Rheinland-Pfalz. Just an ihrem Geburtstag lag unerfreuliche Post im Briefkasten: 2800 Euro, wurde Christine Goßlau im vergangenen Dezember schriftlich aufgefordert, sollte sie an die Pflegekammer Rheinland-Pfalz zahlen, es drohte die Zwangsvollstreckung. Die Leiterin einer onkologischen Tagesklinik an einem Krankenhaus in Koblenz fiel aus allen Wolken, wie sie unserer Zeitung berichtet. Mit den 2800 Euro forderte die Kammer demnach rückwirkend offene Mitgliedsbeiträge ein. Nur: Goßlau hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, dass sie überhaupt Pflichtmitglied der Pflegekammer Rheinland-Pfalz ist. Kein Schreiben, keine Mitgliedsnummer, keine vorherige Zahlungsaufforderung, rein gar nichts habe darauf hingewiesen, sagt sie. Diese Intransparenz ärgert Goßlau, die sich seit dem unerfreulichen Schreiben überhaupt erst intensiv mit dem Thema Landespflegekammer beschäftigt.
Ähnliches wie Goßlau weiß Alexandra Schug zu berichten. Nicht nur aus eigenem Erleben, sondern auch über Erfahrungen anderer Pflegefachkräfte. Sie leitet eine Senioreneinrichtung im Kreis Birkenfeld und ist Gründerin einer inzwischen 1700 Mitglieder starken Facebook-Gruppe namens „Stopp der Pflegekammer Rheinland-Pfalz“. Goßlau, Schug – sie sind treibende Kräfte hinter den Protesten gegen die Landespflegekammer. Diese werden lauter, man organisiert sich in lokalen Pflegebündnissen. Kritische Stimmen wie die beiden Frauen oder auch Michael Pauken, Leiter eines Seniorenzentrums im Kreis Trier-Saarburg und Sprecher des Pflegebündnisses Trier, stellen den Nutzen der Kammer für Pflegefachkräfte im Land deutlich infrage. Pauken sagt etwa: „Die Kammer hat für die Pflegefachkräfte in Rheinland-Pfalz nichts bewirkt.“
Um was es eigentlich geht
Kritisch gesehen wird die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer. Auch die Beiträge, die die Kammer von ihren Mitgliedern verlangt, stehen in der Kritik. Der Bundesverband der freien Kammern etwa hält die Beiträge nicht für rechtskonform und hat diese Ansicht bereits erfolgreich vor Verwaltungsgerichten vertreten: Unsere Zeitung berichtete etwa im vergangenen Jahr, dass die Kammer Beitragsbescheide inzwischen bereits im Widerspruchsverfahren aufhob, spätestens aber, wenn eine Klage dagegen erhoben wurde. Gleichwohl wies die Kammer damals sämtliche Vorwürfe zum Zweifel an der Rechtskonformität zurück.

Streit um Beiträge der Pflegekammer: Unseriöse Berechnung?
Um die Pflichtbeiträge, die die rheinland-pfälzische Pflegekammer, von ihren Mitgliedern verlangt, gibt es seit Jahren Auseinandersetzungen - auch juristische. Der Bundesverband für freie Kammern hält die Beiträge nicht für rechtskonform, die Pflegekammer wiederum weist alle Vorwürfe von sich.
Unter anderem vor diesem Hintergrund geht es Aktiven wie Pauken, Goßlau und Schug darum, die Kritik an der Kammer mehr in die Öffentlichkeit zu bringen – und auch in die eigene Branche, wie die drei sagen: „Da herrscht teils nach wie vor eine gewisse Unkenntnis in Bezug auf die Landespflegekammer.“
Nach Trier und Mainz auch Protest in Koblenz
Nun steht weiterer Protest an: Für Samstag, 5. Juli, ist in Koblenz mittags ein Demonstrationszug samt Kundgebung in der Innenstadt geplant, das Motto lautet „Gegen den Pflegekammerzwang“. Dafür mobilisiert das veranstaltende Pflegebündnis Koblenz auf allen Kanälen, mittlerweile sogar mit einem Deutsch-Rap-Song auf Tiktok. Bereits in Trier und Mainz hatte es in den vergangenen Monaten entsprechende Demonstrationen gegeben. Das zeigt: „Die Kritik an der Kammer verstetigt sich“, sagt Michael Pauken.
Landespflegekammer wurde 2016 gegründet
Die Kammer wurde 2016 als bundesweit erstes Gremium dieser Art mit den Zielen gegründet, den Pflegeberuf zu stärken, die Qualität der Versorgung zu sichern und um Fachkräften politische Stimme zu verleihen. Mit rund 40.000 Mitgliedern und durchschnittlichen Beiträgen von 11,80 Euro monatlich sollte die Kammer als Instrument beruflicher Selbstverwaltung dienen – ein Modell, dem andere Bundesländer folgen sollten.
Jedoch: Kammerprojekte in Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden nach Abstimmungen wieder aufgelöst, ein Anlauf in Baden-Württemberg scheiterte 2024. Aktuell existiert neben Rheinland-Pfalz nur noch eine Kammer in Nordrhein-Westfalen – und diese verzichtet auf Pflichtbeiträge. Stattdessen trägt das Land die Finanzierung bis 2027. Ähnliches wünschen sich die Pflegekräfte in Rheinland-Pfalz. Stattdessen müssen die Mitglieder in Rheinland-Pfalz im Schnitt knapp 140 Euro pro Jahr zahlen. Grundlage ist eine Selbstauskunft zum Einkommen. Die Höhe der Beiträge war Anfang 2025 erstmals seit Gründung der Kammer leicht angehoben worden, im Schnitt etwa um 2 Euro pro Monat.

Dieser Schritt war einer der Gründe, weshalb der Protest gegen die Kammer Schwung bekommen hat. „Noch mehr Geld für keinerlei Gegenleistung zahlen? Dafür haben wir kein Verständnis“, sagt Pauken. Spannung erzeugte zuletzt auch die Ankündigung der Kammer, auch bislang nicht registrierte Pflegekräfte zur Beitragszahlung aufzufordern. Arbeitgeber wurden demnach gebeten, erklärten Pauken und Schug, entsprechende Daten weiterzuleiten – was in einigen Einrichtungen auf Widerstand stieß.
Paukens Blick auf die Kammer hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert: Als sie 2016 gegründet wurde, war der aus Koblenz stammende Pauken ein Fürsprecher: „Ich habe damals für die Gründung gestimmt“, sagt er. Heute würde er das nicht mehr tun: „Die Kammer hat nichts für die Pflegebranche in Rheinland-Pfalz erreicht.“ Goßlau und Schug stimmen dem zu: Arbeitsbedingungen in der Pflege hätten sich nicht verbessert, auch wenn dies das Ziel der Kammer gewesen sei.
Was die Kammer zu den Vorwürfen sagt
Markus Mai, Präsident der Landespflegekammer, sieht das völlig anders. „Die Abschaffung der Pflegekammer wäre ein Schaden für alle“, hatte er im Mai gegenüber der Presse erklärt. Die Kammer sorge für mehr gesellschaftliche Anerkennung und politische Mitsprache. Gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen würden über 250.000 Pflegefachkräfte vertreten – „mehr als in den Gewerkschaften“.
Er verweist auf Fortschritte, etwa auf eine neue, gerade in Kraft getretene Fortbildungsordnung, die jährlich zweieinhalb Tage Weiterbildung für Pflegekräfte vorschreibt. Zudem würden in Notlagen auch Einzelfälle unterstützt: „Dann treten wir an die verantwortlichen Träger heran“, so Mai, der auch darauf verwies, dass Mitglieder der Pflegekammer nun in einer Befragung um Verbesserungsvorschläge gebeten würden.
In Bezug auf die Zahlungsbescheide hatte Mai erklärt, dass die Kammer mittlerweile konsequent säumige Mitglieder anschreibe. „Keiner zahlt gern Beiträge“, hatte Mai der Deutschen Presse-Agentur (dpa) gesagt, „aber es gibt eine gesetzliche Grundlage. Und an die muss man sich halten“.
Verhärtete Fronten
Wie sehr die Fronten zwischen Kammer und Kritikern verhärtet sind, zeigt sich übrigens auch daran, dass gegen manche Aussagen, die Mai gegenüber der dpa tätigte, eine Unterlassung seitens der Kritiker erwirkt wurde. Das entsprechende Schreiben liegt unserer Zeitung vor. Unter anderem hatte Mai davon gesprochen, dass lediglich eine überschaubare Gruppe gegen die Kammer protestiere. Das sieht die Gegenseite völlig anders.