Führungswechsel nach 62 Jahren
Wagenbau auf letzten Drücker: Mainz reagiert auf Wahl
Der Mainzer Carneval-Verein feiert das 75-jährige Jubiläum der Zugplaketten mit einem lebensgroßen Exemplar. Fast genauso lange übernahm Dieter Wenger den Bau der berühmten Motivwagen - jetzt darf sich der Gonsenheimer Stefan Hisge beweisen.
Viktoria Schneider

Mehr als 60 Jahre lang lag der Bau der Mainzer Motivwagen in den Händen von Dieter Wenger. Nun übernimmt Stefan Hisge das Zepter. Der 52-Jährige setzt eigene Impulse – und lässt sich sogar von der kommenden Bundestagswahl nicht aus der Ruhe bringen.

. „Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es keine Motivwagen mehr geben soll“, ging Stefan Hisge durch den Kopf, als er im vergangenen Jahr vom Rückzug der Wagenbau-Legende Dieter Wenger hörte. Mehr als 60 Jahre lang hat Wenger maßgeblich den Mainzer Karneval geprägt, im vergangenen Jahr zog er sich zurück. Die Fußstapfen, die gefüllt werden mussten, waren also groß. Zu groß? Der Mainzer Carneval-Verein (MCV) kann zunächst keinen Nachfolger finden. Mit dem Gonsenheimer Stefan Hisge bricht nun eine neue Ära an. Dieser sieht sich für seine neue Aufgabe gerüstet. Selbst die vorgezogene Bundestagswahl, diesmal eine Woche vor Rosenmontag, macht dem 52-Jährigen keine Sorgen.

Nach der Rückzugserklärung von Dieter Wenger stand der Bau der berühmten Motivwagen, die auf dem Rosenmontagszug zu sehen sind, zunächst auf der Kippe. Das wollte Hisge nicht hinnehmen. Denn für ihn ist klar: Die Wagen sind ein kulturelles Erbe, das dringend erhalten werden muss. „Sie sind ein Aushängeschild der Mainzer Fastnacht“, stellt er beim Besuch unserer Zeitung klar. „Sie haben eine gewisse Einzigartigkeit, die sie von den Umzügen in Köln oder Düsseldorf unterscheidet.“ Für seinen Entschluss, den Wagenbau zu übernehmen, hat er deshalb nicht mal einen Tag gebraucht.

Hisge konnte das Team von Dieter Wenger übernehmen

An den Vorstand des MCV tritt Hisge mit einem klaren Konzept ran. Der entscheidet sich schlussendlich für ihn. „Bisher haben sie es noch nicht bereut“, kommentiert Hisge lachend. Für den Gonsenheimer spricht neben der nötigen Erfahrung im Fahrzeug- und Maschinenbau wohl auch das Selbstvertrauen, das er ausstrahlt. „Ich weiß, was ich kann“, betont der gelernte Elektriker.

Im eigens vom ihm gegründeten „Wagenbau-Team Mainz“ übernimmt Hisge die Leitung. Seine rund zehn Mitarbeiter konnte er von Dieter Wenger übernehmen – glücklicherweise, wie er sagt: „Alleine hätte ich das nicht hingekriegt.“ Denn sie bringen Erfahrung und das Wissen von mehr als 60 Jahren Wagenbau mit.

Der Wagenbau in Mainz läuft auf Hochtouren: Sein Team liegt gut im Zeitplan, sagt Chef Stefan Hisge. Ein Wagen soll erst nach der Wahl gebaut werden.
Viktoria Schneider

Nachdem der MCV-Kreativkreis die Ideen liefert, bestimmt das Wagenbau-Team, ob sie umsetzbar sind. Hisges oberste Devise lautet dabei, den Künstlern ihren freien Lauf zu lassen. „Denn meistens sind die Ideen dann so gut, dass es letzten Endes auch klappt. Es ist fast gar nichts unmöglich“, sagt der neue Wagenbauer.

Der Zeitplan ist dennoch denkbar knapp. Von morgens bis abends wird dieser Tage in den Hallen im Mainzer Stadtteil Mombach gearbeitet, so auch bei unserem Besuch. Der Chef nimmt sich Zeit für unser Gespräch, aber trotzdem bimmelt mehrmals das Telefon, alle wollen mit Hisge sprechen.

Mainzer Motivwagen werden erst kurz vor Rosenmontag vorgestellt

Und natürlich muss der 52-Jährige auch selbst ran an den Bau der Wagen, die bis zu der Vorstellung am 25. Februar ein großes Geheimnis bleiben müssen. So viel steht fest: Das Team liegt gut in der Zeit. Bei unserem Besuch füllen mehrere Wagen die Halle und sehen mehr oder weniger fertig aus. Nur an einzelnen Elementen muss noch geschraubt und gebastelt werden.

Zwischen Werkbank und Leiter erzählt uns Stefan Hisge, was unter seiner Führung anders läuft. Vieles, was früher gemacht wurde, weil es nun mal schon immer so war, krempelt er radikal um – um 180 Grad, wie er selbst beschreibt. In der Vergangenheit wurden die Wagen etwa in der großen Halle gebaut, aber die musste stärker beheizt werden. Hisge verlegt den Bau in eine kleine Halle und rollt erst die fertigen Wagen in die große Halle.

„Oh Gott, jetzt wachsen dir ein paar neue graue Haare.“
Der Ampel-Bruch löste beim neuen Wagenbauer erst einmal Stress aus.

Kranke Mitarbeiter, wie es sie in der Winterzeit leider viele gibt, ersetzt der Gonsenheimer bisweilen auch selbst. „Mein Team muss fit sein“, betont Hisge. Dafür nimmt er lange Arbeitstage in Kauf. „Mein Tag beginnt um 6 Uhr und endet um 22 Uhr. Manchmal lese ich zu Hause noch E-Mails, auch wenn ich dabei des Öfteren einschlafe“. Ist das zu viel Stress für ihn? „Warum denn? Ist doch wie Urlaub“, kontert er. Unterstützung erfährt der Vater einer Tochter von seiner Familie, die hinter seinem Herzensprojekt steht.

Eine besondere Herausforderung für den neuen Wagenbauer ist sicherlich die vorgezogene Bundestagswahl. Als er im vergangenen November vom Bruch der Bundesregierung hörte, war der sonst so ausgeglichene Hisge erst einmal sprachlos. „Oh Gott, jetzt wachsen dir ein paar neue graue Haare“, war sein erster Gedanke. Das Wagenbau-Team war nämlich schon mitten in der Vorbereitung.

Unter der Führung von Stefan Hisge wird die Tradition der quietschgelben Zug-Ente, die das Ende des Rosenmontagszugs markiert, fortgeführt. Momentan wartet sie in einer Halle im Mainzer Stadtteil Mombach auf ihren Einsatz.
Viktoria Schneider

Aber es hat sich ziemlich schnell auf die neue Situation eingestellt. Einer der Wagen soll nun erst in der Woche nach der Wahl gebaut werden, wurde gemeinsam entschieden. „Wir möchten möglichst aktuell am Puls der Zeit bleiben“, betont Hisge. An den restlichen Wagen wurden ein paar Sachen angepasst, aber nichts, was das Team nicht schaffen würde. Der 52-Jährige nimmt die Herausforderung gelassen: „Ich denke nicht daran, ich fokussiere mich auf den Stichtag.“

Auch künftige Rosenmontagsumzüge bringen ihn nicht aus dem Konzept – selbst, wenn sie künftig mit der Bundestagswahl zusammenfallen sollten. „Man muss sich halt darauf einstellen“, bemerkt er, „es kann ja auch sein, dass es dann langweilig sein wird.“

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