Künstliche Intelligenz (KI) ist aus dem Alltag vieler bereits jetzt schon nicht mehr wegzudenken. Schüler, Studenten und Menschen aus den unterschiedlichen Berufsgruppen bedienen sich dieser noch sehr neuen Technik dieser Tage schon (fast) täglich. Nicht immer ist das unproblematisch. Aber kann man sie auch in einem so sensiblen Bereich wie der Justiz einsetzen? Am Koblenzer Oberlandesgericht (OLG) ist nun in einem Vortrag ein Beispiel aufgezeigt worden, bei dem KI bedenkenlos – und gleichzeitig mit großem Lerneffekt für Rechtsreferendare – herangezogen werden kann. Es geht um eine futuristisch anmutende Virtual-Reality-Brille und ChatGPT. Aber von vorn.
Die noch laufende „Woche der Justiz“ steht in Rheinland-Pfalz gänzlich unter dem Stern von Recht und Gesetz – Justizbehörden haben einer interessierten Öffentlichkeit Tür und Tor geöffnet, um über den Alltag in Justitias Hallen zu informieren. So auch das Koblenzer OLG. Mats Becker ist Richter am Landgericht Koblenz und darüber hinaus am OLG an Rhein und Mosel Ausbildungskoordinator für das Rechtsreferendariat und Mitarbeitender im Sachgebiet IT-Angelegenheiten. Becker sagt zu Beginn seines Vortrags, dass Jurastudenten typischerweise eine Menge Bücher – aber während der Uni-Jahre so gut wie keine Menschen befragen müssten. Das Jurastudium sei „sehr schriftlich gehalten“ – mündliche Tests spielten im Curriculum eher die zweite Geige.
Ins kalte Wasser geworfen
Das sei nicht unproblematisch. Denn: „ Unser Job ist ein redender Job in der Praxis. Wir werden aber nicht wirklich darauf vorbereitet“, sagt Becker. Im Referendariat nach dem Studium werde dies dann meist nur bedingt besser. Überspitzt und mit einem Augenzwinkern sagt Becker über die Ausbildungs- und Studienzeit: „Also in sieben Jahren hat man fünf Mal verpflichtend geredet.“ Weshalb so mancher angehende Richter später das Gefühl habe, „ins kalte Wasser geworfen“ zu werden, wenn es plötzlich darum gehe, Angeklagte und Zeugen zu befragen.
Hier kommt nun die KI-Virtual-Reality-Brille ins Spiel. Sie ist für Referendare konzipiert worden, um ebendiesem Wurf ins kalte Wasser vorzubeugen – und ihnen schon frühzeitig praktische Vernehmungserfahrung zu vermitteln. Blickt man durch die Brille, so sieht man einen typisch anmutenden Gerichtssaal, „seine“ Richterbank, den Zeugentisch samt dem oder der Zeugin, die Zuschauerbänke dahinter, links und rechts weitere lange Bänke für Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Richter Mats Becker hat die Funktionsweise der Brille im OLG genau erklärt. Was er durch die Brille sieht, wird für die Zuhörer des Vortrags auf einen Bildschirm hinter dem Richter projiziert. Das Szenario – ein Zivilprozess, es geht um einen Autounfall, die Vorfahrt soll genommen worden sein.
Der Lilastich in den Haaren
Die Technik der Brille funktioniert im Zusammenspiel mit ChatGPT. Entwickelt wurde sie von Professor Simon Heetkamp von der Technischen Hochschule in Köln, erzählt Richter Becker. Die Referendare müssen gezielt und laut Fragen stellen, um den vorprogrammierten Zeugen die wichtigsten Details zu dem Unfallhergang zu entlocken. Die virtuellen Zeugen reagieren realistisch auf die Fragen. Schnell wird während der Vorführung der Technik im OLG aber klar: Wer als Richter offene Fragen à la „Wie war die Situation denn?“ stellt, der bekommt auch offene Antworten – und eine ganze Menge Infos, die mit dem eigentlichen Unfallgeschehen rein gar nichts zu tun haben.
Etwa die Information, dass die Zeugin am Morgen beim Friseur war – und weil ihre Lieblingsfriseurin nicht da gewesen sei, habe sie nun einen Lilastich im Haar. „Die Zeugen meinen es nicht böse“, sagt Becker und muss grinsen. Aber: Auf offene Fragen dürften auch offene Antworten kommen. Die erste Lernerkenntnis also: Die Frage war schlecht. Besser wäre es gewesen, zunächst gezielt nach Name, Alter, Anschrift und Beruf zu fragen. Und in Frage zwei gleich konkret und zeitlich eingegrenzt zum Unfallhergang zu kommen. Was die Zeugin gefrühstückt hat, tut nichts zur Sache. Das Virtual-Reality-Projekt sei bereits fünf Mal in Koblenz und einmal in Bad Kreuznach mit Referendarinnen und Referendaren erprobt worden, sagt Becker. Mit Erfolg – alle Teilnehmenden hätten die Technik gelobt und viel gelernt.
Justizminister über KI und Justiz
Im April hatte unsere Zeitung Justizminister Philipp Fernis interviewt. Wir wollten unter anderem wissen, ob KI auch in der Justiz eine tragende Rolle spielen wird. Fernis sagte: „KI ist natürlich auch für die Justiz ein großes Thema. Gleichzeitig ein Thema mit ganz hoher Sensibilität. Sucht eine KI aus Schriftsätzen etwa Beteiligte heraus und legt die Akte im digitalen System vollständig an, so ist das weitgehend unproblematisch und hilfreich. Wenn ich aber an eine KI denke, die mir Dinge inhaltlich in irgendeiner Form vorstrukturieren soll, ist das extrem sensibel. Weil es da um die Sphäre menschlicher Rechtsanwendung geht.“
Weiter erklärte Fernis, dass man bei den ersten „unproblematischen“ Dingen bereits in der Pilotierung sei. Andere Fragen seien noch im Experimentierfeld. Fernis: „Da entwickelt sich viel. Aber wir müssen – wie gesagt – aufpassen. Beispiel ChatGPT. Wenn Sie da eine juristische Frage eingeben und sind Jurist, sage ich Ihnen: Das Ding lügt wahnsinnig eloquent. Das ist relativ gefährlich.“
Die Politikkarriere von Philipp Fernis steuerte seit Jahren auf das Amt des Landesjustizministers zu – und doch gab es heftige Turbulenzen auf den letzten Metern. Im RZ-Interview erklärt Fernis, wie es so weit kommen konnte – und was er nun vorhat.„Daniela Schmitt kann mir selbstverständlich vertrauen“