In Mainz nennen sie ihn den „Straßen-Doc“. Seit 25 Jahren ist er der Mediziner, der zu den Ärmsten der Armen kommt – seine Ambulanz ist ein umgebauter Sprinter, das Arztmobil. In Indien hatte Trabert als junger Arzt in einer Leprastation gearbeitet und das Konzept des „Medical Streetworks“ erlebt, die aufsuchende medizinische Arbeit. Seine Erkenntnis: „Okay, wenn der Patient nicht zum Arzt kommt, kommt der Arzt eben zum Patienten.“ Der Satz wurde zum Lebensmotto des heute 63-Jährigen. Zurück in Deutschland entwickelte Trabert ein eigenes Modell aufsuchender Gesundheitsfürsorge: „Mainzer Modell“ nannte er es – es war die Idee einer mobilen Ambulanz. „Es hat gut ein Jahr gedauert, das umzusetzen“, erzählt Trabert. Er traf auf hilfreiche Behörden und viel Skepsis seines Berufsstandes. Er dürfe doch nicht als Arzt umherziehen und seine Dienste anbieten wie ein Quacksalber im Mittelalter, bekam er zu hören. Er machte es dennoch.
Viele seiner Patienten von der Straße haben Husten, manche Nervenflattern oder juckenden Ausschlag. Trabert verschreibt Medikamente, geht durch die Straßen, klappert Treffpunkte ab. „Können wir Ihnen helfen?“, fragt er jedes Mal. „Ich bin der Doc.“
Phil Collins startete das erste Arztmobil
Das erste Arztmobil verdankten die Mainzer Phil Collins und „Another Day in Paradise“. Trabert beschreibt die Anekdote in seinem gerade erschienenen Buch „Der Straßen-Doc.“ Das Lied entstand, weil der Musiker jeden Tag an einer wohnungslosen Frau vorbeikam. „Sie ruft dem Mann auf der Straße zu: ,Sir, können Sie mir helfen?‘“, heißt es darin: „Es wird kalt, und da ist nirgends ein Ort zum Schlafen – wissen Sie, wo ich hingehen kann?“ 1997 spendete Collins 200.000 D-Mark aus den Einnahmen des Liedes an den deutschen Caritasverband für die medizinische Versorgung von Wohnungslosen. 20.000 D-Mark holte Trabert nach Mainz und kaufte das erste Arztmobil. Inzwischen rollt der dritte Sprinter durch Mainz, die Schränke rechts und links fassen Patientenakten und unzählige Medikamente. 15.000 Euro finanziert der von Trabert gegründete Verein Armut und Gesundheit pro Jahr für Medikamente für wohnsitzlose Menschen. Die meisten Leistungen rechnet er aber offiziell über die Krankenkassen ab: „Ich war der erste, der eine Kassenzulassung hatte“, sagt Trabert: „60 bis 70 Prozent der Patienten können wir zurück ins System holen.“
Das ist sein Anspruch: Ins System integrieren statt ausgrenzen. „Wir haben immer mehr Patienten, die nicht versichert sind“, berichtet Trabert. Viele EU-Bürger aus dem Osten, Asylbewerber, aber auch zahlungsunfähige Privatpatienten. „Wir würden uns wünschen, dass die Krankenhäuser das mal offensiver mit uns problematisieren“, sagt Trabert. „Das ist ja ein strukturelles Problem.“ Der Satz ist typisch: Trabert studierte zuerst Sozialarbeit, dann Medizin, sieben Jahre arbeitete er in einem Alzeyer Krankenhaus, auch als Notarzt. Immer aber suchte der Arzt nach den Ursachen hinter Problemen, hinterfragt politische und gesellschaftliche Strukturen von Armut. 1999 wurde er Professor für Sozialmedizin in Nürnberg, wechselte 2009 auf eine Professur in Wiesbaden.
Den Zusammenhang von Armut und Gesundheit beleuchtet
Mit seiner Arbeit als Professor, seinen Büchern und Vorträgen macht Trabert immer wieder „nachdrücklich auf die Kausalität von Armut und Gesundheit aufmerksam“, lobte gerade der Deutsche Hochschulverband und kürte Trabert zum Hochschullehrer des Jahres. „Wir Akademiker“, sagte der Geehrte, „müssen uns noch viel mehr zu Wort melden und auf Menschenrechtsverletzungen hinweisen.“ In den Kurdengebieten in Nordsyrien hilft er in Flüchtlingslagern, im Mittelmeer rettete er Flüchtlinge. „Es gibt keine Obergrenze an Humanität“, sagt Trabert. „Ich fühle da eine Verantwortung.“ Durch soziale Ungerechtigkeit entstehen Gewalt und Terror, sagt er und zitiert zum Abschluss noch Mahatma Gandhi: „Armut ist die schlimmste Form von Gewalt.“