Bad Kreuznach – Vergewaltigungen, Prügel, sexuelle Exzesse: Die Familie der
zum Tatzeitpunkt 27-jährigen Angeklagten beschuldigte deren Ex-Mann schwer. Warum tötete die Angeklägte am Rosenmontag 1998 ihr neu geborenes Kind? Um die Hintergründe der Tat drehte sich alles am zweiten Prozesstag vor dem Kreuznacher Landgericht.
In welcher ehelichen Beziehung lebte die Angeklagte? Wie verlief ihre geistige und seelische Entwicklung seit ihrer Kindheit? Und die Frage nach dem Warum.
Warum tötete die heute 40 Jahre alte zweifache Mutter vor fast 13 Jahren am Rosenmontag 1998 ihr neu geborenes Kind? Um diese Fragen drehte sich fast alles am zweiten Verhandlungstag im Totschlagsprozess vor der Schwurgerichtskammer des Bad Kreuznacher Landgerichts.
Gewalttätige Übergriffe, körperliche und seelische Misshandlungen, Demütigungen, Vergewaltigungen, sexuelle Exzesse: In den Mittelpunkt des Interesses der Kammer rückte an diesem Tag das Verhalten des Ex-Mannes der Angeklagten. Doch was ist dran an den schweren Vorwürfen, die die Zeugen gegen ihn erhoben?
Fast alle konnten ihre Aussagen nicht belegen. Sie beschränkten sich auf Eindrücke, Einschätzungen, Vermutungen. Auf Nachfragen von Staatsanwältin Christine Mossem oder dem Vorsitzenden Richter Dr. Bruno Kremer blieben die Befragten konkrete Beweise schuldig. Keiner war Augenzeuge.
Gleichwohl: Stimmt auch nur ein Bruchteil der Vorwürfe, so musste die junge, psychisch kranke Frau schlimme Dinge während ihrer Ehe mitmachen.
Nachdem die Familie der Angeklagten ursprünglich von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte, sagten sie nun doch aus: die Zwillingsschwester, der Bruder sowie Mutter und Vater, dem dies sichtlich am schwersten fiel.
„Ich war von Anfang an gegen diese Hochzeit“, erklärte er. „Ich habe geahnt, dass das nicht gut geht.“ Auf seinen Ex-Schwiegersohn und dessen Familie war er nie gut zu sprechen gewesen, eine Abneigung auf Gegenseitigkeit. Und auch wenn es die DNA-Analyse bestätigt und die Angeklagte ihre Mutterschaft und die Kindstötung inzwischen zugegeben hat, der Vater kann und will es heute noch nicht glauben.
Bei der gynäkologischen Untersuchung am 26. Februar 1998 fanden sich keine Hinweise darauf, „dass die Angeklagte vor Kurzem ein Kind geboren hat“, erklärte die Frauenärztin vor Gericht. Ob sie für ihre Schwester bei der Frauenärztin war, will der Richter von der Zwillingsschwester der Angeklagten wissen. „Nein, definitiv nein“, antwortet sie.
Ihre Einlassung vom ersten Verhandlungstag, dass sie mittags erneut im Schlosspark war, um nach dem Baby zu sehen, widerrief die Angeklagte, die vermindert schuldfähig ist, gestern: „Ich war nicht dort.“ Ihre anderslautende Aussage erklärte sie damit: „Ich war durcheinander.“ Ansonsten verfolgte sie die Zeugenvernehmungen schweigsam, stellenweise wirkte sie sogar teilnahmslos.
Von der Schwangerschaft will die ganze Familie nichts mitbekommen haben. Da stimmen die Aussagen überein. Und auch darin, dass die psychischen Probleme der Angeklagten während ihrer Ehe schlimmer, sie selbst immer verschlossener wurde. „Meine Schwester ist psychisch kaputt“, erklärt der Bruder.
Die Schuld dafür gibt die Familie dem Ex-Ehemann. „Es war keine gute Ehe“, sagt der Bruder. „Wenn ihr Mann da war, war immer ein bedrückendes, beklemmendes Gefühl.“
Dieser wiederum beschuldigt seine frühere Frau, Kinder wir Haushalt vernachlässigt zu haben und wies die Vorwürfe gegen sich zurück.
Die Mutter der Angeklagten erklärte dagegen: „Er hat sie geschlagen, er hat sie misshandelt.“ Ihre Tochter habe ihr das erzählt. Die Beweise dafür bleibt aber auch sie schuldig: Von blauen Flecken oder Blutergüssen an ihrer Tochter hat sie nichts bemerkt.
Und: „Er hat sie mundtot gemacht.“ Einen Latexanzug und einen Vibrator hat sie nach der Trennung 1997 in einem Müllsack gefunden: „Er muss schlimme Spielchen mit ihr gemacht haben“, habe sie gezwungen, Szenen aus Pornofilmen nachzuspielen. Gegen ihren Willen.
Auch in dem Protokoll ihrer Vernehmung durch die Kriminalpolizei vom 25. Dezember 2009 machte die Angeklagte Aussagen über sexuelle und körperliche Übergriffe durch ihren Mann, nachdem es gelungen sei, eine Vertrauensbasis aufzubauen. Der Kripobeamte und seine Kollegin schätzen die Aussagen als glaubwürdig ein: „Ich denke, wir waren die ersten, die ihr überhaupt einmal zugehört haben, in ihrem Leben“, sagt der 53-jährige Kripobeamte. Es klingt nicht nur erschütternd; es ist es auch. (hg)