Lebensqualität. Vor 20 Jahren wäre dieses Wort bei einer Veranstaltung, die sich um die Kooperation von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik mit Blick auf den Wettbewerb um Fachkräfte dreht, wohl eher selten gefallen. Am Freitag war Lebensqualität eine zentrale Vokabel, als sich Vertreter der Wirtschafts- und Wissenschaftsallianz (WWA) Region Koblenz bei der Firma Dornbach darüber austauschten, wie Fachkräfte aus In- und Ausland an den Mittelrhein gelockt und vor allem auch gehalten werden können. Der Mainzer Wissenschaftsminister Clemens Hoch (SPD) ist überzeugt: „Die Menschen werden sich ihr Lebensumfeld künftig aussuchen und von dort aus ihr Arbeitsumfeld orchestrieren.“
Lebensqualität und der Wettbewerb um Spitzenkräfte, das zeigte die von RZ-Chefredakteur Lars Hennemann moderierte Diskussion, ist eine Wissenschaft für sich, zu der die acht Hochschulen in der Region und der breit aufgestellte Mittelstand viel beitragen. Aber WWA-Vorstandssprecher Prof. Markus Rudolf von der WHU in Vallendar gab zu bedenken: So vielschichtig die Hochschullandschaft mit so einzigartigen und spezialisierten Einrichtungen wie der Hochschule der Deutschen Bundesbank in Hachenburg sei, so lebenswert und schön die Region Koblenz sei – „sie gehört nicht zu den Spitzenregionen von Deutschland. Es gibt noch Luft nach oben.“
Ich würde mir einen stärkeren Fokus auf das nachhaltige Wirtschaften wünschen. Damit werden sich künftig viele Unternehmen beschäftigen. Auch wir als WHU wissen noch nicht, was an einer CO2-neutralen Wirtschaft anders ist als an einer gasbetriebenen.
WWA-Vorstandssprecher Prof. Markus Rudolf von der WHU in Vallendar
Es sei zwar richtig, betonte er, dass die Hochschulen auf Schwerpunkte wie Wasserstoffwirtschaft, Ökologie, Digitalisierung und IT setzen. „Da haben wir auch im Unternehmenssektor einige große Player wie die Compugroup, 1&1 oder die Debeka. Ich würde mir aber einen stärkeren Fokus auf das nachhaltige Wirtschaften wünschen. Damit werden sich künftig viele Unternehmen beschäftigen. Auch wir als WHU wissen noch nicht, was an einer CO2-neutralen Wirtschaft anders ist als an einer gasbetriebenen.“ CO2-neutrale Geschäftsmodelle zu entwickeln und Firmengründungen den Weg zu bereiten, sei ein Zukunftsthema für die Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft.
Da ist es gut, dass sich die Hochschullandschaft in der Region, wenn auch teils notgedrungen, mit Blick auf die ab 2023 selbstständige Uni Koblenz und die neu aufgestellte Vinzenz Palloti University in Vallendar (PTHV) im Umbruch und auf Profilsuche befindet. PTHV-Geschäftsführerin Julia Sander berichtete, dass man nach dem Aus für die pflegewissenschaftliche Fakultät fünf neue Studiengänge entwickelt habe. Darunter ist ein Master in Leadership, „weil wir für die Wirtschaft gern etwas anbieten wollen – wir wollen unsere Tradition von 125 Jahren Werteforschung in die Führungspraxis einbringen“. Dabei gehe es auch um das Thema Nachhaltigkeit.
Die Uni Koblenz fährt bei ihrer Profilbildung zweigleisig. Neben Zukunftsthemen wie der Keramikforschung, Gesundheitswissenschaften und Informatik setzt der künftige Unipräsident Prof. Dr. Stefan Wehner auch auf die Lehrerausbildung, die letztlich auch zur Lebensqualität beitrage: „Es ist wichtig für die künftigen Führungskräfte und Mitarbeiter, dass sie auch ein gutes Bildungsangebot für ihre Kinder bekommen. Wir sind darauf angewiesen, dass wir Lehrer für alle Schulformen besetzen können.“ Es brauche daher neben den für den Mittelstand unmittelbar relevanten Studiengängen auch ein breites Angebot im Bereich der Geistes- und Naturwissenschaften, „damit das eine Region bleibt, in der man gern lebt“.
Es tut gut, wenn man als Unternehmenschef mal den Weg in ein Professorenbüro findet, zusammen eine Tasse Kaffee trinkt, die Gedanken kreisen lässt und aus der Hektik herauskommt. Dort findet man einen Sparringspartner, der einem hilft, die großen Linien zu finden.
IHK-Hauptgeschäftsführer Arne Rössel
Wie eng Wirtschaft und Wissenschaft zusammenarbeiten können, das lebt gerade die Hochschule Koblenz vor, die vor Kurzem eigens einen Vizepräsidentenposten für Transfer und regionale Entwicklung geschaffen hat. Bezeichnenderweise ist der gebürtige Hunsrücker Prof. Heiko Weckmüller einer jener Spitzenkräfte, die es einst in die Welt hinauszog, der dort viel Erfahrung in internationalen Unternehmen gesammelt hat und der jetzt durch eine attraktive Stelle an der Hochschule in die Heimat zurückgelockt worden ist. Ein wichtiger Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Firmengründungsforschung und -unterstützung. „Da wollen wir jetzt noch mal richtig Gas geben, indem wir in Start-up-Labs Kreativräume schaffen, wo Studierende noch mal einen Push bekommen.“ Etwa 30 Prozent der Studierenden spielten mit dem Gedanken, ein eigenes Unternehmen zu gründen, auch wenn nicht alle erfolgreich seien. Aber auch die Hochschule Koblenz habe es mit einem Rückgang der Studentenzahlen zu tun. „Deshalb müssen wir mit der Wirtschaft zusammenrücken und frühzeitig in Schulen Perspektiven aufzeigen.“
Für IHK-Hauptgeschäftsführer Arne Rössel sind Spitzenkräfte wie Weckmüller eine Spezies, die man in der Region immer noch schwer halten kann. Das zeigten die Erfahrungen der WHU, wo es viele internationale Studenten gibt, die aber nach dem Abschluss oft erst einmal weggingen. Dabei sei der Austausch mit der wissenschaftlichen Elite sehr wichtig. „Es tut gut, wenn man als Unternehmenschef mal den Weg in ein Professorenbüro findet, zusammen eine Tasse Kaffee trinkt, die Gedanken kreisen lässt und aus der Hektik herauskommt. Dort findet man einen Sparringspartner, der einem hilft, die großen Linien zu finden.“ Auch das ist wohl ein Stück Lebensqualität – für Wirtschaft und Wissenschaft.