In Halle 17 müssen Besucher Überzieher über ihre Schuhe streifen. Die Sicherheitsauflagen bei Stabilus sind streng. Schon von draußen dröhnt und stampft es. Der Mitarbeiter Adrian Zenger verteilt Haarnetze und Gehörschutzstöpsel, die den Lärm etwas dämpfen. Hinter der Tür nimmt der Geräuschpegel dann wieder zu. Nur selten huscht mal ein Mensch durch unser Blickfeld.
Es sind vornehmlich Maschinen und Roboter, die vollautomatisiert das Brot- und-Butter-Geschäft des Unternehmens erledigen. Gasfedern. In der hart umkämpften Branche sind die Koblenzer Weltmarktführer. 1,5 Milliarden Stück haben die Stabilus-Werke in der 90-jägrigen Firmengeschichte schon verlassen. Die meisten Motorhauben und Heckklappen in Deutschland schließen mit dem Spitzenprodukt aus dem Hause Stabilus. Geschmeidig und eher unauffällig.
Am Anfang steht ein eher schnödes Metallrohr, das auf dem langen Weg durch die riesige Werkshalle zu dem Bestseller bearbeitet wird, den Adrian Zenger als Anschauungsobjekt gerade in den Händen hält. Der Edelstahl wird gewaschen, geflext und gepresst, um ihn in Form zu bringen. Wie von Geisterhand. Im nächsten Fertigungsautomaten wird geschweißt. Es funkt und qualmt. Dann wird Lack aufgetragen. In mehreren Farben. „Je nach Wunsch des Kunden“, erklärt Zenger. Mit und ohne Markennamen. Maschinenführer überwachen unterdessen Qualität und Stückzahl an Bildschirmen.
In der Nachbarhalle kommen die Kolbenstangen dazu. Eine Kernkompetenz von Stabilus. Gerade nehmen die Pleuel ein ausgiebiges Salzbad. In den Produktionsprozessen steckt jahrzehntelange Erfahrung. „High experience“, sagt Kommunikationschef Christian Kirchbaumer. Aus Erfahrung gut. Und immer etwas besser als die Konkurrenz. In der Koblenzer Entwicklungsabteilung wird immer weiter an der perfekten Gasfeder getüftelt. Die Konkurrenz schläft bekanntlich nicht.
Hochspezialisierte Werkzeugmacher bauen gerade einen neuen Fertigungsautomat zusammen. „Wir produzieren unsere Maschinen selbst“, sagt Zenger stolz. So kann die Produktion des Unternehmens weltweit standardisiert werden. „Alle Gasfedern durchlaufen den gleichen Prozess“, erklärt Zenger. Das schafft Synergien und spart viel Geld. Wegen seiner besonderen Eigenschaften hat sich Stickstoff in den Federn bewährt. „Das Gas reagiert etwa nicht mit der Umgebung“, sagt Zenger.
Schwer vorstellbar, dass das Geschäftsmodell der Koblenzer ursprünglich auf miserablen Straßen beruht. Doch knöcheltiefe Schlaglöcher können ein echter Innovationstreiber sein. Denn Anfang der 1930er-Jahre werden die stolzen Besitzer der Limousinen, die die Koblenzer Firma Hanko aus den Vereinigten Staaten importiert, im Rheinland ordentlich durchgeschüttelt. Ein höchst authentisches Fahrvergnügen, aber eben auch recht schmerzhaft. Es ist die Geburtsstunde von Stabilus. Die neue Firma entwickelt die passende Lösung: Hydraulische Stoßdämpfer fangen seither die ärgsten Schläge ab.
Auch wir bekommen die Flaute im Automotive zu spüren.
Stabilus-Chef Michael Büchsner
Ein Erfolgsrezept, das bis heute wirkt. Auch 90 Jahre später ist Stabilus vor allem Automobilzulieferer. 55 Prozent des Umsatzes sind im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2024 in diesem Markt erwirtschaftet worden. Noch. Denn die Branche steckt bekanntlich tief in der Krise. Das bekommen auch die Koblenzer zu spüren. „Die Umsätze gehen schleichend zurück“, sagt Konzernchef Michael Büchsner im Gespräch mit unserer Zeitung. „Auch wir bekommen die Flaute im Automotive zu spüren.“ Überrascht ist er davon nicht: „Wir haben das relativ früh gesehen.“ Und entsprechend gegengesteuert. Schon seit Jahren wird die Abhängigkeit von der Autobranche schrittweise reduziert und der Industriebereich weiter diversifiziert.
Denn Gasfedern von Stabilus stecken etwa auch in Flugzeugen, Bürostühlen und Medizintechnik, um nur einige Beispiele zu nennen. Und natürlich beschränkt sich das Sortiment bei Weitem nicht auf Gasfedern allein. „Alles, was sich bewegt“, umschreibt Büchsner das Geschäftsfeld des Koblenzer Konzerns. Hier sieht der Vorstandsvorsitzende noch erhebliches Potenzial. „Bei der Industrie können wir noch stärker werden“, betont er. Mit einer Zukunftsstrategie will sich Stabilus bis 2030 neu erfinden. Büchsner hat dabei sehr genaue Vorstellungen davon, wo die Reise hingehen soll. „Das strategische Ziel ist es, Weltmarktführer bei intelligenter Bewegungssteuerung zu werden“, kündigt er an. Und er legt die Messlatte noch höher. „Wir streben 2 Milliarden Euro Umsatz an.“
Bisher ist da bei dem Weltkonzern mit knapp 8000 Beschäftigten, der im MDAX gelistet ist, noch deutlich Luft nach oben. Im vergangenen Geschäftsjahr schlugen die Erlöse mit 1,2 Milliarden Euro zu Buche. Doch die Zahlen fürs laufende Jahr dürften deutlich höher liegen. Mit der Übernahme des US-Konzerns Destaco mit Sitz in Detroit hat sich Stabilus gerade erst neuen Umsatz dazugekauft. Der Detroiter Spezialist für Automatisierungs- und Spanntechnikprodukte passt perfekt in Büchsners neue Konzernstrategie.
Die Mitarbeiter können sich ihrer Jobs sicher sein.
Stabilus-Chef Michael Büchsner
Was bedeutet das für den Standort Koblenz, an dem Stabilus mit knapp 1500 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber ist? „Das wird in etwa konstant bleiben“, sagt der Konzernchef. Theoretisch könnten die Kapazitäten auf dem 78.000 Quadratmeter großen Betriebsgelände in Koblenz-Neuendorf, was elf Fußballplätzen entspricht, sogar erhöht werden. Auf jeden Fall bleibe aber die Entwicklung am Hauptsitz. Um seinen Arbeitsplatz zittern müsse niemand. „Die Mitarbeiter können sich ihrer Jobs sicher sein“, sagt Büchsner.
Den Stabilus-Boss treiben eher andere Sorgen um. „Fachkräftemangel haben wir wie viele andere auch“, klagt er. Deshalb wird traditionell ein großer Wert auf den Nachwuchs gelegt. Rund 60 Azubis feilen in der Lehrwerkstatt des Konzerns gerade an ihrer Zukunft. Im wahrsten Sinne des Wortes, zumindest bei den Industriemechanikern. Gerade erst haben sie 23 neue Auszubildende eingestellt. Aber allein damit wird der Bedarf nicht zu decken sein. Deshalb hat Stabilus seine Internetseiten komplett erneuert, um auch für Spitzenkräfte wie Ingenieure aus ganz Deutschland und dem Ausland attraktiv zu sein. „Wir strecken auch unsere Fühler zu den Hochschulen aus“, betont Büchsner. Dabei können die Koblenzer auch als Global Player punkten.
45 Standorte in 19 Ländern hat Stabilus mittlerweile. Als börsennotierter Konzern müssen aber auch die Margen stimmen. Da wird die Veröffentlichung der Quartalszahlen für Konzernchefs nicht selten zum Tribunal. Büchsner gibt sich da gelassen. „Die Analysten treffe ich alle zwei, drei Wochen“, sagt er und grinst. „Das macht Spaß.“ Zumindest dann, wenn die Gewinne stimmen. Und in dem Punkt ist der Konzernchef fürs laufende Jahr höchst zufrieden. Büchsner strebt eine Marge zwischen 11,7 und 12,3 Prozent an. Damit könnten auch Analysten sehr gut leben. In den kommenden Wochen liegen dann aktuelle und konkrete Zahlen vor.
90 Jahre Industriegeschichte in Koblenz
1934 geht aus dem 1924 gegründeten Importeur von US-Fahrzeugen Hanko die Koblenzer Industrie- und Handelsgesellschaft Stabilus hervor. Daher auch der Name: Stabil + US. Die Geschäftsidee basiert auf den schlechten Straßen der 1920er- und 1930er-Jahre. Hydraulische Hebelstoßdämpfer verbessern seither die Straßenlage der teuren Limousinen. Die Olympischen Spielen 1936, zu denen viele Ausländer mit ihren Autos anreisen, geben der Firma gewaltigen Auftrieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg expandiert das Unternehmen immer weiter.
Ab 1978 werden Vertriebsniederlassungen in Spanien, Italien, Großbritannien, Mexiko, Brasilien und den USA gebaut. Ab 1986 wird auch Asien systematisch weiter mit Standorten in Singapur und Japan erschlossen. 2014 wagt Stabilus schließlich den Gang an die Frankfurter Börse, wo der Konzern mittlerweile im MDAX gehandelt wird. Durch zahlreiche Zukäufe ist Stabilus zuletzt weiter kräftig gewachsen. de