Wir erreichen Leon Wiemann in New York. Gerade mal 22 Jahre ist der gebürtige Sauerländer alt. Und schon ein Global Player. Mit seinen Partnern leitet der Jungunternehmer ein Start-up, in dem die Sonne nie untergeht. „Wir haben 150 Mitarbeiter in 20 Ländern“, sagt Wiemann stolz. In Brasilien, Griechenland, Bulgarien und Südafrika etwa. Demnächst will Wiemann auch nach Asien expandieren. „Rollout“ nennt er das. Dabei ist Global contact gerade mal ein Jahr am Markt. Wiemann hat die Firma direkt nach seinem Bachelor an der WHU Vallendar gegründet.
Sein Geschäftsmodell: Das Homeoffice seiner Angestellten wird zum dezentralen Callcenter. Überall auf der Welt. Das spart schon mal teure Büros, Energiekosten und Nachtzuschläge. So kann Wiemann seine Dienstleistungen rund um die Uhr anbieten. Vertragsverlängerungen, Serviceberatungen, Vertriebslösungen etwa. Klingt so simpel wie genial. Aber man muss erst mal drauf kommen. Und die Idee dann auch umsetzen. Im Markt ist er immer noch ein Pionier. „Wir haben in Deutschland nur einen direkten Mitbewerber“, sagt der 22-Jährige. Rund 300.000 Euro Umsatz macht das Unternehmen pro Monat.
Callcenter sind eine personalintensive Branche. „Mitarbeiter sind das Gold im Keller“, betont Wiemann. „Es gibt nichts Wichtigeres, als sie pünktlich zu bezahlen.“ Jeder Einzelne werde intern geschult. Da seine Kunden vornehmlich Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum sind, setzt er am liebsten auf Auswanderer. „Es gibt sogar eine Mitarbeiterin, die auf meinen Vorschlag hin nach Portugal gezogen ist.“ Wo sie leben, ist dem Jungunternehmer vollkommen egal. „Von mir aus können sie auch mit der Familie in den Urlaub fahren, um von dort zu arbeiten“, sagt der 22-Jährige. Besonders Südafrika scheint höchst attraktiv. „Da arbeiten viele meiner Mitarbeiter.“
Der Sauerländer weiß schon als Schüler, dass er sich selbstständig machen will. „Den Gründungswillen hatte ich bereits vor meinem Studium an der WHU“, sagt er. In Vallendar erhält er in sechs Semestern das Rüstzeug. Theorie und Praxis sind an der Otto Beisheim School of Management eng verzahnt. „Die WHU war für mich ein Katapult“, sagt er. „Da haben sie die Werkzeugkiste schon dabei.“ Der zündende Gedanke muss aber von ihm selbst kommen. Starthilfe leistet die Familie. „Die betreibt auch ein Callcenter.“ Klassisch. Also stationär. Die Idee seines Sohnes hält der Vater aber für realitätsfern. Das spornt Leon Wiemann zusätzlich an. Mittlerweile ist der Vater sein größter Mentor.
Da kämpfst du als Gründer um Leben und Tod.
Jungunternehmer Leon Wiemann über den berüchtigten Pitch, in dem er als Gründer Kapital bei Investoren einsammeln muss
Fehlt nur noch das Kapital. Dazu müssen Wiemann und seine Partner in die Höhle des Löwen – den berüchtigten Pitch. „Da kämpfst du als Gründer um Leben und Tod“, sagt er und grinst. In kurzer Zeit muss er potenzielle Investoren von seiner Idee überzeugen. Wiemann weiß: „Die finden alle Schwächen.“ Also spielt er die Situation immer und immer wieder mit seinem Vater durch. Der kennt die Branche schließlich. Und auch an der WHU wird er systematisch auf diesen entscheidenden Tag vorbereitet. Wie im Trainingslager.
Wiemann überzeugt. „Ich bin froh, einen deutschen Investor gefunden zu haben“, sagt er. Seed funding nennt sich das in der Szene. Ein Startkapital, das der Jungunternehmer direkt in Mitarbeiter investiert. „Definitiv weniger als 1 Million Euro“, sagt er. Seither schiebt er 70 Wochenstunden. Manchmal sind es auch 80. Ist er damit reich geworden? Nicht wirklich. „Reich an Erfahrungen“, sagt er und lacht. Es gebe definitiv schnellere Wege ans große Geld als über ein Start-up. „Ich wohne immer noch in meiner Studentenbude in Vallendar.“ In seinem alten Treckerklub im Sauerland ist er in seiner knappen Freizeit auch noch aktiv. „Ich bin ja kein anderer Mensch geworden.“
Die meisten Gründer zieht es aber weiterhin nach Berlin. „Da haben Sie viele Geldgeber“, erklärt Wiemann. Auch Hamburg, München und Köln seien in der Szene noch vergleichsweise attraktiv. Ansonsten hänge Deutschland beim Risikokapital weltweit immer noch zurück. „Der angelsächsische Raum ist uns da weit voraus“, betont der 22-Jährige, der ein Auslandssemester in Singapur verbracht hat.
Besonders im ländlichen Rheinland-Pfalz will die große Gründerzeit nicht so recht anbrechen. Dabei liegt Deutschlands größte Talentschmiede direkt vor der Haustür. 35 Start-ups bringt die WHU Vallendar pro 1000 Studenten hervor. In Europa sei nur Oxford besser, betont WHU-Experte Maximilian Eckel. 9 Prozent der erfolgreichsten deutschen Neugründungen habe ihre Wurzeln in Vallendar. Sogar 15 Unicorns hat die WHU hervorgebracht. Die Einhörner sind so etwas wie der Goldstandard in der Szene. „Das sind Start-ups mit einer Marktbewertung von mehr als 1 Milliarde Dollar “, erklärt der Direktor des Entrepreneurship Center an der WHU in Vallendar.
Eckel führt uns auf der knarzenden Holztreppe hinauf ins Goethezimmer, vorbei an der Ahnengalerie der Privatuni, die 1984 gegründet worden ist. Von den Wänden lächelt den Besuchern das Who is Who der Gründerszene entgegen. Oliver Samwer etwa, der Rocket Internet gegründet hat. Oder Robert Gentz, der in Vallendar einen Flip-Flop-Handel austüftelte, der es bis zum DAX-Konzern gebracht hat: Zalando. Aber auch Flixbus und Hello fresh haben ihren Ursprung an der WHU. An der Privatuni werden sie wie Superstars verehrt. Den großen Vorbildern eifern sie in Vallendar alle nach.
Kann man Gründer also regelrecht heranzüchten? Wenn ja, dann ist Eckels Institut so etwas wie der Brutkasten. Im Entrepreneurship Center, der sich frei mit Zentrum für Unternehmergeist übersetzen lässt, werden derzeit rund 35 Studenten Schritt für Schritt an die Selbstständigkeit herangeführt. „Wir steuern sie nicht, wir befähigen sie“, erklärt Eckel. Und sie helfen den jungen Studenten dabei, aus einer Idee ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Dazu gebe es zunächst grundlegende Fragen abzuklopfen. „Gibt der Markt das her? Und warum ausgerechnet jetzt?“
Ein Businessplan ist da eher selten gefragt. Es geht darum, Visionen zu verkaufen.
WHU-Experte Maximilian Eckel erklärt, wie der Risikokapitalmarkt tickt.
Als Zukunftsbranchen haben sie an der WHU dabei vor allem Künstliche Intelligenz und grüne Technologien identifiziert. „Das sind die ganz großen Themen“, sagt Eckel. Welche Probleme gibt es? Und wie kann man sie lösen? Auch Leon Wiemann hat das Programm durchlaufen. Und dabei die Spielregeln des Risikokapitalmarkts gelernt. Denn Investoren ticken anders als die Hausbank. „Ein Businessplan ist da eher selten gefragt“, sagt Eckel. „Es geht darum, Visionen zu verkaufen.“ Der Direktor sieht sich da als eine Art Tutor, bevor es in den Pitch ums Kapital geht.
An der WHU können sie dabei auf ein wertvolles Netzwerk mit erstklassigen Kontakten zurückgreifen. „Start-ups haben bei uns Zugang zu Risikokapital“, erklärt Eckel. Denn viele ehemalige WHU-Studenten sitzen bei den großen Fonds an den Schalthebeln. Die Alumni steuern zudem Expertise bei. Und als Investoren natürlich Kapital. „Erfolg schafft Erfolg“, erklärt Eckel das Konzept dieses Old boys network. Wobei alt relativ ist. Eckel selbst ist gerade mal Anfang 30. Mit seinem Gehalt als Managing Director stottert er noch seine Kredite für die Studiengebühren ab, die derzeit an der WHU im Bachelor-Studiengang bei 8500 Euro pro Semester liegen. Und Frauen gibt es natürlich auch. Wenn auch deutlich weniger als Männer.
Der gute Draht zu den Alumni zahlt sich aus. 7 Milliarden Euro haben Start-ups mit WHU-Studenten zwischen 2014 und 2023 eingesammelt. Im Schnitt 15 Millionen Euro pro Gründer. Doppelt so viel wie sonst in der Szene. Dass selbst an der WHU mehr als die Hälfte der Neugründungen scheitern oder als unrentable „Zombies“ vor sich hin vegetieren, nimmt die Branche in Kauf. Schon ein Einhorn unter den Beteiligungen ist für Risikokapitalgeber wie ein Jackpot. Wer gar in Zalando investiert hat, schreit heute vor Glück.
Normann Kreuter hätte wohl keinen Pfifferling auf Robert Gentz gegeben. „An der WHU waren wir befreundet“, sagt der 43-Jährige aus Lay. Die Idee, Schuhe über Internet zu verkaufen, findet er damals ziemlich schräg. Mit zwei Start-ups ist Gentz zu dem Zeitpunkt schon gescheitert. Dass es jetzt ausgerechnet mit Flip-Flops klappen soll, hält Kreuter für aussichtslos. Er sollte sich bekanntlich täuschen. Heute spielt Zalando sogar in der ersten Börsenliga. Neugründungen sind eben immer auch eine Wette auf die Zukunft.
Kreuters eigenes Start-up hingegen wird nicht der ganz große Durchbruch. Sein Unternehmen hat einen neuartigen Scanner für Fingerabdrücke entwickelt, den etwa Landeskriminalämter für forensische Zwecke nutzen können. Mittlerweile hat er Eviscan aber wieder verkauft. Immerhin mit einem kleinen Gewinn. „Es hätte aber mehr sein können“, sagt Kreuter selbstkritisch. „Ich habe so viel falsch gemacht.“ Aber er hat daraus gelernt. Jetzt gibt er seine Erfahrung als Business Angel weiter. Eine Art Mentor. Zudem investiert er gezielt in junge Unternehmen.
Kreuter sitzt somit beim Pitch auf der anderen Seite. Zwischen 50 bis 100 solcher Gespräche mit Gründern hat er schon geführt. „Das ist wie Speeddating“, sagt er. Oft genügen ihm 15 Minuten. „Ich erwarte, dass man mir die Geschäftsidee so erklären kann, dass ich sie verstehe“, sagt Kreuter. Und zwar auf den Punkt. Ohne großes Geschwafel. „Immer im Storytelling-Modus“, sagt der 43-Jährige. Letztlich entscheide der Markt über Erfolg und Misserfolg. „Ich bin wohlwollend, die Kunden sind es nicht.“
Es gibt viel mehr Geld als finanzierungswürdige Unternehmen.
Investor Normann Kreuter aus Lay
Auch unter den Investoren tobt ein heftiger Wettbewerb. „Es gibt viel mehr Geld als finanzierungswürdige Unternehmen“, erklärt er den Risikokapitalmarkt. Und da ist der Layer eher ein kleiner Fisch. „Auch ich muss mich verkaufen und darum kämpfen, investieren zu können.“ Die Großen, die auf Millionen und Milliarden sitzen, schnappen Kreuter mitunter die besten Talente weg. Aber das nimmt er sportlich.
Kontakte werden dem gebürtigen Koblenzer oft über die WHU vermittelt. Das Netzwerk funktioniert eben in beide Richtungen. Bisher hat er einen sechsstelligen Betrag in drei Start-ups investiert, die sich auf Künstliche Intelligenz und grüne Technologie spezialisiert haben. Branchen, von denen sich Kreuter ein besonders hohes Wachstumspotenzial verspricht. Aber auch in ein klassisches Industrieunternehmen hat er Geld gesteckt. Da sei das Risiko geringer, aber eben auch die Rendite.
Kreuter kalkuliert ein, dass ihm im schlimmsten Fall der Totalverlust droht. Statistisch gesehen scheitern acht von zehn Neugründungen. „Ich rechne damit, dass ich von drei Start-ups keinen Cent zurückbekomme“, erklärt er. Umso mehr muss das vierte abwerfen, damit sich die Investition rechnet. „Ich will keine 4 Prozent“, sagt er. Das Fünffache des Einsatzes sollte schon rausspringen. So tickt die Szene eben. Und Berlin gibt den Takt vor.
Rheinland-Pfalz hinkt da bisher noch weit hinterher. Das soll sich ändern. Dazu nimmt die WHU am Leuchtturmwettbewerb Start-up-Factories des Bundeswirtschaftsministeriums teil. Zusammen mit dem Umwelt-Campus Birkenfeld und der Universität Saarbrücken soll so ein regionales Cluster in Rheinland-Pfalz und dem Saarland aufgebaut werden, um den Nährboden für Gründer zu schaffen. Die WHU bündelt dazu ihre Erfahrung im Aufbau erfolgreicher Geschäftsideen mit der Expertise des Umwelt-Campus Birkenfeld bei grünen Technologien. Die Uni Saarbrücken wiederum hat sich seit Jahren auf Künstliche Intelligenz spezialisiert.
Die Start-up Factory, die bei diesem Projekt entstehen wird, hat das Potenzial, drei Leuchttürme zu einem der potentesten Motoren der deutschen Digital- und Technologiebranche weiterzuentwickeln.
Maximilian Eckel hat ambitionierte Ziele. Der WHU-Experte hält ein ein Cluster von bis zu 100 Start-ups in Rheinland-Pfalz und im Saarland für realistisch.
Eckel sieht in der Kooperation eine historische Chance für die Region. „Die Start-up Factory, die bei diesem Projekt entstehen wird, hat das Potenzial, drei Leuchttürme zu einem der potentesten Motoren der deutschen Digital- und Technologiebranche weiterzuentwickeln – mit signifikantem Einfluss auf die regionale und deutschlandweite Wirtschaft“, sagt der WHU-Experte. Kommen sie mit dem Projekt zum Zug, winken bis zu 10 Millionen Euro Fördergelder aus Berlin. Ins Finale der besten 15 Bewerber haben sie es schon geschafft. Aber das sei nur der Anfang. Eckels Ziel ist ambitioniert. So wie in München soll in beiden Bundesländern ein Cluster von bis zu 100 Start-ups entstehen.
Vom Strand in die Selbstständigkeit
Der Sprung in die Selbstständigkeit muss kein Sprung ins kalte Wasser sein: Unterstützung finden angehende Existenzgründer und junge Unternehmen am Mittwoch, 26. Juni, beim „Start-up Beach“ in Koblenz. Von 17.30 Uhr an laden die Handwerkskammer (HwK) Koblenz, die Industrie- und Handelskammer (IHK) Koblenz und die Start-up League zum informativen Outdoor-Event am Stattstrand in der Universitätsstraße in Koblenz-Metternich ein. “In sommerabendlicher Atmosphäre und bei kühlen Getränken lassen sich nach einem kurzweiligen Impulsvortrag und einer aufschlussreichen Talkrunde mit erfolgreichen Start-ups aus der Region hervorragend Kontakte knüpfen und Ideen austauschen", heißt es in einer Pressemitteilung. Jede Menge Experten sind dabei – und können angesprochen werden. Selbstständigkeit die Erfolgswelle zu erwischen und in eine erfolgreiche Zukunft zu surfen. Die Teilnahme kostenfrei. Aufgrund der begrenzten Teilnehmerplätze ist eine Anmeldung erforderlich und ausschließlich unter dem folgenden Link möglich: www.hwk-koblenz.de/startupbeach.