Rheinland-Pfalz
Prozess um gefälschte Covid-Impfpässe: Bande soll mehr als 45.000 Euro verdient haben
Jahresbilanz 2021 der bayerischen Grenzpolizei
Eine mutmaßliche Bande aus dem Raum Neuwied soll während der Corona-Pandemie mehr als 45.000 Euro mit gefälschten Covid-Impfausweisen verdient haben. Der Prozess wurde jetzt am Koblenzer Landgericht eröffnet. Armin Weigel/dpa
Armin Weigel. picture alliance/dpa

Eine mutmaßliche Bande aus dem Raum Neuwied soll während der Corona-Pandemie mehr als 45.000 Euro mit gefälschten Covid-Impfausweisen verdient haben. Verteidiger Holger Wirthwein hat die Anklageschrift beim Prozessauftakt am Koblenzer Landgericht indes hart kritisiert: Sie sei zu etwa zwei Dritteln unzulässig. Wir erklären, wie der Jurist dies begründet.

Sechs Männer sollen durch das Fälschen von Corona-Impfpässen mächtig Kasse gemacht haben. Etwa zwei Jahre nach den mutmaßlichen Taten ist am Koblenzer Landgericht nun der Prozess gegen die Angeklagten gestartet. Die Staatsanwaltschaft legt den Männern im Alter zwischen 21 und 36 Jahren im Detail zur Last, zwischen dem 2. Juli 2021 und dem 7. Dezember 2021 – einer der Angeklagten als Heranwachsender – in 77 Fällen gemeinschaftlich, gewerbsmäßig sowie als Mitglied einer Bande in Neuwied und andernorts Urkundenfälschungen begangen zu haben.

Konkret sollen die Angeklagten unter gemeinsamer und arbeitsteiliger Beteiligung Impfpässe mit falschen Angaben zu Covid-19-Impfungen hergestellt und diese an Endabnehmer verkauft haben, in der Absicht, sich hierdurch eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen, heißt es in der Anklageschrift. Insgesamt sollen die Angeklagten 360 Impfpässe hergestellt haben, die jeweils eine Covid-19-Impfung auswiesen, welche tatsächlich nicht stattgefunden haben soll. Mit dem Ziel, so behördliche Maßnahmen und Einschränkungen wie Eingangskontrollen und die 3-G-Regelung am Arbeitsplatz einhalten oder umgehen zu können.

Mutmaßlicher Gewinn durch Fälschungen: 45.850 Euro

Durch die Veräußerung dieser Impfpässe zu einem Stückpreis zwischen 100 Euro und 250 Euro sollen die Angeklagten insgesamt einen Betrag in Höhe von mindestens 45.850 Euro erlangt haben. An den Mann oder die Frau kamen die Ausweise offenbar häufig durch gesondert verfolgte Zwischenhändler, die die Dokumente an die Käufer weitergegeben haben sollen.

Die mutmaßliche Bande soll sich für die Durchführung unter anderem einen speziellen Laserdrucker, Impfheftchen, Chargenaufkleber von Biontech, Astrazeneca, Moderna sowie Johnson and Johnson – und außerdem Stempel von vermeintlichen Impfzentren besorgt haben. Darunter sei im Anschluss die „Signatur eines nicht existierenden Arztes“, sprich eine erfundene, falsche Unterschrift, von den mutmaßlichen Bandenmitgliedern gesetzt worden.

Verteidiger Wirthwein kritisiert Anklageschrift

Verkauft worden seien laut Anklageschrift einmal Blanko-Impfpässe – aber auch bereits personalisierte Impfhefte. Verteidiger Holger Wirthwein aus Koblenz griff diesen Unterschied beim Prozessauftakt nach der Verlesung der Tatvorwürfe auf – und kritisierte die Anklageschrift am Mittwoch infolge scharf. Von den in der Anklageschrift gelisteten 77 Fällen (ein Fall steht hier nicht zwingend nur für einen Impfausweis) handele es sich laut Wirthwein lediglich in 25 Fällen um personalisierte Impfpässe. In den 52 anderen Fällen soll es sich laut Anklage indes um Blanko-Impfpässe gehandelt haben, die eben nicht personalisiert gewesen seien.

Wirthwein ist der Überzeugung, dass es sich in diesen 52 Fällen nicht um Straftaten handeln könne, da es sich bei der Herstellung und beim Verkauf eines Blanko-Impfausweises ohne personalisierte Daten nicht um eine Urkunde handele. Ergo sei die Anklage in 52 Fällen unzulässig, da Taten angeklagt seien, die es nicht geben könne.

Wirthwein verwies diesbezüglich im Gerichtssaal unter anderem auf eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. November 2022. In einem mehr als 30 Seiten starken Urteil, so Wirthwein im Gespräch mit unserer Zeitung, habe der BGH sich “lehrbuchartig" mit dem Urkundenbegriff auseinandergesetzt – und diesen definiert. Und laut Wirthweins Überzeugung so, dass nur personalisierte Impfausweise auch eine Urkunde sein könnten.

Kammer liest BGH-Entscheidung anders

Auf diesen Einwand von Wirthwein stürzten sich im Anschluss (fast) alle anderen Verteidiger. Tenor: Es müsse diesbezüglich in einem Rechtsgespräch erst einmal Klarheit geschaffen werden. Was die Kammer unter der Leitung von Richter Andreas Groß indes zumindest für den Tag des Prozessauftakts verneinte. Auch die Staatsanwältin winkte ab.

Richter Groß konterte Wirthwein, dass die Kammer die BGH-Entscheidung anders lese: Auch bei nicht personalisierten Impfausweisen könne demnach eine Urkundenfälschung vorliegen, hieß es. Gleichwohl betonte Groß, dass man diese Frage vor dem nächsten Verhandlungstag definitiv noch einmal genau prüfen werde.

Könnte es einen „Deal“ im Prozess geben?

So hatten sich offenbar weder die Kammer noch die Staatsanwaltschaft den Auftakt des Prozesses vorgestellt. Erhofft hatte man sich wohl viel eher das schnelle Zustandekommen einer Verständigung. Die Kammer hat bereits folgenden „Deal“ angeboten: ein qualifiziertes Geständnis der Angeklagten, das auch über den jeweils eigenen Tatbeitrag hinausreiche, gegen eine Festlegung des Strafrahmens. Auch wurde signalisiert, dass man diese Strafe – sollte sie denn noch bewährungsfähig sein – dann auch tatsächlich noch zur Bewährung aussetzen wolle.

Für den Hauptangeklagten, der offenbar zunächst alleine vorgegangen sein soll, würde das Zustandekommen eines solchen Deals eine Mindeststrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und eine Höchststrafe von drei Jahren und drei Monaten bedeuten. Da Gerichte aber lediglich Freiheitsstrafen, die nicht mehr als zwei Jahre betragen, zur Bewährung aussetzen können, würde diesem Angeklagten wohl oder übel ein längerer Gefängnisaufenthalt blühen.

Bewährungsstrafen denkbar

Für vier seiner Mitangeklagten wäre jedoch theoretisch noch eine Bewährungsstrafe denkbar – ein Deal würde für sie eine Mindeststrafe von einem Jahr und neun Monaten und eine Höchststrafe von zwei Jahren und sechs Monaten bedeuten. Beim sechsten und letzten Angeklagten könnte theoretisch sogar noch Jugendstrafrecht Anwendung finden – ansonsten würde auch für ihn der Rahmen von mindestens einem Jahr und neun Monaten und höchstens zwei Jahren und sechs Monaten gelten.

Die meisten Verteidiger signalisierten, dass man grundsätzlich für eine Verständigung offen sei. Aber nicht vor einem Rechtsgespräch zu den 52 von Wirthwein infrage gestellten Fällen. Sollten diese tatsächlich wegfallen, würden sich die Strafrahmen selbstredend maßgeblich nach unten korrigieren.

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