Interview mit Bildungsminister
Teuber: „Nicht alle Kinder haben die gleichen Chancen“
Arbeiterkind, Lehrer, Dreyer-Zögling: Der 42-jährige Sven Teuber ist seit Mitte Mai neuer rheinland-pfälzischer Bildungsminister.
Andreas Arnold/dpa

„Es geht ein ganz großer Traum in Erfüllung“, sagte der neue rheinland-pfälzische Bildungsminister Sven Teuber (SPD) bei seiner Vorstellung im Mai. Was hat er bis zur Landtagswahl im März 2026 noch vor? Und gibt es eine Jobgarantie für den Trierer?

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Frischer Wind im rheinland-pfälzischen Bildungsministerium: Mitte Mai hat Sven Teuber (SPD) als neuer Bildungsminister im zweithöchsten Stockwerk des Ministeriums auf dem Chefsessel Platz genommen. Hier ist der 42-jährige Trierer auch mal spätabends noch anzutreffen – kein Wunder, die Aufgaben und Herausforderungen in der Bildungspolitik, die Ländersache ist, sind groß. Wir haben mit dem Nachfolger von Stefanie Hubig über ein Handyverbot an Schulen, die Bildungschancen der kleinen Rheinland-Pfälzer gesprochen – und ihn gefragt, wie er die anstehenden Sommerferien, die am Freitag beginnen, verbringt. Das Interview im Wortlaut:

Sie lehnen pauschale Handyverbote ab und setzen auf pädagogische Lösungen im Dialog mit den Schulen und Schülern, zudem wollen Sie die Medienpädagogik stärken. Ist es aber nicht offensichtlich, dass die Schülerinnen und Schüler zu viel Zeit am Handy verbringen und die Nachteile der Handynutzung die Vorteile überwiegen?

Nein, für offensichtlich halte ich das nicht. Ich stimme Ihnen zu, dass häufig diejenigen Schülerinnen und Schüler, die ohnehin schon mental einen schweren Rucksack zu tragen haben, oft noch mehr Last aufgesetzt bekommen, weil sie sich ins Internet flüchten. Dennoch sage ich: Wir müssen die Schüler befähigen, ihr Smartphone intelligent zu nutzen. Ich möchte den Schülerinnen und Schülern nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe begegnen, ich möchte mit ihnen Strategien zur Handynutzung entwickeln. Ich möchte dahin kommen, dass Kinder und Jugendliche ihr Mediennutzungsverhalten stärker reflektieren.

Der neue rheinland-pfälzische Bildungsminister Sven Teuber ist gegen ein pauschales Handyverbot an Schulen.
Roland Weihrauch/dpa

Schauen wir noch auf einen anderen Aspekt: Die Polizei hat auch in Rheinland-Pfalz einen deutlichen Anstieg rechtsextremistischer Straftaten an Schulen registriert. Die Zahl stieg im Vergleich von 2023 zu 2024 von 25 auf 45, deutschlandweit hat sich die Zahl der gemeldeten Fälle in den letzten 10 Jahren mehr als verdoppelt. Haben die Schulen nicht auch die Pflicht, die Schüler vor Propaganda, vor Hass und Hetze im Netz besser zu schützen?

Das tun wir, indem wir seit Langem viel und gute Medienbildung betreiben. Wir haben als Gesellschaft die Pflicht, Schülerinnen und Schüler zu schützen – und sie zu mündigen Bürgern heranreifen zu lassen. Ich möchte, dass das Thema Kindes- und Jugendschutz nicht nur bei den Schulen abgeladen wird.

Deutschlandweit wird über Smartphones in Klassenräumen debattiert. Welche digitalen Skills sollen Schüler im Umgang mit Handys lernen – und wie fließen diese in Lehrpläne ein?

Wir führen jetzt das Pflichtfach Informatik mit je einer Stunde ab der siebten Klasse ein. Da werden wir über die Fragen, wie das Internet und Algorithmen funktionieren und wie ich mit meinen sensiblen Daten umgehe, sprechen, es wird aber auch um Medienbildung gehen. Wobei Medienbildung am Ende eine fächerübergreifende Aufgabe ist. Klar ist: Beim Thema Verbraucherschutz haben wir Verbesserungsbedarf. Ewig lange Widerspruchstexte wie kürzlich bei Meta, das angekündigt hat, Nutzerdaten auf Facebook und Instagram für das Training seiner KI zu nutzen, sind kein Zufall.

Kommen wir zum nächsten Thema. Sie sprechen offen darüber, dass Sie ein „Kind bildungsferner Teenager-Eltern“ sind, Ihre Karriere ist damit eine Blaupause für Bildungs- und Chancengerechtigkeit. Haben denn heute alle Kinder in Rheinland-Pfalz die gleichen Bildungschancen?

Nein, haben sie noch nicht. Und es ist unser Auftrag, das zu verbessern. Wir sind laut einer Studie des Ifo-Instituts vom vergangenen Jahr in Sachen Bildungsgerechtigkeit das beste Bundesland im Westen. Das heißt aber auch, dass wir „best of the rest“ sind. Und ich möchte nicht, dass wir hier stehenbleiben. Wir müssen besser werden. Dafür möchte ich mich in den nächsten Jahren einsetzen.

Ein Symptom dafür, dass nicht alle Kinder die gleichen Bildungschancen haben, ist die Tatsache, dass an der Gräfenau-Schule in Ludwigshafen in diesem Sommer voraussichtlich wieder über 30 Kinder die erste Klasse wiederholen müssen.

Ich bin selbst einmal sitzen geblieben. Wenn man den Kindern immer wieder den Stempel des Sitzenbleibers aufdrückt, macht das etwas mit den Kindern. Deshalb sollten wir genau auf unsere Wortwahl achten. Wenn ich sage, dass ein Kind eine zweite Chance bekommt, steht das gleich für eine ganz andere Haltung. Ich finde es richtig, dass wenn die Empfehlung für ein Kind lautet, eine Klasse zu wiederholen, dass dann der Junge oder das Mädchen diese Zeit bekommt, diese neue Chance bekommt. Wir haben es heute mit einer viel heterogeneren Schülerschaft zu tun. Es braucht einfach Zeit zum Lernen, Zeit zum Entwickeln. Ich sehe es als meine Aufgabe, aus der Situation in Ludwigshafen zu lernen. Und wir haben daraus gelernt.

Inwiefern beeinflussen Ihre eigenen Erfahrungen – Sie sagten es bereits, Sie haben selbst eine Klasse wiederholt – politische Entscheidungen?

Es beeinflusst mich insofern, dass ich sensibel auf das genaue Wording achte. Und ich weiß um die individuellen Situationen, wenn Kinder eine Klasse wiederholen müssen. In meiner Situation gab es einen ganz privaten Grund. Irgendwann habe ich erkannt, dass das Wiederholen eine Chance war. Ich will nicht, dass Kinder als Versager abgestempelt werden. Kinder wollen die bestmögliche Leistung zeigen.

Die Gräfenauschule in Ludwigshafen, hier Schulleiterin Barbara Mächtle, geriet in den vergangenen Jahren in die Schlagzeilen, weil jeden Sommer Grundschulkinder Klassen wiederholen mussten.
Uwe Anspach/dpa

Nicht nur in Ludwigshafen berichten Lehrer, dass es den Kindern an grundlegenden Fähigkeiten und Deutschkenntnissen fehlt, wenn sie in die Schule kommen. Warum sperren Sie sich gegen eine verpflichtende Vorschule, die in Hamburg erfolgreich ist?

Aus meiner Sicht geht es nicht um die Schulart, sondern um die Frage, wie wir ein Kind bestmöglich fördern und begleiten können. Es geht ganz zentral um das Thema Ungleichheit, nicht um einen Migrationshintergrund. Deswegen halte ich nichts davon, migrantische Kinder in separate Klassen der Vorschule zu schicken. Das würde alle Kinder mit Lücken ohne Migrationshintergrund ausschließen.

Für welchen Weg treten Sie dann ein?

Die Lösung kann nur in einem integrativen Ansatz mit einer ganztägigen Betreuung liegen, weil ich dann alle Kinder mit ihren Stärken und Schwächen beisammenhabe. Ich bin aber beim Punkt der verbindlicheren Standards bei der Vorbereitung auf die Schule dabei. Wir sind beim Übergang von der Kindertagesstätte zur Grundschule noch nicht gut genug.

Und was spricht nun gegen das Hamburger Modell?

Ich stelle die Gegenfrage: Wo ist der Unterschied zu Rheinland-Pfalz? Es gibt keinen. Wir erheben auch mit viereinhalb den Sprachstand.

Aber nicht für alle Viereinhalbjährigen. Und es gibt in Rheinland-Pfalz keine Pflicht, eine Kita zu besuchen, wenn die Defizite groß sind …

Es kann grundsätzlich keine Kita-Pflicht geben, aber es wird eine Förderung von 15 Stunden Kita-Besuch in der Woche angewiesen. Die Schulpflicht beginnt dann ab dem sechsten Lebensjahr.

Die könnten Sie ja nach vorne ziehen …

Das ist rechtlich nicht so einfach möglich. Das freie Wahlrecht der Eltern ist ein hohes Gut. Es ist auch höchstrichterlich entschieden worden, dass Eltern ein Wahlrecht haben müssen. Und noch etwas: Wenn wir über verpflichtende Vorschulklassen sprechen, müssen wir auch das große Thema Schulabsentismus, also das Fernbleiben vom Unterricht, beachten. Ganz so schön, wie die verpflichtende Vorschule auf dem Papier steht, ist sie auch nicht.

Sie wollen ab dem Schuljahr 2026/2027 alle viereinhalbjährigen Kinder zur Sprachstandserhebung schicken. Warum kommt die Erhebung nicht sofort?

Wir reden über mehr als 40.000 Erstklässler pro Jahrgang. Die Maßnahme muss vorbereitet und umgesetzt werden.

Wird es denn dann eine Pflicht geben, eine Kita zu besuchen, wenn ein Kind nicht gut genug Deutsch kann? 

Nein. Stand heute, ist das rechtlich nicht möglich. Ich bin ja bei Ihnen: Es gibt einen Kita-Gap, also eine Lücke, wenn man sich die Besuchsquote der Kinder von Eltern mit hohem und niedrigem Einkommen betrachtet. Entscheidend bei dem Thema ist aber auch die Akzeptanz der Eltern. Noch mal: Wir haben ein Elternwahlrecht. Und ich habe die Vorstellung, dass Eltern nur das Beste für ihr Kind wollen. Rheinland-Pfalz ist ein Land, das sich beim Kita-Angebot und -Ausbau früh auf den Weg gemacht hat. Gleichzeitig haben wir, gemeinsam mit den zuständigen Kommunen, beim Kita-Platz-Ausbau noch Potenziale und Notwendigkeiten.

In Rheinland-Pfalz sollen bald alle Kinder mit viereinhalb Jahren zur Sprachstandserhebung. Eine Pflicht, eine Kindertagesstätte zu besuchen, wenn die festgestellten Defizite zu groß sind, gibt es laut Bildungsminister Teuber nicht - dafür eine Förderung von 15 Stunden Kita-Besuch in der Woche.
Rolf Vennenbernd/dpa

Ministerpräsident Alexander Schweitzer räumte im vergangenen Jahr ein, dass das Sprachbad an Kitas in sozial herausfordernder Lage nicht mehr funktioniert. Warum halten Sie am Konzept der alltagsintegrierten Sprachförderung in den Einrichtungen fest?

Unser Konzept wird von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission empfohlen. Die Wissenschaft zeigt uns, dass der alltagsintegrierte Sprachansatz der erfolgversprechendste bei der Sprachbildung ist. Jedes Kita-Kind saugt die Sprache wie ein Schwamm auf, wenn eine Erzieherin zum Beispiel beim Mittagessen am Esstisch über die Bedeutung von Messer und Gabel spricht. Ich sehe übrigens hierzu gar keinen Dissens mehr im politisch-parlamentarischen Raum.

Auch in der Kita-Landschaft sind die Herausforderungen groß. Vielerorts fehlen Betreuungsplätze, oft müssen das Angebot und die Öffnungszeiten reduziert werden, Erzieher sind an der Belastungsgrenze. Wie wollen Sie schnell für mehr Verlässlichkeit sorgen?

Im Bildungsbereich sind schnelle Veränderungen schwer möglich, oft reden wir über Veränderungen über Jahre oder Jahrzehnte. Wir müssen aber über kürzere Zeiträume reden. Wir müssen die Betreuungsplätze ausbauen, weiter Kita-Fachkräfte anwerben. Unsere Erzieher-Werbekampagne funktioniert, wir haben über Tausende neue Fachkräfte, unsere Auszubildendenplätze sind voll. Das Entscheidende ist: Wir müssen das Personal lange gesund im Job halten. Dafür brauchen wir mehr Fachkräfte und einen Ausbau bei den Betreuungsplätzen.

Manche Städte und Kreise haben Vertretungspools für das Personal. Könnten sie ein Schlüssel für mehr Verlässlichkeit sein?

Ja. Da haben Städte gegenüber ländlichen Regionen einen Vorteil. Wir wollen uns genau anschauen, warum die einen das besser hinbekommen als die anderen. Wir müssen aber auch über Verwaltungsfachkräfte sprechen: Nur vier Prozent der Kitas haben solche Kräfte. Dabei könnten die Kita-Träger sie heute schon mit finanzieller Unterstützung des Landes einstellen, um die Kita-Leitungen zu entlasten.

"Der Ministerpräsident hat mich geholt - und damit nicht ohne Grund auf eine Person gesetzt, die aus der Schulpraxis und der Elternschaft kommt und eine hohe politische Erfahrung hat", antwortet Teuber auf die Frage, ob er im Falle eines SPD-Wahlsieges nächstes Jahr weitermachen darf.
Helmut Fricke/dpa

Was wollen Sie noch bis zur Landtagswahl im März 2026 erreichen – und haben Sie schon eine Zusage des Ministerpräsidenten, im Falle eines SPD-Wahlsiegs weitermachen zu dürfen?

Der Ministerpräsident hat mich geholt – und damit nicht ohne Grund auf eine Person gesetzt, die aus der Schulpraxis und der Elternschaft kommt und eine hohe politische Erfahrung hat. Der Ministerpräsident stuft Bildungsgerechtigkeit als höchstprioritär ein. Am Ende müssen nächstes Jahr die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Wir wollen die Frage von Bildungsgerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen, wir wollen die Verlässlichkeit des Bildungsangebots erhöhen. Wir setzen aber auch klar, im Gegensatz zur Opposition, auf das Thema Mündigkeit von Kindern.

Wie und wo verbringt der Bildungsminister die anstehenden Sommerferien und wie sehr freuen sich Ihre Kinder auf mehr gemeinsame Zeit mit ihrem Papa?

Darauf freuen sie sich genauso wie ich. Ich bin ein Familienmensch. Die Zeit mit den Kindern kommt im Moment ein bisschen zu kurz, wobei meine Kinder sich freuen, dass ich das Amt des Bildungsministers ausüben darf. Wir werden nach Südfrankreich und Italien fahren. Damit werde ich den Wünschen meiner Frau, die es als Halbgriechin heißer braucht, gerecht (lacht). Auf diese Zeit freue ich mich.

Das Interview führte Bastian Hauck.

Der neue Bildungsminister Sven Teuber

Sven Teuber ist seit Mitte Mai neuer rheinland-pfälzischer Bildungsminister. Der 42-jährige Gymnasiallehrer trat die Nachfolge von Stefanie Hubig an, die in der schwarz-roten Bundesregierung nun Bundesjustizministerin ist. Der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende sitzt seit 2016 im Mainzer Landtag. Teuber rückte jeweils für Ex-Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in das Parlament nach. Der Trierer war bis zu seinem Amtsantritt bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Teuber wuchs in einem bildungsfernen Haushalt in Niedersachsen auf. Seine Eltern bekamen ihn schon mit 17 Jahren. Er studierte Politikwissenschaft und Germanistik für das Lehramt an Gymnasien in Trier, unterrichtete vor seiner Abgeordnetentätigkeit in Kusel. Der Vorsitzende der Trierer SPD ist verheiratet und hat zwei Kinder. bas

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