Mainz/Wiesbaden – Stell dir vor, du fährst werktags über die Schiersteiner Brücke – und es ist kein Stau. Gibt's nicht? Doch.
Aber es wird noch Jahre dauern. Im Jahr 2018 sollen zwei parallel eng nebeneinander laufende, je dreispurige Brücken Mainz und Wiesbaden verbinden. Bis dahin wartet jedoch noch viel Qual und Pein auf die Autofahrer.
Geschätzte 157 Millionen Euro kostet die Erneuerung der Schiersteiner Brücke und des Schiersteiner Kreuzes. Bezahlt wird das Großprojekt von der Bundesrepublik Deutschland. Nach der Fertigstellung soll der Verkehr – weit über 90000 Fahrzeuge rollen hier täglich – ungehindert fließen.
Der Plan: Direkt neben der bestehenden Schiersteiner Brücke wird eine neue Brücke gebaut. Dann, im Idealfall bereits 2015, wird der gesamte Verkehr auf diese umgeleitet, immer noch in provisorischer Enge und Baustellen-Schleichfahrt – und die alte Brücke wird abgerissen. An ihre Stelle tritt eine weitere neue Brücke direkt neben der ersten Neukonstruktion. Am Ende – nach dem Willen der Planungsbehörden im Jahr 2018 – gibt es dann quasi zwei Parallelbrücken, für jede Fahrtrichtung eine, mit je drei Fahrspuren plus Fußgänger- und Radweg.
Bis dahin wird allerdings noch viel Wasser den Rhein herunter fließen, und noch viele Autofahrer werden über Knöllchen und Punkte fluchen. Denn damit sie sich auch dann gefälligst an das seit 2007 geltende Tempolimit von 60 Kilometer pro Stunde halten, wenn man tatsächlich einmal schneller fahren könnte – also eigentlich nur nachts und am Wochenende – wurden bekanntlich in der Mittelleitplanke der Brücke im Jahr 2008 markante Radarsäulen installiert, die gnadenlos und reichlich teuer zuschlagen. Ein Beispiel: Wer mit 86 statt 60 km/h unterwegs ist, zahlt leicht über 150 Euro und kassiert drei Punkte in Flensburg. Das tut weh.
Der offizielle Hintergrund der von vielen Autofahrern als Schikane und Abzocke empfundenen Tempobeschränkung ist ein anderer, erklärt Thomas Klepper vom Amt für Straßen- und Verkehrswesen in Wiesbaden. Die Brücke ist schlicht und einfach marode und mit den heutigen Verkehrsströmen überlastet. Würde man die Pkw und Lkw ungebremst darüber rollen lassen, könnten die entstehenden Schwingungen das Ende der 50er-Jahre erstellte Bauwerk so zum Schwingen bringen, dass schwere Schäden an der Stahlbetonkonstruktion entstünden. Das jedoch muss um jeden Preis verhindert werden. Eine Sperrung der Brücke würde den Verkehrskollaps in und um Mainz und Wiesbaden bedeuten – quasi den Autobahn-Super-Gau.
Die Verkehrszukunft ist also sechsspurig – zumindest abschnittsweise. Denn bis und ab Mombach bleibt die Autobahn 643, die bei Finthen aus der A60 hervorgeht, zunächst nur vierspurig. Rund ums Schiersteiner Kreuz auf der hessischen Seite wird hingegen bereits im aktuellen Großprojekt großzügig vorgegangen. Wo jetzt noch viel zu kurze und sich überschneidende Auf- und Abfahrten für Gefahr sorgen, entstehen raumgreifende Lösungen mit verringertem Risikopotenzial. Allerdings ist bei einigen Details noch nicht das letzte Wort gesprochen: Ortsbeiräte, Magistrat, Bürger, Behörden und Verbände machen sich unter anderem Gedanken um Details wie Lärmschutzwände und haben die juristische Möglichkeit, ihre Einwände vorzubringen. Diese gehen dann in die Abwägungen des Planfeststellungsverfahrens ein, dessen Einleitung die zuständigen Straßenbauverwaltungen in Hessen und Rheinland-Pfalz gerade vor wenigen Tagen erst beantragt haben.
Insofern ist es durchaus möglich, dass so mancher ältere Pendler, der sich seit Jahren – und noch einige weitere kommende Jahre – mühsam und zähneknirschend über die Schiersteiner Brücke quält, die Fertigstellung des Neubaus mit freier Fahrt ohne Stau erst als Rentner erlebt. Rainer Gräff