Ex-JVA-Leiter über Knastjargon
Von verlachten „Dachdeckern“ und geächteten „Sittichen“
Auch die JVA Koblenz hat Norbert Henke einst geleitet. Heute schreibt der Mainzer als Pensionär Bücher über seine Zeit als Gefängnischef.
Sascha Ditscher

Wenn ein Gefängnisinsasse von einer „Bombe“ spricht, dann ist damit (meistens) nicht die mit Sprengstoff gefüllte Kugel samt Lunte gemeint. Denn hinter Gittern existiert eine eigene Sprache. Ein Ex-JVA-Leiter hat nun die Hintergründe erklärt.  

31 Jahre lang hat Norbert Henke im Strafvollzug gearbeitet und in dieser Zeit auch mehrere Gefängnisse in Rheinland-Pfalz geleitet. Weil der Mainzer während dieser Jahre als Chef hinter schwedischen Gardinen Tausende Gespräche mit Gefangenen geführt hat, weiß er ganz genau, welche Geheimsprache viele von ihnen im Knast sprechen. Im Gespräch mit unserer Zeitung hat Henke diese Sprache dechiffriert.

Jede Subkultur, jede Generation, ja, jede Szene hat seine ganz eigene Sprache. Wer sie nicht spricht oder versteht, der gehört nicht dazu. So verhält es sich auch hinter Gittern, sagt Ex-JVA-Leiter Henke. Dass mit einer „Ratte“ nicht nur die kleinen, verhassten Nager gemeint sein können, sondern im übertragenen Sinne auch Gefangene, die andere Inhaftierte verraten haben, das wird auch Nicht-Insidern noch bekannt sein. Dass eine „Bombe“ aber auf einmal ein Glas mit löslichem Kaffee sein soll, welches bei Geschäften zwischen Gefangenen als Zahlungsmittel dient, das wissen dann wohl doch nur die Eingeweihten.

Sprache als Ausdruck von Zugehörigkeit

„Diese Ausdrücke werden tagtäglich im Gefängnis genutzt“, sagt Henke. „Sie dienen dazu, ein gewisses Gemeinschaftsgefühl unter den Gefangenen herzustellen. Das sind identitätsstiftende Worte. Man benutzt bestimmte Ausdrücke und zeigt damit, dass man dazugehören will.“ Diese Gefängnissprache, oder etwas weniger formell, dieser Knastjargon besteht häufig aus Umdeutungen – aber auch aus gänzlich neuen Wortschöpfungen. Oft sind diese Begriffe mit einer gehörigen Portion Galgenhumor garniert – und nicht selten kommen sie locker-lässig und durchaus auch mal despektierlich daher. Eine kleine Kostprobe aus Henkes neuem Buch „Mehr aus 31 Jahre hinter Gittern“ gefällig?

Wer demnach ein „Brett“ im Gefängnis absitzt, der meint damit eine besonders hohe Freiheitsstrafe. Und hat man einen Termin beim „Dachdecker“, so ist eigentlich ein Treffen mit einem Psychologen gemeint. Anstaltsseelsorger der verschiedensten Konfessionen werden von Gefangenen derweil gern als „Himmelskomiker“ tituliert. Und mit einem „Koffer“ sind in Wahrheit 40-Gramm-Packungen mit losem Tabak gemeint. Tabak ist laut dem Ex-JVA-Leiter eine der wichtigsten „Knastwährungen“, mit denen Inhaftierte ihre kleinen Deals abwickeln.

„Das sind identitätsstiftende Worte. Man benutzt bestimmte Ausdrücke und zeigt damit, dass man dazugehören will.“
Ex-JVA-Leiter Norbert Henke

Einen „Nachschlag“ hat laut Henkes Buch der Gefangene bekommen, der bereits eine Strafe absitzt – und nun noch eine weitere obendrauf bekommen hat. Und einen „Rucksack“ schleppt der Insasse mit sich herum, der zusätzlich zur Freiheitsstrafe auch noch die Maßregel der Sicherungsverwahrung erhalten hat. Etwas weniger metaphorisch wird es bei dem Begriff „Schließer“, der sich wirklich jedem sofort „erschließen“ sollte: Mit diesem abfälligen Wort meinen Insassen laut Henke die Bediensteten im Gefängnis. Was bei diesen weniger gut ankommen dürfte, da ihre ganze Person hier im Grunde auf einen Schlüssel reduziert wird.

Die JVA-Bediensteten, die täglich mit den Gefangenen Kontakt haben, kennen und verstehen die mal mehr, mal weniger kryptische Sprache der Einsitzenden natürlich ebenfalls. Und weil es auch im Gefängnis mal menschelt, komme es laut Henke nicht selten vor, dass auch das JVA-Personal sich spaßeshalber mal dieser Sprache bediene. Durchweg kalt indes dürfte die Gefängniszeit für die von ihren Mithäftlingen so titulierten „Sittiche“ werden. Mit diesem Wort werden Gefangene bezeichnet, die wegen an Kindern oder Minderjährigen begangenen Straftaten in Haft sind. Und diese Häftlinge stehen in der Knasthierarchie ganz unten.

Norbert Henke aus Mainz genießt heute seinen Ruhestand.
Norbert Henke

Alle oben gelisteten Vokabeln gehören laut Henke in Gefängnissen zwar zur Tagesordnung – doch nicht jeder könne sie auf Anhieb verstehen. Deutschlandweit haben laut Henke über 60 Prozent der Gefangenen einen Migrationshintergrund. Manche dieser Gefangenen müssten sich also erst einmal in die Eigenheiten der Knastsprache einarbeiten. Henke: „Aber je länger jemand in Haft ist, desto mehr eignet er sich das Vokabular an“.

Weitere Infos zu Henkes zweitem Buch „Mehr aus 31 Jahre hinter Gittern“ online unter ku-rz.de/jargon

Die Vita von Norbert Henke

Am Ende des Jahres 2020 – nach 31 Jahren im Strafvollzug – ging Norbert Henke mit knapp 64 Jahren in den Ruhestand. Seine erste Station als Anstaltsleiter begann für ihn 1999 in Koblenz. Dort war Henke Chef hinter Gittern bis ins Jahr 2001. Dann leitete der Mainzer bis ins Jahr 2009 hinein die JVA in Diez; es schlossen sich weitere elf Jahre als Leiter der JVA Rohrbach an. Die Faszination für den Themenkomplex „Gefängnis“ will den Mainzer aber einfach nicht loslassen. Und so hat der Pensionär bereits zwei Bücher über seine Jahre als Chef hinter schwedischen Gardinen geschrieben. Henkes erstes Buch heißt „31 Jahre hinter Gittern: Ein ehemaliger Anstaltsleiter erzählt“, das Folgewerk „Mehr aus 31 Jahre hinter Gittern“. lör

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