Konfuse Kommunikation der Landesbehörde am Tag der Flut - Informationen aus dem eigenen Haus ignoriert
Umweltamt hätte deutlicher warnen können: Konfuse Kommunikation der Landesbehörde am Tag der Flut
Flutkatastrophe im Ahrtal
Luftaufnahme der FLutkatastrophe im Ahrtal. Foto: Boris Roessler/dpa/Archivbild
Boris Roessler/dpa/Archivbild. dpa

Mainz. Im Landesamt für Umwelt herrschte am Tag der Ahr-Flut Kommunikationschaos. Milan Sell, der am Tag der Katastrophe für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich war, hat die Ahr-Pegelstände und Prognosen des eigenen Hauses kaum verfolgt. Das musste er im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags einräumen.

Lesezeit 3 Minuten

Flutkatastrophe im Ahrtal
Luftaufnahme der FLutkatastrophe im Ahrtal. Foto: Boris Roessler/dpa/Archivbild
Boris Roessler/dpa/Archivbild. dpa

So war Sell nicht darüber informiert, dass seine Behörde bereits um 15.26 Uhr einen Pegelstand von 5,19 Metern in Altenahr vorhergesagt hatte. Da war ihm Cornelia Weigand voraus. Gegen 17 Uhr wollte die damalige Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr von Sell wissen, ob die alarmierende Prognose stimmen könne. „Sie hat mir auf die Mailbox gesprochen“, erklärte Sell im U-Ausschuss. Eine Antwort hatte er nicht. Die Pegelstände des Landesamts, die jeder Bürger im Internet einsehen konnte, waren ihm zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt.

Sell musste beim Hydrologen des Landesamts, Thomas Bettmann, nachfragen – und kam zunächst nicht durch. Ein weiterer Experte, Norbert Demuth, den Sell an die Strippe bekam, verwies demnach auf „eine unsichere Lage“, die sich dynamisch entwickele. Klingt nicht nach Alarmstimmung. Zum Rückruf an Weigand kam es nicht mehr.

„Es ist nicht meine Aufgabe, die Pegelstände zu verfolgen“, betonte Sell. Er habe zwar auf die Internetseite des Umweltamts geschaut, doch dort würden mehr als 100 Pegelstände aufgeführt. Zudem hatte die Behörde zunächst noch vor allem die Entwicklung an Rhein und Mosel im Blick. Eine fatale Fehleinschätzung. Denn Sell verfasste am Mittag des 14. Juli auch den ersten Entwurf der verhängnisvollen Pressemitteilung, die dann erst um 16.43 Uhr veröffentlicht wurde. Darin war von der Ahr explizit gar keine Rede. „Auch an kleineren Flüssen, vor allem im Norden des Landes, wird es zu Überflutungen und Hochwasser kommen“, hieß es nur.

Wie kann das sein? Denn zu diesem Zeitpunkt hatte das eigene Haus ja längst vor einem Pegelstand von mehr als fünf Metern gewarnt. Dennoch ging man nicht von einem Extremwetterereignis aus. „Wir nehmen die Lage ernst, auch wenn kein Extremhochwasser droht“, wurde Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) dort zitiert.

Auch Sells damalige Chefin war über die Warnung ihrer Hydrologen von 15.26 Uhr nicht im Bilde. „Davon habe ich erst gegen 17 Uhr erfahren“, erklärte Sabine Riewenherm im Untersuchungsausschuss. Da war die Pressemitteilung aber schon raus – und sorgte an der Ahr für Verwirrung. Und sie wurde auch nicht mehr eingefangen oder aktualisiert. „Pressemitteilungen gehen normalerweise nicht über das Landesamt“, betonte Sabine Riewenherm, die mittlerweile Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz ist. „Das ist die Entscheidung des Ministeriums.“ Aber auch das Haus von Anne Spiegel (Grüne) justierte nicht nach. „Spiegel und ich hatten an diesem Abend keinen Kontakt.“

Dabei hätte es auch schon vor 16.43 Uhr zahlreiche Gelegenheiten gegeben, die Warnung für die Ahr zu verschärfen. Immerhin war die Pressemitteilung am 14. Juli fast vier Stunden unterwegs. Schon gegen 12.30 Uhr ging Sells erste Version an die Pressestelle des Mainzer Umweltministeriums raus. Da galt an der Ahr schon seit mehr als einer Stunde die zweithöchste Warnstufe „Orange“. „Ich habe die Verfärbung gesehen“, räumte Sell ein. Dennoch blieb die Pressemitteilung eher vage. Grundlage seien Informationen aus den Fachabteilungen gewesen. Auch im Umweltministerium sah man nur marginale Änderungswünsche.

Spiegel war es wichtig, dass herausgestellt wird, wie gut das Land auf Hochwasser vorbereitet sei. Und ein Dank an die Helfer sollte noch mit rein. Danach wanderte die Pressemitteilung durch die Fachabteilungen hin und her, bis sie schließlich die Ministerin selbst erreichte. „Konnte nur kurz draufschauen“, schrieb Anne Spiegel um 15.56 Uhr. Die stellvertretende Ministerpräsidentin hatte lediglich linguistische Einwände. „Bitte noch gendern: CampingplatzbetreiberInnen, ansonsten Freigabe.“ Zwei Stunden später sollten in Dorsel sechs Camper und eine Feuerwehrfrau sterben – es waren die ersten der 134 Opfer der Flutnacht an der Ahr.

Korrektur:
In einer früheren Version dieses Artikels schrieben wir, auf dem Campingplatz in Dorsel sei eine Polizistin gestorben. Gemeint war eine Feuerwehrfrau. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Top-News aus der Region