Von April bis Dezember ist die Impfbereitschaft der Bürger je nach Umfrage von 70 auf 50 Prozent gesunken. Längst machen Berichte über Narkolepsie (Schlafkrankheit) als Nebenwirkung nach der Schweinegrippe-Impfung vor etwas mehr als zehn Jahren die Runde. Oder es wird behauptet, dass der mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer ins Erbgut eingreift.
Größtmögliche Transparenz nötig
„Das Thema Gesundheit ist häufig von großer Unsicherheit geprägt, was Ängsten viel Raum lässt. Solche Ängste sind im Fall der Covid-19-Impfstoffe potenziell besonders ausgeprägt, zum einen aufgrund der kurzen Dauer der Entwicklung und Prüfung, zum anderen aufgrund der Vielzahl von Falschmeldungen und von Impfgegnern in Umlauf gebrachten Erzählungen, die in privaten und sozialen Netzwerken kursieren“, sagt Florian Zimmermann, Professor für Ökonomie an der Uni Bonn. Er rät dringend dazu, diesen Ängsten mit größtmöglicher Transparenz zu begegnen: „Die Bevölkerung muss über die sehr umfangreichen Test- und Prüfverfahren informiert werden, um Ängste im Zusammenhang mit Impfungen zu reduzieren. Diese Informationen müssen in einfacher Form und für Laien verständlich präsentiert werden.“
Und Zimmermann weist auf einen Aspekt hin, der bei der sehr langwierigen Corona-Massenimpfung enorm wichtig sein wird: Es müsse wie schon bei den AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken) auch bei der Impfung unbedingt betont werden, „dass ich nicht nur mich selbst schütze, sondern auch das Gemeinwohl unterstütze“. Dr. Julia Neufeind, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Impfprävention am Robert Koch-Institut (RKI), drückt es so aus: „Man sollte klarmachen, dass Covid-19 eine lebensbedrohliche Krankheit sein kann und der Grund, warum wir impfen, ist, dass wir Menschen schützen wollen – allen voran jene, die ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf oder den Tod haben. Wenn wir in gut gemachten Studien sehen, dass Impfungen sicher und wirksam sind, muss das die Kernbotschaft der Kommunikation sein. Niedergelassene Ärzte spielen eine sehr wichtige Rolle in der Kommunikation, aber natürlich auch das private Umfeld.“ Für Neufeind ist es wichtig, die Corona-Impfung als ein Angebot, nicht als Verpflichtung oder gar als Pflicht zu kommunizieren. „Eine Impfung ist ein Baustein, um zu einer weitgehenden Normalität zurückzukehren. Das alles sind große Anreize, sich impfen zu lassen. All das wird aber ein wenig dauern, weil viele Menschen geimpft werden müssen. Wir müssen Geduld haben.“
Da es sich bei Impfstoffen um Präventionsmaßnahmen handelt – „sie schützen den gesunden Menschen vor einem Risiko, sie heilen nicht den bereits erkrankten Menschen“ –, müssten solche Vakzine besonders hohe Anforderungen erfüllen. Neufeind ist daher überzeugt: „Ein zugelassener Impfstoff wird sehr sicher sein. Es ist wichtig, dass geringe Restunsicherheiten, die nach einer Zulassung wie bei jedem anderen Medikament bleiben, auch als solche dargestellt werden und nicht als katastrophale Risiken aufgebläht werden.“
Erste Daten der fortgeschrittenen klinischen Prüfung legen nahe, dass die Impfstoffe eine hohe Wirksamkeit haben und im Allgemeinen gut vertragen werden. Als Nebenwirkungen traten bei einem Teil der geimpften Probanden laut den Unternehmen Müdigkeit, Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Rötungen an der Einstichstelle auf. Vergleichbare Reaktionen sind von anderen Impfstoffen bekannt und auch ein Zeichen dafür, dass der Impfstoff macht, was er soll: Das Immunsystem auf Trab bringen.
Was bisher fehlt, sind Informationen über seltene, auch schwere Nebenwirkungen, da diese erst nach Impfung vieler Menschen und längerer Beobachtungszeit zutage treten. „Es gibt deshalb ein Restrisiko“, sagt Christian Bogdan, Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene an der Uniklinik Erlangen. „Wie hoch das ist, muss in den kommenden Monaten und Jahren geprüft werden.“ Um seltene Nebenwirkungen zu erfassen, sei es üblich, klinische Studien auch nach der Zulassung fortzuführen. Grundsätzlich basiert die Entscheidung für oder gegen eine Impfung immer auf einer Nutzen-Risiko-Abwägung, sagt der Experte, der auch Mitglied der Ständigen Impfkommission ist.
Er macht folgende Beispielrechnung auf: Wenn ein alter Mensch bei einer Corona-Infektion mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent stirbt „und gleichzeitig das Risiko, eine schwere Nebenwirkung der Impfung zu bekommen, eins zu 50.000 oder noch weniger beträgt, würde ich dieses Risiko in Kauf nehmen. Das Risiko einer seltenen, schweren Nebenwirkung ist nicht gleich null, aber es ist im Vergleich zu anderen Risiken, die wir täglich in Kauf nehmen, etwa beim Autofahren, doch sehr gering.“
Sorgen, dass speziell die mRNA-Impfstoffe besondere Sicherheitsrisiken mit sich bringen und etwa das menschliche Erbgut verändern, halten Experten für unbegründet. „Denn die mRNA ist chemisch anders als die DNA aufgebaut und dringt nicht in den Zellkern vor, wo sich die Erbinformationen befinden, sondern bleibt im Zellplasma. Die mRNA-Impfstoffe sind also nicht in der Lage, an die Erbinformationen der Zellen anzudocken, um diese dann womöglich umzuprogrammieren“, sagt Prof. Dr. Michael Pietsch, Leiter der Abteilung für Hygiene und Infektionsprävention an der Unimedizin Mainz.
Riesige Hoffnungen dämpfen
Zugleich ist es aber auch wichtig, die riesigen Hoffnungen vieler in die Corona-Impfung zu dämpfen. Denn zwar sind die Impfstoffe hoch wirksam. Aber es ist unklar, sagt Expertin Neufeind, „in welchem Maße Geimpfte nach Kontakt mit Sars-CoV-2 das Virus noch an andere Personen weitergeben können. Es ist denkbar, dass eine geimpfte Person zwar nicht mehr an Covid-19 erkrankt, den Erreger aber für kurze Zeit in sich trägt und so andere anstecken kann. Das Einhalten von Hygieneregeln wird deshalb erst einmal eine wichtige Vorsichtsmaßnahme bleiben, um Ansteckungen zu verhindern.“
Weil aber nicht auszuschließen ist, dass Geimpfte das Virus weiter übertragen, ist es auch kaum möglich, ihnen Vorteile wie Theaterbesuche einzuräumen, was der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz, Dr. Peter Heinz, im Interview mit unserer Zeitung ins Spiel gebracht hatte. Durchaus möglich halten viele Experten aber, dass Reisen in bestimmte Länder künftig nur noch möglich sein werden, wenn man gegen Corona geimpft ist. Aber diese Regelungen gibt es auch schon lange bei anderen Impfungen.
Christian Kunst/Anja Garms