Das neue Arbeitsgerät ergänzt seinen Arm organisch. Der Griff liegt fest in der Faust, die lange Seite liegt bündig am Unterarm, und ein kurzes, massives Stück ragt über die Hand hinaus. Den Angriff seines Ausbilderkollegen John Klein wehrt Bronder robust mit dem stockgeschützten Unterarm ab, drängt ihn nach hinten und stößt in einem Ruck mit dem kurzen Ende zu. Dann fasst er den Arm des Kollegen, hebelt ihn mit dem Stock auf den Rücken. Klein ist hilflos. „Sicher!“, ruft Bronder. Das Signal für die Kollegen, das die Situation unter Kontrolle ist.
Rund 240 der 60 bis 70 Euro teuren Einsatzstöcke sollen angeschafft werden. Denn das Vorgängermodell, erklärt Klein, war im Kern nichts anderes als ein Schlagstock – und erwies sich in der Praxis als untauglich. „Oberstes Ziel für uns ist es, die Situation zu kontrollieren“, erklärt Klein, der einen Doktortitel in Psychologie führt. „Die wichtigste Waffe für uns ist erst einmal Kommunikation“, ergänzt Bronder. Funktioniert das nicht und ein Gefangener wird aggressiv, gelten zwei Regeln: Distanz schaffen, wieder in die Kommunikation gehen und im Zweifel den Delinquenten fixieren. Mit dem neuen Gerät wird das möglich. Statt eines Schlagstocks erhalten die Beamten nun gewissermaßen einen Kontrollhebel. Er könne auch Kraftunterschiede zwischen männlichen Insassen und weiblichen Beamten ausgleichen. Außerdem sollen die Techniken, die Klein und Bronder schulen, von jedem Kollegen erlernt werden.
Mertins Haus beschäftigte sich mit der neuen Ausrüstung für Bronder und Co. nach einem Vorfall in der JVA Wittlich. Dort schluckte ein Häftling eine Designerdroge und randalierte völlig von Sinnen. „Er ist total ausgerastet und war nicht zu bändigen, um es mal untechnisch auszudrücken“, sagte Mertin. „Ich habe mir dann von Medizinern erklären lassen, dass Menschen unter Einfluss dieser Substanzen ein Vielfaches ihrer Kraft freisetzen können.“ Es habe sich herausgestellt, dass die Schutzausrüstung für einen Vorgang dieser Art nicht mehr optimal sei. Ein Taser, der immer wieder in der politischen Diskussion auftaucht, komme aber nicht infrage. „Aus Platzgründen“, erläuterte Fernis. „Die Menschen sind dann völlig bewusstlos, sacken unkontrolliert zusammen.“ In den engen Zellen (maximal 16 Quadratmeter) seien Stürze auf Tisch- oder Stuhlkanten praktisch kaum vermeidbar. „Die Gefahr eines Schädelbasisbruchs ist dann immer gegeben“, sagte Klein. Nur in der „besonders gesicherten Zelle“, einem Raum ohne Möblierung, wäre der Einsatz denkbar. „Wir hatten das in einem Fall“, erklärte Mertin. „Dort rückte die Polizei an. Das ist durchaus praktikabel.“ Eine Gefährdung unbeteiligter Dritter sei im Gegensatz zu Polizeieinsätzen in der JVA kaum gegeben. Auch Schusswaffen seien keine praktikable Lösung, sagte Mertin: „Alles, was Sie mitnehmen, kann Ihnen der Gefangene auch abnehmen, und dann ist es plötzlich sehr gefährlich für Sie selbst.“
Die künftige Ausrüstung besteht neben den neuen Einsatzstöcken aus Schutzhelmen und Schutzanzügen, schnittfesten Handschuhen und Schildern. Dafür sind im Haushalt je rund 145.000 Euro für dieses und nächstes Jahr eingeplant. In Rheinland-Pfalz gibt es acht Justizvollzugsanstalten sowie zwei Jugendstrafanstalten und eine Jugendarrestanstalt mit 3200 Haftplätzen. Die Beamten können die Ausrüstung im Zweifel binnen Minuten anlegen. Im Alltag tragen sie allerdings ihre gewöhnlichen Uniformen. „Das ist auch so gewollt, um eine entsprechende Atmosphäre aufzubauen“, sagte Fernis.
Zehn Fälle von Gewalt gegen Bedienstete haben die Gefängnisse in den ersten acht Monaten dieses Jahres gemeldet, berichtete Mertin. Im Spitzenjahr 2017 waren es 42 und im vergangenen Jahr 27. Die Ursachen für Gewaltausbrüche seien vielfältig, sagte Klein. Drogen, psychische Erkrankungen, Schicksalsschläge und ganz unterschiedlich motivierte Frustration nannte er als Beispiele.
Zuletzt kam es zu einem heftigen Angriff auf einen Beamten, der mit einer Rasierklinge aus einem Einmalrasierer attackiert wurde. Elektrorasierer sind in den Gefängnissen allerdings keine Alternative. „Alles, was Elektro ist, birgt für den Strafvollzug Gefahren“, sagte Mertin. Findige Häftlinge hätten Rasierer zu Tätowiergeräten umgebaut. „Das eröffnet dann völlig neue Geschäftsfelder, die wir nicht dulden können.“ Deshalb seien selbst Fernsehgeräte in besondere Gehäuse verpackt, „damit die Häftlinge nicht an die Technik kommen“.