Von Jens Albes (dpa)
Warum erst dann? Rheinland-Pfalz will nicht die französische Anweisung vom grünen Tisch feiern, sondern die folgende demokratische Landesgründung mit der Ausarbeitung der Verfassung. Dieser Prozess begann am 22. November 1946 in Koblenz. Beim Festakt exakt 70 Jahre später werden deshalb am 22. November in der Rhein-Mosel-Stadt nach Auskunft der Staatskanzlei Regierungschefin Malu Dreyer und Landtagspräsident Hendrik Hering (beide SPD) erwartet.
Die Schwächsten kamen zusammen
Der Mainzer Geschichtsprofessor Michael Kißener blickt zurück ins Jahr 1946: „Da kamen die Rheinpfalz, Rheinhessen und Teile der einstigen preußischen Rheinprovinz zusammen, die schon die wirtschaftlich schwächsten Regionen ihrer Vorgängerstaaten waren.“
Die Ausgangslage ist damals katastrophal: Hunger und Armut, eine zerschossene Chemiefabrik BASF in Ludwigshafen, ein noch sehr kleines Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, kaum weitere Industrie, ein rückständiges europäisches Grenzland der Rüben und Reben. „Die Gründung von Rheinland-Pfalz war Feuerwehrpolitik, um die ungünstigen und unsicheren Verhältnisse rasch zu stabilisieren“, erklärt Kißener. „Den Akteuren konnte nicht klar sein, wohin die Reise ging.“
Vor der Einheit wirkten Fliehkräfte
Würde sich in Rheinland-Pfalz ein Einheitsgefühl entwickeln? Zunächst zeigen sich die Fliehkräfte der Tradition: Pfälzer suchen den historischen Anschluss an Bayern, Rheinhessen wollen zu Hessen gehören, und Nordrhein-Westfalen befürwortet zeitweise eine Angliederung des Raumes Koblenz-Trier.
In den 1950er-Jahren prüfen zwei bundesweite Kommissionen eine Neuordnung der deutschen Länder. „Die sogenannte Luther-Kommission wollte Rheinland-Pfalz auflösen, weil es nicht überlebensfähig sei“, erklärt Kißener. „Die Landesregierung hat sich gut dagegen gewehrt.“
1956 kommt es in Rheinland-Pfalz zu gleich fünf Volksbegehren zum Thema Länderneugliederung. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ warnt am 9. April 1956 vor einem Mosaik territorialer Wünsche ohne einheitlichen Willen: „Noch ehe das Dach über unserer Heimat wasserdicht ist, bohren wir das Fundament an, weil nicht wir, sondern eigentlich die Besatzungsmächte es seinerzeit gelegt haben, als sie die Länder, alle miteinander, schufen.“ Drei Volksbegehren erhalten die nötige Unterstützung der Bürger. Doch zu den nun vorgesehenen Volksabstimmungen kommt es erst fast zwei Jahrzehnte später, im Jahr 1975. Da interessieren sie kaum noch, scheitern allesamt und sind längst vergessen.
Heute sagt Ministerpräsidentin Dreyer: „Rheinland-Pfalz ist ein wirtschaftlich starkes Land mit einer ganz eigenen kulturellen Identität.“ Auch die Landeszentrale für politische Bildung sieht eine „unverwechselbare Eigenständigkeit“.
Luft nach oben
Kißener sieht noch Luft nach oben: „Auch Bayern und Baden-Württemberg sind historisch gesehen Kunstprodukte. Beide haben aber ein höheres Landesbewusstsein.“ Rheinland-Pfalz mache zu wenig aus seinem Erfolg als wirtschaftlich starke europäische Kernregion. „Bayern wird sofort mit Siemens und BMW identifiziert und Baden-Württemberg mit Mercedes und Porsche“, sagt der Historiker. Das sei bei Rheinland-Pfalz mit dem weltgrößten Chemiekonzern BASF und Deutschlands zweitgrößtem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim nicht so.
Jüngst hat Deutschland den Kopf geschüttelt über den spektakulär geplatzten Verkauf des rheinland-pfälzischen Flughafens Hahn an eine dubiose chinesische Firma mit einem mutmaßlich gefälschten Bankbeleg. Global gesehen, sei aber das auch von Mittelstand und Weinbau geprägte Bundesland an Rhein und Mosel eine Erfolgsgeschichte, sagt Experte Kißener.
Die einzige Ampel der Republik
Die Landespolitik hat im Jahr 1991 ihre große Wende erlebt: Nach 45 Jahren erobert die SPD erstmals die CDU-Hochburg Rheinland-Pfalz – und sitzt bis heute auf der Regierungsbank, seit Mai 2016 zusammen mit FDP und Grünen. Das ist derzeit Deutschlands einzige Ampelkoalition.