Von unserem Chefredakteur Christian Lindner
Rheinland-Pfalz – Die Unternehmer im Bezirk der Industrie- und Handelskammer Koblenz werden ihre Wahlen zur Vollversammlung der IHK wiederholen – um das neue „Parlament der Wirtschaft“ aus dem Sumpf des Verdachts zu befreien, die Kammerzentrale habe die Wahl manipuliert. Davon ist nach Informationen unserer Zeitung auszugehen.
Die rund 85 000 Mitglieder der Industrie- und Handelskammer – also alle Unternehmer aus Industrie und Handel in der Region – wählen alle fünf Jahre aus ihrer Mitte die IHK-Vollversammlung. Diesem „Parlament der Wirtschaft“, wie die Kammer gern sagt, gehören 70 Unternehmer an. Sie vertreten alle Kammermitglieder, definieren die Grundlinien der Arbeit der Kammer, entscheiden über den neuen Hauptgeschäftsführer und wählen aus ihrer Mitte ein Präsidium.
Im November stand die Wahl der neuen Vollversammlung an, die im März ihre Arbeit aufnehmen soll. Für die 70 durchaus begehrten Sitze in dieser Versammlung stellten sich 225 Kandidaten zur Wahl – in 38 Wahlgruppen, die nach Regionen und Branchen gegliedert sind. Geleitet wird die Wahl vom Wahlausschuss der IHK – Organisation und Ablauf liegen in den Händen der Hauptgeschäftsstelle der Kammer.
Genau dieser Punkt rückte jäh in den Fokus, als das Ergebnis der Wahl bekannt wurde: Vier namhafte Persönlichkeiten aus der Wirtschaft im RZ-Land, die zuvor der Vollversammlung und sogar dem Präsidium angehört hatten, waren wieder angetreten – aber zur allgemeinen wie zur eigenen Überraschung nicht wiedergewählt worden. Das traf IHK-Präsident Manfred Sattler (Wassenach), die Vizepräsidenten Roland Bott (Guldental) und Thomas Bellersheim (Neitersen) sowie Vizepräsidentin Hildegard Kaefer (Sohren). Andere, durchweg weniger bekannte Kandidaten in ihren Wahlgruppen hatten mehr Stimmen als sie bekommen.
Pikant daran ist: Alle vier nicht Gewählten gehörten zu den Kräften in der IHK, die sich stärker als frühere Präsidien in die Arbeit der Kammer einmischten. Mehr noch: Sie hatten zunehmend öfter das Wirken des hauptamtlichen Hauptgeschäftsführers Hans-Jürgen Podzun infrage gestellt (wir berichteten). Das mündete in einem für IHK-Verhältnisse einmaligen Vorgang: Anfang November beschloss das zehnköpfige IHK-Präsidium einstimmig, externe Wirtschaftsprüfer damit zu beauftragen, die Geschäftsführung von Podzun zu durchleuchten – „um Schaden von der IHK und der Geschäftsleitung abzuwenden“. Die IHK-Vollversammlung bestätigte diesen Beschluss.
Vor diesem Hintergrund gewann die Niederlage von vier der engagierten „Aufklärer“ bei den Kammerwahlen – gleichbedeutend mit einem erzwungenen Ende ihres Wirkens in der IHK-Vollversammlung – zusätzliche Brisanz: Rasch machte in der heimischen Wirtschaft der Verdacht die Runde, bei der Wahl könne es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.
Diese Gerüchte bekamen weitere Nahrung, als bekannt wurde, dass die IHK-Hauptgeschäftsstelle ohne Einbindung des Wahlausschusses 300 „Reservestimmzettel“ hatte drucken lassen – und zwar für jede der 38 Wahlgruppen. Zur Relation: In vielen Wahlgruppen reichen 300 bis 400 Stimmen für den Sieg. Unstrittig ist, dass diese Stimmzettel von der IHK-Zentrale zwischengelagert wurden. Nach dem spektakulären Ausgang der Wahl aber waren sie unauffindbar – „vor Ende der Wahl vernichtet“, wie es kammerintern hieß. Diese Vernichtung war aber nicht dokumentiert worden und dem Wahlausschuss auch nicht transparent.
Als sich dann noch herausstellte, dass es in einigen Wahlgruppen auffallend hohe Wahlbeteiligungen gab, mehrten sich in der Wirtschaft die Befürchtungen, dass die Wahl von der Kammerzentrale gezielt manipuliert worden sein könnte. Zudem kamen wieder Erinnerungen hoch, dass schon bei früheren Kammerwahlen bekannte Unternehmer auf rätselhafte Weise gescheitert waren – Rolf Wegeler oder Michael Fuchs etwa. Auch diese Wahlfragen mehrten die Vorwürfe, die sich gegen Hans-Jürgen Podzun, 17 Jahre Hauptgeschäftsführer der IHK, richteten. Er gab seinen Posten Anfang Dezember auf.
Die Lage der IHK Koblenz ist aber nicht nur deshalb schwierig, weil sie einen neuen Hauptgeschäftsführer braucht. Ihr droht ein Doppelvakuum: Bleibt es bei dem Wahlergebnis, muss ihr bisheriger Präsident Manfred Sattler sein Amt aufgeben – obwohl er gern weitermachen möchte. Hinzu kommt: Die neuen Mitglieder der Vollversammlung müssten fünf Jahre mit dem Verdacht arbeiten, teils womöglich aufgrund fremder Manipulationen ins Amt gelangt zu sein. Das „Parlament der Wirtschaft“ würde also insgesamt unter dem zersetzenden Verdacht stehen, nicht hinreichend legitimiert zu sein – in der Debatte um die Zwangsmitgliedschaft der Gewerbetreibenden in der Kammer eine denkbar schwere Hypothek.
Der Wahlausschuss der IHK hat das offenbar erkannt: Das Gremium befasste sich intensiv mit dem Ablauf der Wahl und zog auch externe Experten hinzu. Die Erkenntnisse flossen in ein Informationsschreiben des Ausschusses ein, das jetzt allen Kandidaten zuging – den siegreichen wie den unterlegenen. Aus diesem Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt, geht hervor:
- „In einigen Wahlgruppen, die ein ,überraschendes’ Wahlergebnis gezeigt haben, lässt sich eine überdurchschnittliche Wahlbeteiligung feststellen.“
- „Der Nachweis der Wahlmanipulation konnte durch den Wahlausschuss allerdings nicht geführt werden.“
- „Die fehlende Transparenz von Nutzung und Vernichtung der Ersatzstimmzettel stellt einen Verfahrensfehler dar.“
- „Die Wahl wäre somit wegen eines ,Formfehlers’ anfechtbar.“
Der Wahlausschuss informiert die Kandidaten auffallend intensiv darüber, wie sie die Wahl anfechten können. Ein Grund: Die Wahl kann nur je Wahlgruppe infrage gestellt werden. Wichtiger aber noch: Neu gewählt wird nur dort, wo die Wahl angefochten wird. Ansonsten hat oder hätte das vielfach angezweifelte Wahlergebnis Bestand.
Das alles deutet darauf hin, dass Kräfte in der heimischen Wirtschaft, denen an einer starken und einigen IHK gelegen ist, mit ihrem ungewöhnlichen Schreiben einen Befreiungsschlag vorbereiten: Offenbar soll dieses Vorgehen eine kammerweite Anfechtungswelle auslösen, die für komplett neue Wahlen zur Vollversammlung sorgt. So erst würde ermöglicht, dass es wieder ein unstrittig legitimiertes und nicht durch Verdachtsmomente belastetes „Parlament der Wirtschaft“ gibt.
Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass die Podzun-kritischen „Aufklärer“ aus dem Präsidium, deren Wirken in der Vollversammlung nach heutigem Stand im März enden würde, dann wieder mit dabei sind und ihre Arbeit fortsetzen können.
Auf den Punkt gebracht: Die Ära des Hauptgeschäftsführer Podzun wäre Vergangenheit – und der Unternehmer Manfred Sattler müsste sein Wirken als IHK-Präsident nicht im März beenden, sondern könnte doch weiter an einer neuen Zukunft für die IHK Koblenz arbeiten.