„Die Leerstände in Bacharach sind schon deprimierend.“ Wenn Stadtbürgermeister Dieter Kemmer (FWG) durch die historische Altstadt führt, kann er auf zahlreiche Gebäude hinweisen, die ganz oder teilweise leerstehen. Gut 10 Prozent der Häuser sind betroffen, ähnlich wie in anderen Orten am Mittelrhein. Forscher der Universität Koblenz haben in einem einjährigen Projekt rund 3400 Gebäude in Bacharach und Oberwesel sowie in St. Goar und St. Goarshausen in den Fokus genommen, nach den Ursachen für Leerstände gesucht und gemeinsam mit Einwohnern über Gegenmaßnahmen nachgedacht. Auch für Bürgermeister Kemmer sind Strategien und Initiativen gegen den Leerstand in den kommenden Monaten und Jahren „das große Thema“.
Die Erhebung der Wissenschaftler ist nach Ansicht von Dieter Kemmer „richtig und wichtig“, denn die Zahl echter Leerstände in Bacharach liegt über dem Bundesdurchschnitt. 720 Häuser hatten die Forscher unter die Lupe genommen, fanden vollständig unbewohnte Gebäude ebenso vor wie solche, die nur noch von einer, meist älteren Person bewohnt sind. Und auch leere Ladenlokale finden sich zuhauf, etwa in der Oberstraße. „Das will kein Tourist sehen“, so der Stadtbürgermeister.

Betroffen vom Leerstand sind vornehmlich Altbauten, viele teils schöne Fachwerkhäuser, die Sanierungsbedarf haben. Aber auch gastronomische Betriebe wie das „Hotel Gelber Hof“ in der Blücherstraße sind darunter. Dem gegenüber steht ein stadtbildprägendes Gebäude mit steilem Giebel, dessen Dach mit Planen notdürftig abgedeckt wurde. Es verfällt zusehends. An anderen Stellen im Ort bröselt der Putz, verfaulen Balken, nagt der Zahn der Zeit.
„Wir müssen die Situation jetzt drehen“, sagt Dieter Kemmer, der seit acht Monaten im Amt ist. Erste Initiativen zeigen bereits Wirkung: In manchen Schaufenstern sind kleine Ausstellungen zu sehen, damit der Leerstand nicht ganz so trostlos wirkt. Im Vorfeld der Buga 2029 wird das historische Rathaus saniert, die Rheinanlagen werden auf Vordermann gebracht, die Querungen über die Bundesstraße 9 hin zur Altstadt freundlicher gestaltet. Jetzt ist es höchste Eisenbahn, die Probleme im Stadtkern anzugehen. Leerstandsmanagement und Stadtmarketing sind für Kemmer die Top-Themen: Zunächst will er Bürger, Vereine, Geschäftsleute und Eigentümer zusammentrommeln, um Projektteams und Initiativen zu starten. Er hofft dabei auf Geld über ein aktuelles Förderprogramm des Landes, mit dem solche Ambitionen unterstützt werden.
Immobilieninteressenten von auswärts informieren und einladen
Damit wäre es zum Beispiel machbar, jungen Leuten unter die Arme zu greifen, die in leerstehenden Ladenlokalen kleine Geschäfte, Cafés oder eine Vinothek einrichten möchten. Man könnte ihnen als Anschub für gewisse Zeit einen Teil der Pacht zahlen. Dieter Kemmers Überlegungen gehen aber darüber hinaus: Es gebe gerade im Rhein-Main-Ballungsraum Privatleute, die gern ein Häuschen erwerben würden, von den Möglichkeiten und überschaubaren Preisen in Bacharach aber nichts wissen. An diese Klientel will er ran, um sie für die Immobilien zu interessieren. Und dann sei es wichtig, sie bei der Sanierung mit Know-how zu unterstützen. Dabei könnte eine Infobörse ebenso wie mancher Bacharacher mit Ortskenntnis helfen.
Parallel dazu will die Stadt ihre Gestaltungssatzung aktualisieren, was gerade im energetischen Bereich notwendig sei. „Ich glaube, dass Bacharach großes Potenzial hat“, erklärt der Stadtbürgermeister. „Bis zur Buga müssen wir in den nächsten vier Jahren Impulse geben.“ Die Verkehrsanbindungen seien gut, die Wohnqualität ebenso; es gibt eine Arztpraxis, eine Apotheke und eine Kita. Gastronomie und Hotellerie sind weitgehend intakt, Dieter Kemmer wünscht sich jedoch eine Ausdehnung der Öffnungszeiten über die Saison hinaus. Seiner Ansicht nach gibt es interessierte Touristen auch für die Wintermonate, was die Stadt beleben würde. Und das könnte auch die Strategie gegen Leerstände unterstützen.

Jonas Birke, Leiter der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Geografie an der Uni Koblenz, zieht auf Anfrage unserer Zeitung ein ähnliches Fazit: „Potenziale und Chancen zur Revitalisierung der Ortskerne sind im Rheintal ebenso vorhanden wie viele gute Ideen. Aber es muss jetzt etwas passieren, denn die Orte sind zum Glück noch nicht ganz am Ende der Abwärtsspirale angelangt.“
Geschlossene Ladengeschäfte, Cafés, Restaurants und Hotels, verwaiste Wohnhäuser – in den Mittelrheinstädtchen steht beinahe jedes zehnte Haus ganz leer oder wird nur noch teilweise genutzt. Die meisten Probleme gibt es in den Stadtkernen, wo betroffene Häuser stark sanierungsbedürftig sind. Die Gründe dafür: Neben der demografischen Entwicklung, also einer älter werdenden und zahlenmäßig zurückgehenden Bevölkerung, darf nicht vergessen werden, dass in den vergangenen Jahrzehnten im Mittelrheintal viele Arbeitsplätze verschwunden sind. Junge Menschen aber ziehen dorthin, wo die Jobs sind. Und dann, so Jonas Birke, ist die Lage der Orte, ihre Anbindung und Infrastruktur für junge Familien nicht attraktiv genug. In den engen Stadtkernen fehlen Parkplätze, das soziale und Freizeitleben, so artikulierten es die Bürger selbst, sei nicht gut genug ausgeprägt. Kulturelle Angebote fehlen, und außerhalb der Tourismussaison gebe es nicht genügend Restaurants und Kneipen.
„Sobald Leerstand entsteht, sorgt das immer für eine Abwärtsspirale.“
Jonas Birke, Leiter der Studie und Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Geografie an der Uni Koblenz
„Sobald Leerstand entsteht, sorgt das immer für eine Abwärtsspirale“, erklärt Jonas Birke die Folgen einer solchen Entwicklung. „Die Gebäude nebenan werden immer unattraktiver in ihrer Lage.“ Langjährige Bewohner und Eigentümer ziehen weg, entweder wird relativ günstig an Menschen weitervermietet, die sich bessere Quartiere nicht leisten können, oder es entsteht wiederum Leerstand. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kommunen aus Geldmangel nicht gegensteuern können. Wenn gleichzeitig noch in Außenbereichen Neubaugebiete ausgewiesen werden, dann sei das zwar zu verstehen, so Birke, zersiedele aber weiter die Orte.
Problematisch ist auch, dass laut Studie fast 30 Prozent der Leerstände in den vier Städten ortsbildprägend sind. Dies bedeutet, dass die Gebäude direkt zu sehen sind. So etwas kann sich früher oder später auf den Tourismus auswirken, denn Gäste wollen sich keine Ruinen anschauen. „Es handelt sich häufig um schöne Strukturen, zum Beispiel mit Fachwerkfassaden“, erläutert Birke. „Man erkennt aber auch bereits Beschädigungen, manches ist runtergekommen.“

Die negative Entwicklung in den Ortskernen ändere sich meist erst dann, wenn die Häuser renoviert und wieder genutzt werden. Zusammen mit Einwohnern, den Bürgerwissenschaftlern, haben die Forscher der Uni Koblenz etliche Ideen für eine Revitalisierung der Kernbereiche entwickelt: Neben verbessertem Wohnraum zum Beispiel für Studenten könnten dort neue Geschäfte eröffnen, Vinotheken oder Co-Working-Spaces. Als Zwischennutzung seien Ausstellungen in Schaufenstern durchaus sinnvoll, sagt Jonas Birke. Oder sogenannte Pop-up-Stores, die nur zeitweise öffnen. Hauptsache, die Gebäude werden genutzt.
Gerade weil die Mieten in Städten wie Mainz oder Koblenz immer teurer werden, könnten die kleinen Orte am Rhein für Wohnungssuchende wieder interessanter werden, hofft der Wissenschaftler. Doch es muss in sanierungsbedürftige Gebäude investiert werden, es braucht Leute, die den Mut haben, die Immobilie zu kaufen und loszulegen. Voraussetzung für solche Initiativen ist nach Meinung Birkes, dass alle stärker zusammenarbeiten. Politik und Verwaltungen müssten behördliche Verfahren erleichtern, ein Netzwerk für Ideen, Initiativen und Interessenten sei ebenso wichtig wie Beratungen bezüglich der vielen Fördermöglichkeiten, die es gibt, die aber für Otto Normalverbraucher kaum noch zu überblicken sind. Schließlich steht ja das ein oder andere Haus unter Denkmalschutz, was die Sache noch mal verteuern kann. Mittelfristig seien dann auch Probleme wie fehlender Parkraum in den Innenstädten und gastronomische sowie Freizeitangebote auch außerhalb der Saison anzugehen.

Wie das Leben in die Innenstädte zurückkehren kann
Von guten Beispielen lernen: Bei einer Infoveranstaltung in Bad Marienberg wurden jetzt erfolgreiche Fälle von Innenstadt-Wiederbelebungen vorgestellt. Einige Vorschläge lassen sich möglicherweise auch in den Westerwälder Zentren realisieren.
In St. Goar wurden sogar 10 Prozent Leerstände auf das gesamte Stadtgebiet erfasst. Stadtbürgermeister Falko Hönisch (SPD) beschäftigt sich seit 2019 mit dem Problem, ist im Gespräch mit Hausbesitzern. Er sagt: „Vielleicht weckt die Studie der Uni Koblenz doch noch mal den ein oder anderen auf, denn die Ursachen liegen hauptsächlich im privaten Bereich.“ Es müsse an das Verantwortungsbewusstsein der Menschen für die eigene Liegenschaft und die gesamte Stadt appelliert werden, ganz nach dem Grundsatz „Eigentum verpflichtet“.
Hönisch sieht aber auch positive Entwicklungen: Er sei im Gespräch mit den Koblenzer Hochschulen, die ein Interesse daran hätten, in St. Goar günstige Wohnungen für Studenten zu finden. Die Bahnverbindungen sind gut, und eine Belebung des Städtchens durch junge Leute wäre wünschenswert. Auch der Bürgertreff in einem früher verwaisten Gebäude werde gut angenommen. Initiator ist der Verein Kulturnetz Oberes Mittelrheintal, Fördergelder fließen, etliche Menschen bringen sich hier persönlich ein. Und dann hofft Falko Hönisch, dass das Gebäude des Finanzamtes im Jahr 2026 von der Buga GmbH belegt werden könnte. Rund 60 Mitarbeiter, das bedeute Arbeitsplätze, eine stärkere Nachfrage und vielleicht den ein oder anderen, der in der Stadt auch leben möchte.
Wird die Buga 2029 insgesamt einen positiven Einfluss auf die Leerstandsproblematik haben? „Das ist schwer einzuschätzen“, meint wiederum Jonas Birke. „Hier muss in den kommenden Jahren an konkreten Maßnahmen gearbeitet werden. Gebraucht werden ja Unterkünfte, ob das aber langfristig reicht, da bin ich mir unsicher. Und dann ist die Buga-Fläche extrem groß – da ist es schwer, für jeden einzelnen Ort noch Lösungsansätze zu entwickeln. Außerdem sind es ja nur noch wenige Jahre bis dahin. Die Menschen in den Mittelrheinorten jedenfalls hoffen auf positive Effekte durch die Buga.“