„Wir müssen sprengen“ wäre wohl der zutreffendere Satz gewesen: Die Autobahnbrücke der A 66 ist seit dem Unfall so schwer beschädigt, dass sogar akute Einsturzgefahr besteht. Vor einer Woche war am Freitagnachmittag um kurz nach 17 Uhr der Fahrbahnoberbau der Brücke mit einem lauten Knall auf einen Brückenpfeiler gekracht.
Der Pfeiler sei daraufhin um etwa 50 Zentimeter zur Seite, der Oberbau der Brücke um 50 Zentimeter nach unten gesackt, bilanzierte nun Autobahnbauleiter Matthias Hannappel aus Montabaur. Der Überbau mit den Fahrbahnen wiederum verschob sich in der Gänze um zehn Zentimeter in Richtung Frankfurt, das Ergebnis: „Jede Menge Risse im Überbau, klaffende Fugen“, die sich durch den ganzen Baukörper bis hinauf auf die Fahrbahn ziehen – die Brücke ist am Ende.
Auch der betroffene Brückenpfeiler weist schon breite Risse auf, ein Kollaps ist nicht ausgeschlossen – unter der Brücke herrscht derzeit Lebensgefahr. Ein auf der Brücke stehender Brückenprüfwagen kann nicht heruntergeholt werden, das schwere Fahrzeug würde die ganze Statik ins Wanken bringen. „Die Standfestigkeit des südlichen Brückenteils ist nicht mehr gegeben. Das Bauwerk Süd könnte jederzeit kollabieren“, konstatierte Hannappel nüchtern. „Hier herrscht wirklich so eine Art Notstand.“
Das gilt auch für die Landeshauptstadt Wiesbaden: Weil die Brücke der A 66 komplett gesperrt ist, winden sich nun kilometerlange Staus durch Wiesbaden. „Es ist ein verkehrstechnischer Albtraum“, stöhnte am Freitag Wiesbadens Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD), „die Dramatik der Lage kann gar nicht überbewertet werden“.
80.000 Fahrzeuge, die sonst die Salzbachtalbrücke jeden Tag überqueren, suchen sich nun einen Weg durch Wiesbaden und die angrenzenden Vororte, für die Zeit nach dem Sommer werden kilometerlange Staus auch auf den umliegenden Autobahnen befürchtet – Erinnerungen an den „Brücken-GAU“ durch die kaputte Schiersteiner Brücke vor vier Jahren werden wach. Das große Problem Nummer zwei: Unter der Salzbachtalbrücke verläuft auch die Bahnlinie nach Wiesbaden, der Hauptbahnhof ist derzeit von Frankfurt und Mainz komplett abgeschnitten: So sind für Pendler weder S-Bahn noch IC eine Alternative, lediglich die „Ländchesbahn“ aus dem Taunus erreicht Wiesbaden noch.
Die Salzbachtalbrücke ist eine der typischen 1960er-Jahre-Betonbrücken, die nie für den heutigen Verkehr gemacht waren, schon 2015 beschloss das Land Hessen ihren Neubau, doch der ließ auf sich warten: Bei der Ertüchtigung des nördlichen Brückenteils bohrte die Baufirma mehrere Spannglieder an und beschädigte sie schwer. Seit Januar 2019 streiten sich das Land Hessen und die Baufirma um die Schäden, das verzögerte den Abriss weiter. „Die jüngere Geschichte dieses Bauwerks steckt voller Fehleinschätzungen, Pannen und Peinlichkeiten“, schimpft deshalb die SPD in Hessen.
Seit Freitag ist guter Rat teuer, Neuroth trommelte noch am Wochenende Sprengstoff- und Bauexperten zusammen, nun die Entscheidung: „Wir wollen sprengen“, betonte Neuroth, es gehe um Zeit, Kosten, eine Perspektive und um die Sicherheitslage. Kein Fachmann habe zusichern wollen, dass bei einer Sprengung des südlichen Brückenbauwerks der nördliche Teil unbeschädigt bleiben würde. „Wenn wir sprengen, können wir wohl in einem Jahr den Überbau Süd wieder befahrbar machen“, sagte Neuroth, denn man habe einen großen Vorteil.
Weil der Abriss der Brücke ab August und ihr Neubau bereits geplant waren, gibt es die Gründungen für die neuen Pfeiler schon, Stahlteile für den Überbau Süd wurden bereits hergestellt. „Wir können direkt in die Bauphase einsteigen“, sagte Neuroth. In zwei Monaten wolle man nun beide Brückenhälften sprengen, im Herbst mit dem Neubau des Südteils beginnen, direkt im Anschluss mit dem Bau des Nordteils. Schon 2023 könnte die neue Autobahnbrücke fertig sein – 1,5 Jahre früher als geplant. „Wünschen Sie uns viel Glück dabei, nein, das kann man nicht sagen, viel Vergnügen auch nicht“, sagte Neuroth: „‚Viel Erfolg ist besser.“