„Wahrheit hat Methode“ – mit diesem selbst gewählten Leitsatz beschreibt Marco Ludwig seine neue Aufgabe als Präsident des Statistischen Landesamts in Rheinland-Pfalz. Die Zahlen, die sein Haus liefert, sollen Orientierung geben – gerade in Zeiten, in denen die gefühlte Wahrheit oft lauter ist als die reale. Im Interview spricht Ludwig über Herausforderungen wie Fachkräftemangel, Künstliche Intelligenz und das Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Datennutzung.
Ihr Vorgänger Marcel Hürter sagte bei Ihrer Amtseinführung vor ein paar Wochen, dass er „aus dem schönsten Amt ausscheidet, das die Landesverwaltung wohl zu bieten hat“. Können Sie diesen positiven Eindruck nach Ihren ersten Wochen im Amt bestätigen, Herr Ludwig?
Ja, ich kann ja jetzt nichts anderes sagen (lacht). Spaß beiseite: Ich bin sehr herzlich empfangen worden und in den ersten Wochen sehr gut unterstützt worden. Ich kann die Aussage meines Vorgängers absolut verstehen.
„Wir werten ganz nüchtern Daten und Fakten aus. Oft gibt es doch eine Diskrepanz zwischen einer medialen Wahrnehmung, einem Bauchgefühl der Bürgerinnen und Bürger – und der tatsächlichen Realität.“
Marco Ludwig
Sie selbst sprachen davon, dass das Statistische Landesamt „das geeichte Maßband der Demokratie“ sei. Ohne Zahlen und Daten sei die Welt chaotisch und ungeordnet. Man gebe mit der Arbeit eine objektive Orientierung. Sehen Sie sich und das Landesamt als Demokratieverteidiger?
Wir sind mindestens mal der Lieferant von ganz wichtigen, auf tatsächlichen Verhältnissen beruhenden Basisdaten. Wir werten ganz nüchtern Daten und Fakten aus. Oft gibt es doch eine Diskrepanz zwischen einer medialen Wahrnehmung, einem Bauchgefühl der Bürgerinnen und Bürger – und der tatsächlichen Realität.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wenn es zum Beispiel heißt, dass die Autoindustrie wankt und man das Gefühl hat, dass auf einmal die ganze Welt zusammenbricht, dann liefern wir die Fakten: Wir sagen, wie Umsätze und Beschäftigung sich entwickeln und wie viele Insolvenzen es wirklich gibt. Nur wir können das neutral und nachhaltig. Somit sorgen wir für die gleiche Basis, für die gleiche Grundlage, auf die die Diskussionen der Gesellschaft aufsetzen können. Das ist ganz entscheidend, gerade in diesen Zeiten.

Wir erleben herausfordernde Zeiten, in den USA werden Debatten teilweise völlig frei von Fakten geführt, auch hierzulande gewinnt die gefühlte Wahrheit immer mehr an Einfluss. Welchen Beitrag kann an diesem Punkt das Landesamt leisten?
Wir haben mal überlegt, was unser Slogan sein könnte. Unser derzeitiger Favorit lautet: Wahrheit hat Methode. Dieser Satz sagt sehr viel aus. Ich würde schon sagen, dass wir durch unsere Arbeit mit der Erhebung einer soliden Datenbasis und ihrer sachgerechten Darstellung die Demokratie stärken und verlässlich machen – weil wir durch die bereitgestellten Zahlen Politikern auch zeigen, wo es hakt und wo es gut läuft.
Welche Herausforderungen sehen Sie für das Statistische Landesamt? Ihr Vorgänger mahnte, dass die Dateninfrastruktur nicht gut sei und dass es keine gute Vernetzung zum Datenaustausch gebe.
Auch wir kämpfen mit dem Fachkräftemangel. Der große Vorteil ist, dass die Mitarbeitenden des Landesamtes sehr technikaffin sind. Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Prozessoptimierung werden als Chance gesehen. Ich glaube übrigens, dass sich in der Bevölkerung die Ansicht durchsetzt, dass wir durch die Digitalisierung die Arbeitsbedingungen verbessern und erleichtern und damit auch dem Fachkräftemangel begegnen. Wir haben künftig quantitativ nicht genügend Leute, die die anfallenden Aufgaben bewältigen können. Im Statistischen Verbund mit den anderen Landesämtern und dem Bund können wir gemeinsam Fortschritte erzielen.

Neuer Zahlenchef in Bad Ems: Mit Fakten gegen Fake News
Marco Ludwig ist neuer Präsident des Statistischen Landesamts RLP. Er will mit objektiven Daten Orientierung geben – als „geeichtes Maßband der Demokratie“ und Bollwerk gegen Fake News. Vorgänger Marcel Hürter wechselt zum Rechnungshof.
Da bin ich erst mal zurückhaltend. Wir wissen alle, dass die KI mitunter totalen Nonsens ausspuckt. Wir als Statistisches Landesamt müssen vorsichtig sein, weil es natürlich auch kriminelle Energie gibt, die KI falsch zu trainieren. Wir werden Expertise brauchen, um die KI in unserem Bereich einsetzen zu können. Die Verlässlichkeit der Daten muss gegeben sein.
Gehört auch die Dateninfrastruktur und die Vernetzung für einen Datenaustausch zu den echten Aufgaben des Landesamtes?
Einmal geht es um die Schnittstellen für den Datenaustausch. Da gibt es mit Sicherheit ein Defizit. Aber das ist lösbar. Dann geht es um die Datenaus- und -verwertung. Wir haben zum Beispiel nicht nur beim Zensus, bei der Bevölkerungszählung, ein sogenanntes Rückspielverbot.
Das bedeutet?
Wir dürfen die Daten nur für das Zensus-Projekt verwenden – für andere statistische Erhebungen mit übereinstimmenden Merkmalen aber nicht. Das ist ein Beispiel, wodurch Mehraufwände entstehen. Da geht es um das Thema Datenschutz, gegen den ich grundsätzlich nichts habe. Mit einem liberaleren Datenschutz wäre und muss mehr Austausch zwischen Datenhaltern möglich sein. Das ist doch keinem erklärbar: Selbst derjenige, der Daten freigeben möchte, kann sie mitunter aus Datenschutzgründen nicht bereitstellen. Es geht also um die Frage, wie wir es schaffen, die Datenregister so miteinander zu verknüpfen, dass es für die Bürgerinnen und Bürger einfacher wird, nicht alles zweimal, dreimal eingeben oder abgeben zu müssen. Die Grenze ist der „gläserne Mensch“. Den wollen wir in der amtlichen Statistik sicherlich nicht.

Sehen Sie denn auch die Herausforderung, die Daten, über die Sie verfügen, noch attraktiver zu machen, auch für die Bevölkerung?
Ja, das ist unser Ziel. Wir wollen das moderner gestalten. Wir wollen die Daten auch und gerade für diejenigen, die wir weiter für die Demokratie begeistern und gewinnen wollen, noch attraktiver gestalten. Da reicht es nicht, Daten einfach schön in ein PFD-Dokument zu packen. Wir bauen gerade mit anderen Ländern ein neues Tool auf. Wir sind da auf einem guten Weg.
Wie schnell muss es bei diesen Herausforderungen vorangehen? Sie haben den Spitznamen „DSL – der schnelle Ludwig“ …
Den hat der Innenminister mir aufgegriffen (lacht). Ich finde ihn nicht schlecht. Ich bin eben entscheidungsfreudig. Wir lähmen uns manchmal in Deutschland, weil wir die eierlegende Wollmilchsau konzipieren wollen. Es muss nicht alles perfekt sein, wenn etwas an den Start gehen soll. Es darf auch eine Entwicklung geben. Stichwort: Pareto-Prinzip. Das müssen wir leben. Dann kommen wir auch schneller voran.

Sie sind nicht nur Präsident des Statistisches Landesamtes, sondern auch neuer Landeswahlleiter. Nach der Bundestagswahl Ende Februar gab es mächtig Kritik für die Darstellung der Wahlergebnisse. Die allermeisten Briefwahlstimmen werden in Rheinland-Pfalz nicht auf der Ebene der Ortsgemeinden ausgezählt, sondern gebündelt auf der nächsthöheren Verwaltungsebene, also in den Verbandsgemeinden. Sie können dann den Ortsgemeinden nicht mehr zugeordnet werden. Dennoch weist der Landeswahlleiter in seinen Ergebnisübersichten und -grafiken Ortsgemeindeergebnisse aus, die in den allermeisten Fällen aber nur die Urnenwahl berücksichtigen, was mitunter zu erheblichen Verzerrungen führt. Wie groß war der Unmut?
Ich weiß nicht, ob der Unmut wirklich so groß war oder ob er größer gemacht worden ist. Klar ist: Man muss das auf einer rechtlichen Grundlage fußende Thema politisch bewerten – und am Ende muss es politisch entschieden werden, wenn die Darstellung einen unliebsamen Eindruck vermittelt.
Der Politikwissenschaftler Uwe Jun sagte unserer Zeitung: „Wahlergebnisse müssen so transparent wie möglich dargestellt werden. Der derzeit offenbar in Rheinland-Pfalz gepflegte Umgang mit den Briefwahlergebnissen sollte überprüft und verändert werden.“ Wird der Umgang denn nun verändert?
Wir sind bei dieser Frage vom Bundesgesetzgeber abhängig, wir können das Gesetz von Rheinland-Pfalz aus nicht einfach ändern. Bei der anstehenden Landtagswahl wird uns dieses Problem ja bekanntermaßen nicht begegnen. Ich muss aber in einer Sache widersprechen: Es kann nicht mehr Transparenz geben, als es sie bei der Bundestagswahl gab. Es wurden alle Ergebnisse veröffentlicht und die Einschränkungen für die Ortsgemeindeergebnisse wurden ausführlich erklärt – transparenter geht es nicht. Alle von den Wahlvorständen ausgezählten Ergebnisse sind in das Gesamtergebnis eingeflossen.

„Leider ist es nicht möglich, auf der Ebene der Gemeinde Urnen- und Briefwahlergebnisse zusammen auszuzählen und darzustellen“, teilte die Landeswahlleitung damals mit und verwies auf das Bundeswahlgesetz …
Genau. Deswegen hat das Land dem Bund nun den Vorschlag gemacht, personenidentische Urnen- und Briefwahlvorstände in den Wahlbezirken bilden zu dürfen, die an einem Wahlabend zuerst das Urnenwahlergebnis und danach, getrennt davon, das Briefwahlergebnis ermitteln. Beide Ergebnisse könnten dann in ein Gesamtergebnis der Gemeinde fließen. Dadurch könnte die Anzahl der nötigen Wahlvorstände verringert werden, man benötigt also nicht mehr die doppelte Anzahl an Wahlhelfern.
Und wie hat der Bund auf den Vorschlag reagiert?
Der Vorschlag ist auf Bundesebene angekommen und wurde eingehend diskutiert. Die Antwort steht noch aus. In bilateralen Gesprächen konnte ich keine kategorische Ablehnung vernehmen.
Ihre klare Forderung ist also, dass die bestehende Unvereinbarkeitsregel aufgehoben wird?
Ja, auf jeden Fall. Was ich definitiv sagen kann, ist, dass das Ganze bei der Landtagswahl im nächsten Jahr nicht vorkommen wird. Da werden wir gemäß Landeswahlgesetz ein Gesamtergebnis für jede Gemeinde präsentieren können – genauso wie bei der Kommunalwahl.

Kritik an verzerrten Wahlergebnisgrafiken wird lauter
Wer in den offiziellen Wahlergebnisgrafiken des Landeswahlleiters auf eine einzelne Ortsgemeinde klickt, bekommt meist nicht das komplette Wahlergebnis angezeigt, sondern nur das der Urnenwahl. Die Briefwahlstimmen fehlen.
Was dann noch mit reinspielte, war das Thema „Kleine Gemeinden“ in Rheinland-Pfalz, die kleinteilige Kommunalstruktur in unserem Bundesland. Sind Sie für eine Kommunalreform?
Die Größe der Gemeinde und die Darstellungsprobleme durch das Bundeswahlgesetz haben nichts miteinander zu tun.
Das müssen Sie erläutern.
Worauf Sie anspielen, ist die Mindestzahl an Wählerstimmen. Zur Sicherung des Wahlgeheimnisses darf für eine Auszählung eine Mindestanzahl an Wählerstimmen nicht unterschritten werden. Werden weniger als 30 Stimmen im Urnenwahlbezirk abgegeben, müssen die Stimmen gemeinsam mit einem anderen Wahlbezirk ausgezählt werden. Ein Briefwahlvorstand kann nur eingerichtet werden, wenn mindestens 50 Wahlbriefe abgegeben werden. Das ist bei kleinen Gemeinden schon eine Herausforderung.
„Grundsätzlich ist es das Ziel und der Wunsch, dass das Statistische Landesamt in Bad Ems bleibt – und dort renoviert und modernisiert wird.“
Marco Ludwig
Wie kommen wir aus dem Dilemma heraus? Brauchen wir eine Kommunalreform?
Ich habe die kleinteilige Struktur unseres Bundeslandes schätzen gelernt. Die Bürgerinnen und Bürger haben sehr schnell einen Ansprechpartner. Allein die größere räumliche Distanz, die der Bürger zu einer Kreisverwaltung hat, stimmt mich skeptisch. Ich glaube, dass die Anonymität auch eine große Gefahr ist, die dem Populismus Tür und Tor öffnet. Ich sehe auch den Ansatz des Innenministeriums, die interkommunalen Zusammenarbeit (IKZ) zu fördern, als absolut richtig und wichtig an. Nicht top down, sondern bottom up.
Was sagen Sie zur Zukunft des Standortes des Statistischen Landesamtes in Bad Ems?
Grundsätzlich ist es das Ziel und der Wunsch, dass das Statistische Landesamt in Bad Ems bleibt – und dort renoviert und modernisiert wird. Der Sanierungsbedarf ist hoch. Die Sanierung hat bei mir höchste Priorität. Mein Wunsch ist es, das so hinzubekommen, dass wir teilweise im Bestand renovieren und für die Sanierungsphase nicht komplett woanders hinziehen müssen. Das Statistische Landesamt hat 330 Mitarbeitende und bietet die Möglichkeit, 60 Prozent der Arbeitszeit mobil zu erbringen.
Zur Person
Marco Ludwig, geboren 1977, ist seit dem 1. April 2025 Präsident des Statistischen Landesamtes RLP in Bad Ems und zugleich Landeswahlleiter. Nach seinem Studium des Vermessungswesens an der Technischen Universität Darmstadt, das er im April 2006 mit dem Diplom abschloss, absolvierte er den Vorbereitungsdienst für den höheren technischen Verwaltungsdienst in den Bereichen Vermessung und Liegenschaftswesen und legte 2008 die große Staatsprüfung ab.
Seine berufliche Laufbahn begann Ludwig im August 2009 beim Vermessungs- und Katasteramt in Alzey, später wechselte er zum Amt in Birkenfeld. Im Jahr 2012 wurde er ins Innenministerium abgeordnet. Anschließend war er am Landesamt für Vermessung und Geobasisinformation in Koblenz tätig. 2016 übernahm er im Innenministerium die Leitung des Referats für Raumbezug, Geodatenmanagement und Gebührenrecht. Mit dieser vielseitigen Verwaltungserfahrung wurde er schließlich an die Spitze des Statistischen Landesamtes berufen. red