Von unserer Redakteurin Michaela Cetto
Kördorf – Karl-Peter Sieger gehört nicht zu den Menschen, die schnell die Flinte ins Korn werfen. Mit Geduld, Fleiß und Akribie hat sich der heute 57-Jährige seine Existenz aufgebaut. Schritt für Schritt.
Seit 30 Jahren verbringt der einstige Fernmeldehandwerker nahezu jedes Wochenende auf Flohmärkten in der gesamten Region, packt Kisten ein und aus, handelt, kauft, sammelt, repariert, verkauft. Meterhoch stapeln sich Raritäten, Nippes, Bücher und Kostbarkeiten in seinem Schuppen und im alten Pferdestall. Die Einnahmen sind nicht üppig, aber das Geld reicht, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Entscheidung des Wirtschaftsministeriums, zum 1. Januar sonntägliche Trödelmärkte zu verbieten, trifft ihn hart. „Die guten Geschäfte macht man nur sonntags, wenn die Leute Zeit haben“, weiß Karl-Peter Sieger. „Dieser Beschluss bedeutet das Ende meines Jobs.“
Und daran hängt nicht „nur“ seine Existenz, sondern auch die Zukunft der Neuwagenmühle bei Kördorf im Jammertal (Rhein-Lahn-Kreis). Sieger und seine Frau Birgit Weidmann haben das Gebäude vor 13 Jahren gekauft, restauriert und einen Ort der kulturellen Begegnung geschaffen. Ihre Kunstprojekte genießen in Mainz immerhin ein so hohes Ansehen, dass sie seit 2004 im Rahmen des Kultursommers Rheinland-Pfalz gefördert werden. Ihre Kunst und der Trödel sind aber untrennbar miteinander verbunden. Nicht nur, dass Einrichtung und Ausstattung größtenteils aus Trödel bestehen. Die arbeitsintensiven (und stets langen) Wochenenden schaffen Freiraum für die Kulturarbeit. „Ohne die Sonntagsmärkte können wir das nicht fortführen. 80 Prozent unserer Einkünfte brechen weg.“
Damit ist Karl-Peter Sieger nicht allein. Viele Menschen in Rheinland-Pfalz sind auf die Märkte angewiesen. Das sonntägliche Trödelmarktverbot bedroht dabei nicht nur die Existenz der „professionellen“ Händler. „An diesen Ständen stehen auch Menschen, die auf das Plus von vielleicht 50 Euro im Monat angewiesen sind“, erzählt Sieger. Zahlreiche Rentner verdienten sich hier ein kleines Zubrot. „Sie verkaufen Dinge, die andere in den Müll werfen würden, um bei schmalen Bezügen zum Beispiel ihren Enkeln ein Weihnachtsgeschenk kaufen zu können.“ Und: Für eine ganze Menge vor allem älterer Menschen bedeutet der Trödel die Chance auf soziale Kontakte.
Auch Migranten, Alleinerziehende oder junge Familien mit geringen Einkünften gehören zur Flohmarktgesellschaft. Immer wieder treffen sich die Händler in den Straßen, ziehen von Stadt zu Städtchen und zurück, ständig auf der Suche nach Waren und potenziellen Abnehmern. Auf der anderen Seite der Stände tummelt sich Kundschaft aus sämtlichen sozialen Schichten. „Leute mit wenig Geld decken hier ihre Grundbedürfnisse und kleiden ihre Kinder ein“, sagt Sieger. Andere zählen die Scheine in der Tasche auf der Suche nach dem großen Wurf, dem Schnäppchen, dem Designerstück. Sieger kennt sie alle – die Jäger, die Sammler, die leidenschaftlichen Feilscher, die schrägen Vögel und die Einsamen. Auf dem Flohmarkt sind sie eins. „Die Entscheidungsträger in Mainz machen sich kein Bild, welche Energien in der Interaktion an so einem Stand fließen können“, sagt er mit einem Lachen. „Das ist Emotion, Passion, Kultur! Ich liebe es, die Augen der Menschen leuchten zu sehen!“
Dieses Leuchten gehört zu dem Motor, der Karl-Peter Sieger und viele seiner Mitstreiter antreibt. Sie nutzen die letzten Flohmärkte in diesem Jahr, um für ihr Anliegen zu werben. Sie gründen Bürgerinitiativen, sammeln Unterschriften, finden Tausende Gleichgesinnte. „Wir geben nicht auf“, sagt Sieger bestimmt. „Was sollte auch ohne den Sonntagströdel aus uns werden? Hartz-IV-Empfänger? Das ist doch absurd.“