Ein Arbeitsplatz 140 Meter über der Mosel, auf einem acht mal zehn Meter großen Fahrgerüst, das an der Unterseite der Moseltalbrücke hängt, über einem rauscht der A61-Verkehr: Peter Gilles weiß, wie sich das anfühlt. Er ist Leiter der Abteilung Konstruktiver Ingenieurbau der Niederlassung West bei der Autobahn GmbH des Bundes, die im September 2024 mit den Instandsetzungsarbeiten an der wichtigen Brücke begonnen hat.
In einem ersten Schritt erfolgt hier die schweißtechnische Instandsetzung der sogenannten orthotropen Fahrbahnplatte in beiden Fahrtrichtungen – in den vergangenen Tagen zog die Baustelle von einer Brückenseite auf die andere um. Was genau passiert da jetzt? Wie wird gearbeitet? Und kann man hin und wieder auch mal die Aussicht auf Fluss und Weinberge genießen? Peter Gilles gibt im Interview mit unserer Zeitung Einblicke.
Herr Gilles, nachdem die Arbeiten auf der Richtungsfahrbahn Koblenz abgeschlossen worden sind, haben Sie jetzt mit der schweißtechnischen Instandsetzung an der Fahrbahnplatte der Richtungsfahrbahn Speyer begonnen. Können Sie einem Laien ganz konkret beschreiben, was da wie gemacht wird?
Die Moseltalbrücke Winningen besteht aus einem Stahlhohlkasten, der etwa elf Meter breit und circa sieben Meter hoch ist und auf beiden Seiten rund zehn Meter breite Auskragungen hat. Das Fahrbahnblech, das sich unter der Asphaltdeckschicht befindet, besitzt U-förmige, in Fahrtrichtung angeschweißte Hohlsteifen-Verstärkungen und bildet hiermit eine sogenannte orthotrope Platte. Aufgrund der langen, mehr als 50-jährigen Nutzungsdauer und stetig wachsender Schwerverkehrsbelastung ist das Material inzwischen ermüdet und anfällig bezüglich der Dauerbelastungen. Es zeigen sich Schäden in Form von Schweißnahtrissen, und zwar insbesondere in den Auskragungsbereichen an den Anschlussschweißnähten der Hohlsteifen-Fahrbahnblechverstärkungen an der Unterseite. Diese zahlreichen und bis zu circa 50 Zentimeter langen Schweißnahtrisse werden nach den jetzt abgeschlossenen Arbeiten in Richtung Koblenz und nach Umbau beider Fahrgerüste in Fahrtrichtung Speyer saniert. Die Instandsetzung beinhaltet Risserkundung, Freischleifen, Schweißnahterneuerung im Schadensbereich und Erneuerung des Korrosionsschutzes.
Haben Sie während der bisherigen Arbeiten zusätzliche Erkenntnisse zum Zustand der Brücke gewonnen?
Grundsätzlich zeigen die bisherigen Untersuchungsergebnisse, dass die Tragfähigkeit der Brücke für den nicht genehmigungspflichtigen Verkehr (bis 44 Tonnen) gegeben ist. Demzufolge können der Individualverkehr und der nicht genehmigungspflichtige Schwerlastverkehr die Brücke bis auf Weiteres unter den bekannten verkehrlichen Einschränkungen nutzen. Die Brücke befindet sich in einem stetigen Überwachungsmodus, das heißt, der Überbau wird in regelmäßigen engmaschigen Kontrollgängen und Prüfungen bis zur Fertigstellung der erforderlichen Instandsetzung überwacht.
Welche Werkzeuge und Gerätschaften kommen dabei zum Einsatz?
Es sind zwei Fahrgerüste in Betrieb, auf denen die Sanierungsarbeiten an den Hohlsteifen der Fahrbahnplatte durchgeführt werden. Es kommen Schleifwerkzeuge, Strahl- und Schweißgeräte zum Einsatz.
Von unten sieht man die Arbeitsgondel unter der Brücke hängen. Wie groß ist der Arbeitsbereich auf dieser Gondel – und wie viele Menschen arbeiten darin jeweils?
Die beiden Fahrgerüste sind jeweils acht Meter lang und in Querrichtung bis an den Hohlkasten heran etwa zehn Meter breit. Planmäßig ist jedes Gerüst mit drei bis vier Personen besetzt. Die Gerüste sind komplett eingehaust und können somit auf ganzer Fläche genutzt werden.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag dort aus – wird in mehreren Schichten gearbeitet? Wann geht es morgens los? Der Arbeitsweg zur Gondel ist doch sicher auch speziell…
Tageslicht- und witterungsabhängig finden Arbeiten zwischen circa 7.30 und 17 Uhr statt, einschließlich vorgeschriebener Pausen. Die Anzahl und Einteilung der Arbeitskräfte und die Arbeitszeit liegen grundsätzlich im Verantwortungsbereich der von der Niederlassung West beauftragten ausführenden Firma. Der Zugang zu den Gerüsten erfolgt über aufgesetzte Treppentürme bis in den eingehausten Bereich hinein.
Braucht es spezielle Qualifikationen für die Arbeit in einer solchen Gondel – auch über das Fachliche hinaus? Müssen die Leute etwa besonders höhensicher sein?
Aufgrund der komplett blickdichten und absturzsicheren Einhausung ist eine besondere Qualifikation nicht erforderlich. Für die Arbeiten auf dem Gerüst sind Arbeits- und Sicherheitsanweisungen zu beachten, insbesondere für das Verfahren gibt es eine spezielle Betriebsanleitung mit detailliert festgelegtem Ablauf. Das Verfahren des Gerüstes über die gesamte Brückenlänge von circa 940 Metern dauert circa drei Stunden und erfolgt über einen Elektroantrieb mit schienengeführten Rollen.
Tragen die Leute bestimmtes Sicherungsmaterial?
Grundsätzlich ist auf dem Gerüst eine Persönliche Schutzausrüstung (PSA) zu tragen, einschließlich Kopfschutz. Eine Gurtpflicht besteht während des Verfahrens des Gerüstes.
Ist es für Sie noch etwas Besonderes, in so großer Höhe an einem solchen Bauwerk zu arbeiten? Wie ist die Aussicht?
Die Einhausung vermittelt ein gutes Sicherheitsgefühl. Trotzdem sind in dieser Höhe auftretende starke Böen deutlich spürbar. Die Höhe von bis zu 140 Metern, die Länge von mehr als 900 Metern und die einzigartige Aussicht über das Moseltal mit seinen steilen Weinberghängen machen die Arbeiten an der Talbrücke zu etwas Besonderem.
Gab es im Bauverlauf bislang Überraschendes für Sie?
Im Zuge der Ausführung wurden die Bauteile nochmals handnah im Schutze des Hängegerüstes begutachtet. Hierbei stellten sich keine außergewöhnlichen oder überraschende Sachverhalte ein. Die Instandsetzung der orthotropen Platte lief bisher und läuft weiterhin planmäßig.
Die Fragen stellte Tim Kosmetschke
Was die Experten unter einer orthotropen Fahrbahnplatte verstehen
Die Autobahn GmbH spricht bei der Moseltalbrücke von einer orthotropen Fahrbahnplatte. Dabei handelt es sich beim Brückenüberbau um die Stahlplatte, die die Fahrbahn (Asphalt) trägt, informierte die Niederlassung West kürzlich auf Anfrage. Die Stahlplatte wäre jedoch nicht tragend, wenn sie in Längs- und/oder Querrichtung keine zusätzlich angeordneten, aussteifenden Elemente aufweisen würde. Hierzu werden Stahlprofile auf der Unterseite der Stahlplatte in Längs- und Querrichtung orthogonal zueinander aufgeschweißt. Dadurch erhält man das statisch erforderliche Tragverhalten je nach Verkehrseinwirkung. Das Wort „orthotrop“ setzt sich aus den beiden Wörtern „orthogonal“ und „anisotrop“ zusammen, diese Begrifflichkeiten entstammen der Materialfestigkeitslehre. „Die orthotrope Platte ist die seit Jahrzehnten weltweit anerkannte und verbreitete Anwendung im Stahlbrückenbau“, hieß es aus Montabaur. red
Wenn am Wochenende im Moselort Winningen das Steillagenfest gefeiert wird, dürfte mancher den Blick gen Moseltalbrücke schweifen lassen: Wie steht es eigentlich um die Sanierung des maroden Bauwerks? Es geht voran, meldet die Autobahn GmbH.Sanierung der Moseltalbrücke geht in eine neue Phase