Hunde schnüffeln in der Idar-Obersteiner Göttenbach-Aula nach Sprengstoff. Polizisten überwachen das Gelände im Stadtzentrum. Leibwächter haben die Gäste fest im Blick. Zum Besuch des ukrainischen Botschafters Oleksii Makeiev herrscht die höchste Sicherheitsstufe. Der 47-Jährige ist auf Einladung des SPD-Bundestagsabgeordneten Joe Weingarten (SPD) an die Nahe gekommen, um sich bei den Menschen zu bedanken. Für ihre Solidarität. Und für die Ausbildung ukrainischer Soldaten an der Panzerhaubitze natürlich.
„Ich fühle mich sehr wohl hier“, sagt Makeiev später im Interview mit unserer Zeitung. „Wie in einer Familie.“ An der Front würden die ukrainischen Artilleristen als die „Götter des Kriegs“ bezeichnet. Es sind versöhnliche Töne, die Makeiev wählt. Anders als sein Vorgänger Andrij Melnyk, der die Bundesregierung mitunter mit Beschimpfungen unter Druck setzte und vor den Kopf stieß. „Ich danke jedem Steuerzahler“, sagt der Diplomat.
Was Makeiev von Russland erwartet
Im Hinblick auf Moskau bleibt er jedoch hart. „Wir müssen sichergehen, dass Russland kein anderes Land mehr attackieren und überfallen kann“, betont er im Gespräch mit unserer Zeitung. Kriegsverbrecher müssten zur Verantwortung gezogen werden. Und nicht nur der Westen solle für den Wiederaufbau des Landes zahlen. Auch von den Russen erwartet er Reparationen für die Zerstörungen, die sie im Land angerichtet haben.
Herr Makeiev, am Wochenende haben sich die Ereignisse in Russland überschlagen. Fast wäre es zu einem Putsch gekommen. Haben wir da den Anfang vom Ende der Ära Putin erlebt?
Ich glaube, dass der Anfang vom Ende Putins mit dem Überfall auf unser Land begonnen hat. Also 2014. Das ist nun schon neun Jahre her. Ich hoffe sehr, dass wir Russland zusammen mit unseren Verbündeten zeigen, dass es im 21. Jahrhundert sofort bestraft wird, einen Krieg zu führen. Das kostet uns viele Menschenleben und viele Ressourcen. Aber am Ende werden wir Russland zeigen, dass wir auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.
Wie schwer ist Putin jetzt geschwächt?
Das weiß ich nicht. Ich denke, das Wichtigste, was wir als Ukraine machen können, ist, Russland auf dem Schlachtfeld zu bezwingen. Denn eines haben wir in all den Jahren verstanden: Russland versteht nur die Sprache der Stärke. Und diese Stärke zeigen unsere Jungs und Mädels momentan an der Front. Das gilt übrigens auch für die gesamte ukrainische Gesellschaft.
Die Wagner-Söldner konnten über Hunderte Kilometer auf Moskau vorstoßen, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Was sagt das Ihrer Ansicht nach über den Zustand der russischen Armee aus?
Das zeigt, dass die Vorstellung, Russland habe die zweitstärkste Armee der Welt, nichts mit der Realität zu tun hat. Sie wird total überschätzt. Und wie man die Russen am besten bekämpft, zeigen gerade die russischen Streitkräfte.
Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin war zeitweise spurlos verschwunden. Sie kennen die russischen Gepflogenheiten im Umgang mit politischen Gegnern. Was wird mit ihm passieren?
Was mit ihm passiert, interessiert mich überhaupt nicht. Was mich heute nach Idar-Oberstein führt, ist die große Solidarität der Menschen. Ich fühle mich sehr wohl hier. Wie in einer Familie.
Tausende Söldner werden jetzt von der russischen Front abgezogen und reißen dort weitere Lücken. Ist das nicht geradezu eine Einladung an die Ukraine, die Gegenoffensive jetzt massiv voranzutreiben?
Unser Generalstabschef braucht von mir als Botschafter da sicher keine Empfehlung. Mir fehlen auch die Einblicke in die Lage an der Front. Ich bin mir aber sicher, dass unsere Armee alle Lücken für die Gegenoffensive nutzen wird.
Kommen wir zur Panzerhaubitze, an der ukrainische Soldaten hier in Idar-Oberstein ausgebildet worden sind. Welche Rolle spielt die Waffe bei der Gegenoffensive?
Die Panzerhaubitze 2000 und die Mars-Mehrfachraketenwerfer haben schon im vergangenen Sommer eine große Rolle gespielt. Waffen, Munitions- und Treibstoffdepots der Russen mussten deshalb weiter hinter die Front verlegt werden. Ich habe mich heute wieder davon überzeugen können, dass sie den russischen Waffen weit überlegen sind. Von unseren Soldaten weiß ich, dass die Waffensysteme von ihnen hoch geschätzt werden – wegen ihrer Genauigkeit und ihrer hohen Trefferquote.
Können Sie da mal etwas konkreter werden? Was kann die Panzerhaubitze, was die russische Artillerie nicht kann?
Zunächst mal kann man mit der Panzerhaubitze verschiedene Geschosse abfeuern. Und sie hat eine sehr hohe Präzision. Zudem kann sie sehr schnell wegbewegt werden. Das sind die Eigenschaften, die mir genannt worden sind. Die deutsche Waffenindustrie kann stolz darauf sein, dass diese Waffen gerade viele Tausende Menschenleben in der Ukraine retten, indem sie die russischen Truppen zum Rückzug zwingen.
Angenommen, die Gegenoffensive ist erfolgreich. Glauben Sie, dass man Putin so an den Verhandlungstisch zwingen kann?
Russland muss mit Kampfhandlungen an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Russland muss die besetzten Gebiete verlassen und die Kriegsgefangenen freilassen. Die Kriegsverbrecher müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Und Russland muss Reparationen zahlen. Wir müssen sichergehen, dass Russland kein anderes Land mehr attackieren und überfallen kann.
Die Krim gegen Frieden? Wäre das für Sie noch eine Option?
Wäre es eine Option, wenn jemand in Ihr Haus eingebrochen wäre und ewig in Ihrem Wohnzimmer sitzen bleibt? Natürlich nicht. Das war nie eine Option. Dabei geht es ja nicht nur um Land, sondern auch um Menschen, Anstand und unsere europäischen Werte.
Hätten Sie gedacht, dass ausgerechnet ein früherer Comedian wie Wolodymyr Selenskyj zur großen Führungsfigur in dem Abwehrkampf gegen die Russen werden könnte?
Der Präsident macht einen tollen Job. In seiner Führungsrolle ist er sehr überzeugend. So wie er jeden Tag mit der ukrainischen Gesellschaft spricht und wie er mit dem Ausland kommuniziert. Er ist ein toller Leader. Und ich bin sehr stolz, meinen Präsidenten und mein Volk in Deutschland vertreten zu dürfen.
Seit mehr als einem Jahr herrscht in der Ukraine Krieg. Menschen sterben, verlieren ihr Zuhause oder sind auf der Flucht. All das, was weit weg von Deutschland zu passieren scheint, kam an diesem Abend in Idar-Oberstein ganz nah.Bürgerdialog in Idar-Oberstein: Ukrainischer Botschafter gibt Einblicke in das Leben eines Diplomaten
Wenn Sie einen Wunschzettel an die deutsche Bundesregierung schreiben könnten: Was würde darauf stehen?
Waffen stehen auf diesem Wunschzettel immer noch ganz oben. Ein weiteres Stichwort wäre Führungsrolle. Und da sind wir froh, dass Deutschland diese beim Wiederaufbau übernommen hat. Im kommenden Jahr wird dazu eine Konferenz in Deutschland stattfinden. Da freue ich mich schon drauf.
Was macht Sie so optimistisch, dass schon im kommenden Jahr mit dem Wiederaufbau begonnen werden kann?
Der Wiederaufbau hat schon begonnen. Schon im vergangenen Jahr, als wir ständig unter russischem Beschuss standen und unsere Energieinfrastruktur fast zur Hälfte zerstört war. Noch im Dezember hatten wir Black-outs. Mittlerweile exportieren wir sogar wieder Strom. Wir können also nicht bis zum Ende des Krieges warten, bis wir Häuser und Straßen wiederaufbauen. Die Ukrainer sind ein tolles Volk, das 25 Stunden am Tag arbeitet.
Zur Person
Oleksii Makeiev wurde am 25. November 1975 in Kiew geboren. Wie es auf der Internetseite der ukrainischen Botschaft weiter heißt, schloss er 1997 sein Studium mit einem Diplom als Spezialist für internationale Beziehungen und als Übersetzer für Spanisch ab. Noch während des Studiums begann er 1996 den Angaben zufolge seine diplomatische Laufbahn im Außenministerium der Ukraine in der Abteilung für Analyse und Planung/Politische Abteilung mit dem Schwerpunkt Lösung internationaler Sicherheitsprobleme.
Während seiner diplomatischen Laufbahn stieg er vom Attaché zum politischen Direktor auf. Es folgten Stationen in der Schweiz, im Außenministerium in Kiew und in Deutschland. Im Mai 2020 ernannte Außenminister Dmytro Kuleba Makeiev zum Sonderbeauftragten des Außenministeriums der Ukraine für Sanktionspolitik. Am 23. September 2022 wurde er zum Botschafter in Deutschland ernannt, im Oktober trat er seine Mission an.