Die rheinland-pfälzische Jugendorganisation der SPD (Jusos) spricht sich, anders als andere Jugendverbände, nicht klar für oder gegen den Koalitionsvertrag der wahrscheinlich neuen Bundesregierung aus. Man werde den rund 3100 Juso-Mitgliedern in Rheinland-Pfalz für das seit Dienstag laufende SPD-Mitgliedervotum keine Empfehlung für ein „Ja“ oder ein „Nein“ aussprechen, erklärt Juso-Landeschefin Beatrice Wiesner auf Anfrage unserer Zeitung. Nichtsdestotrotz kritisiert Wiesner die getroffene Vereinbarung zwischen Union und SPD scharf.
Aus den bisher geführten Gesprächen lasse sich abzeichnen, „dass niemand Freudensprünge angesichts des Koalitionsvertrages macht“, sagt die Pfälzerin. Gerade bei den Bereichen Arbeit, Soziales und Migration falle es vielen Genossen mehr als schwer, mitzugehen. Wiesner erklärt: „Das Menschenbild, das sich aus diesen Kapiteln ableiten lässt, ist ein grundsätzlich anderes als jenes, das wir Jusos vertreten.“ Es seien rechte Narrative, teilweise sogar AfD-Positionen, übernommen worden, die das Leben von Schutzsuchenden negativ beeinflussen würden, hadert die Sozialdemokratin.

Die Aussetzung des Familiennachzugs oder die Beendigung von Aufnahmeprogrammen nennt Wiesner ein „fatales Signal“. Wer mit Blick auf das neue Staatsangehörigkeitsrecht von „Turboeinbürgerung“ spreche, übernehme Erzähltheorien der AfD, bemängelt die Juso-Landesvorsitzende. Wiesner lehnt auch die Verständigung zur Einführung einer Wochenarbeitszeit anstelle eines Acht-Stunden-Arbeitstages ab. Dieser sei ein Schutzschirm für Arbeitnehmer.
„Ich bin mir über mein eigenes Abstimmungsverhalten noch nicht sicher, ich lehne den Koalitionsvertrag an sich in den größten Teilen ab, sehe aber auch unsere demokratische Verantwortung, dass es keine andere demokratische Regierungsoption gibt.“
Juso-Landeschefin Beatrice Wiesner
Auch wenn sie selbst sich noch nicht sicher sei, wie sie am Ende abstimmen wird, lehne sie den Koalitionsvertrag „an sich in den größten Teilen ab“, sagt sie. Gleichzeitig sehe sie aber auch die demokratische Verantwortung der SPD, eine Regierung mit zu bilden. Es gebe nun mal, anders als im Jahr 2017, keine andere demokratische Regierungsoption. Sie wolle ihrem Verband Raum zur Diskussion und zum Austausch geben. Man vertraue darauf, dass jeder Jungsozialist „diese schwierige Entscheidung für sich selbst treffen kann“, so die Pfälzerin.

Am Montag hatten sich der Juso-Bundesvorstand und mehrere Landesverbände, darunter NRW, Bayern und Schleswig-Holstein, wegen der Migrations- und Sozialbeschlüsse klar gegen den Koalitionsvertrag gestellt und Nachverhandlungen gefordert. Der Juso-Bundesvorsitzende Philipp Türmer sagte am Montag bei RTL: „Unser Votum lautet Ablehnung.“ Türmer erklärte: „Für die Zustimmung der Jusos bräuchte es deutliche Nachbesserungen.“ Die Parteispitze warb dagegen eindringlich um die Einwilligung.
Die Chance, durch Nachverhandlungen Verbesserungen zu erreichen, bewertet Juso-Landeschefin Wiesner als gering. Wenn der designierte Kanzler Friedrich Merz eine Woche nach Fertigstellung des Koalitionsvertrages Vereinbarungen zur Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen oder zur Mindestlohnerhöhung infrage stelle, könne niemand die Jusos dafür kritisieren, dass sie an andere Stelle dasselbe tun, sagt Wiesner.

Die SPD stimmt bis zum 29. April online über das Regierungsprogramm von Schwarz-Rot ab. In Rheinland-Pfalz gibt es derzeit nach Angaben eines Parteisprechers rund 28.000 Mitglieder. Am 30. April soll das Ergebnis bekannt gegeben werden. Für die Annahme des Koalitionsvertrages ist nicht nur die Mehrheit der Stimmen, sondern auch eine Beteiligung von mindestens 20 Prozent der Mitglieder nötig.