen, die Lust haben, etwas zu tun.
Das Gespräch führte Lars Hennemann