Um das Problem zu entschärfen, soll der Engpass rund um die Loreley beseitigt werden. Doch obwohl die „Abladeoptimierung der Fahrrinnen am Mittelrhein“ als das dringendste und wichtigste Wasserstraßenprojekt in Deutschland im vordringlichen Bedarf im Bundesverkehrswegeplan eingestellt ist, dauert Wirtschaftsvertretern und Binnenschiffern die Umsetzung des 60 Millionen Euro teuren Vorhabens zu lang.
Die Industrie- und Handelskammern der Länder Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen setzen sich gemeinsam für eine beschleunigte Umsetzung der Abladeoptimierung, also für tiefere Fahrrinnen am Mittelrhein, dem größten Nadelöhr der deutschen Binnenschifffahrt, ein.
Arne Rössel, Hauptgeschäftsführer der IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz, erklärt: „Es ist für uns unverständlich, dass dieses Projekt immer noch nicht umgesetzt wurde. Wir fordern die Politik daher dringend auf, die einzelnen Punkte der Handlungsempfehlungen der Beschleunigungskommission Mittelrhein zügig umzusetzen.“ Gemeint ist damit unter anderem mehr Personal beziehungsweise Konzentration von Fachkräften für wichtige Projekte bei den Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen sowie die Festschreibung des „überragenden öffentlichen Interesses“ für Verkehrsprojekte an Bundeswasserstraßen des Vordringlichen Bedarfs (VB) im Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich.
IHK sieht darin rentabelstes Projekt des Bundesverkehrswegeplans
Die IHK weist darauf hin, dass sich im Koalitionsvertrag der Ampelregierung der Hinweis findet, dass der Schifffahrtsanteil im Güterverkehr gesteigert werden soll. Zudem soll die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) gestärkt und ihre Effizienz erhöht werden. Beide Vorhaben betreffen die Vertiefung des Mittelrheins direkt. Ferner ist im Bundesverkehrswegeplan 2030 ein Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) von 30,7 angegeben.
Damit ist es nach Ansicht der IHK „mit Abstand das rentabelste Projekt des Bundesverkehrswegeplans“. Und nicht zuletzt haben die Verkehrsminister der betroffenen Bundesländer im Mai auf der Rheinkonferenz in Mannheim quer über die Parteienlandschaft ihre Unterstützung für das Projekt erneuert.
21,2 Millionen Tonnen chemische Erzeugnisse via Schiff transportiert
Die Binnenschifffahrt ist bei der chemisch-pharmazeutischen Industrie vor allem für die Rohstoffversorgung unverzichtbar. Für den Verband der Chemischen Industrie (VCI) ist die Abladeoptimierung deshalb so wichtig, um bei langen und ungewöhnlich niedrigen Wasserständen Transportausfälle zu verkürzen. Allein im Jahr 2020 wurden in Deutschland 21,2 Millionen Tonnen chemische Erzeugnisse mit dem Schiff bewegt. Damit verantwortet die Branche nach eigener Darstellung mehr als 10 Prozent der gesamten Beförderungsmenge im Binnenschiffsverkehr. In Rheinland-Pfalz sind von Niedrigwasser unter anderem große Unternehmen wie die BASF betroffen.
Bereits im Jahr 2019 erklärte der VCI: „Jetzt kommt es vor allem darauf an, diese Maßnahmen zügig umzusetzen. Die Situation des Jahres 2018 war für viele Unternehmen kritisch. Denn die großen Mengen, die im Warenein- und Warenausgang auf dem Binnenschiff befördert werden, lassen sich nicht ohne Weiteres auf Lkw oder Eisenbahn verlagern“. Zuletzt im September 2023 machte Ulrike Zimmer, VCI-Bereichsleiterin Technik und Umwelt, weiter Druck: „Jetzt ist Tempo bei der Umsetzung angesagt. Es wäre ein Unding, wenn Binnenschifffahrt und verladende Industrie noch zehn Jahre darauf warten müssten, bis die Engstellen im Mittelrhein entschärft sind.“ Es sei kein Naturgesetz, dass sich Infrastrukturprojekte in Deutschland immer weiter verzögern.
Verwaltung braucht mehr Ressourcen und Freiräume
Die Kritik macht sich, wie auch durch die IHK, an fehlendem Personal beziehungsweise mangelhaftem Personaleinsatz fest. Mit innovativen und agilen Wegen im Personal- und Projektmanagement sowie durch einfachere Abläufe könnten Projekte schneller als bisher umgesetzt werden. Dazu benötige die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung allerdings die notwendigen Ressourcen und Freiräume.
Dabei hatte schon der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Anfang Juli 2019 im „Aktionsplan Niedrigwasser“ insgesamt acht Maßnahmen vorgestellt, darunter auch die „beschleunigte Umsetzung der Abladeoptimierung am Mittel- und Niederrhein“. Und in seinem Vorwort zum „Masterplan Binnenschifffahrt“ erklärte Minister Scheuer damals, Ziel der Bundesregierung sei es, „die Binnenschifffahrt zu stärken und so viele Güter wie möglich über die Wasserstraßen zu transportieren“.
Bei Niedrigwasser haben Frachter am Mittelrhein erhebliche Probleme, 2018 und 2022 saß die Industrie wochenlang auf dem Trockenen. Das soll in Zukunft verhindert, zumindest abgemildert werden. Im Raum steht ein gigantisches Bauvorhaben, die Vertiefung der Fahrrinne.Niedrigwasser behindert Frachtverkehr am Rhein: Wie und warum die Fahrrinne an der Loreley tiefer werden soll
Dazu brauche es ein „leistungsfähiges, sauberes, modernes, sicheres und effizientes System Hafen-Schiff-Wasserstraße“. Man wolle „eine bedarfsgerechte Infrastruktur mit Investitionen in Milliardenhöhe“ schaffen und sorge dafür, dass „ausreichend finanzielle, strukturelle und personelle Kapazitäten zur Verfügung stehen“.
Um den Rhein zukunftssicher zu machen, werde die „beschleunigte Umsetzung der Abladeoptimierung am Mittel- und Niederrhein“ forciert. Und weiter heißt es: Durch die schnelle Umsetzung der im Bundesverkehrswegeplan 2030 verankerten Wasserstraßeninfrastrukturmaßnahmen am Rhein, allen voran die Maßnahmen zur Abladeoptimierung am Mittel- und Niederrhein, würden die Transportbedingungen des Verkehrsträgers für die Industriestandorte im Rhein-Einzugsgebiet verbessert. Auch wenn die Abladeoptimierungen ihren Transportnutzen in erster Linie im Bereich der normalen Niedrig- bis Mittelwasserstände entfalteten, könnten sie aber auch bei extremen Niedrigwasserereignissen einen Beitrag zur Verkürzung der Transportausfälle leisten.
Was Vertreter von Chemie, Stahl, Baustoffe und Schifffahrt zusammen mit Minister Scheuer ein Jahr nach dem verheerenden Niedrigwasser 2018 beschlossen hatten, lässt aber auf sich warten. Dabei ist die Notwendigkeit des Mittelrheinausbaus laut Vertretern der Binnenschifffahrt lange bekannt und wurde bereits im Bundesverkehrswegeplan 2015/16 beschrieben. Hoffte man zunächst noch, eine Fertigstellung könne womöglich Mitte bis Ende der 2020er-Jahre erfolgen, so muss sich die Wirtschaft nun damit abfinden, dass mit einem Abschluss des Projektes vermutlich nicht vor 2033 zu rechnen ist – für die Wirtschaft ist das eine Hiobsbotschaft.
Im Sommer 2022 mussten Frachter mit mickeriger Ladung fahren
Scheuers Nachfolger, Volker Wissing (FDP), kennt die Problematik Niedrigwasser aus erster Hand, denn er war zuvor Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz. Die Kritik aus Wirtschaft und Logistik daran, dass das Vorhaben offenbar in den Behörden versande, konnte er nicht überhören. So fand am 29. August 2022 in Mainz ein „Bekräftigungstermin“ zum „8-Punkte-Plan Niedrigwasser-Rhein“ von Wissing mit Spitzenvertretern der Wirtschaft statt.
Dem Minister ging es darum, den besonderen Nachdruck zu bekräftigen, den der Bund mit der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung in der Projektierung dieses bedeutenden Vorhabens einlegen will. Wissing kündigte die Gründung einer gemeinsamen „Beschleunigungskommission, bestehend aus Vertretern aus Politik, Behörden und Industrie“ an. Es sollen „alle zur Verfügung stehenden Ressourcen gebündelt werden“, sagte der Minister.
Wegen Dürregefahr: Mehr Resilienz in der Güterschifffahrt
Die Bundesregierung stand und steht unter Druck: Im Sommer 2022 hatte der Rhein wegen der Dürre erneut so wenig Wasser, dass die Frachter mit mickeriger Ladung fahren mussten. In Kaub erreichte der Pegelstand am 15. August den niedrigsten Wert von 31 Zentimetern. Trotz der Beteuerungen aus Berlin platzte dann aber auch den Bundesländern der Kragen. Auf Initiative von Baden-Württemberg erhöhten sie bei der Verkehrsministerkonferenz im November 2022 den Druck auf den Bund, damit endlich was geschieht. Das Projekt „Abladeoptimierung der Fahrrinnen“ am Mittelrhein sei die dringlichste Engpass beseitigende Maßnahme zur Stärkung der Resilienz der Güterschifffahrt, hieß es aus dem baden-württembergischen Verkehrsministerium.
Als Ergebnis forderte die Verkehrsministerkonferenz das Bundesministerium für Digitales und Verkehr dazu auf, „die finanzielle und personelle Ausstattung für den Erhalt und den Ausbau der Bundeswasserstraßen auf ein Niveau anzuheben, das eine signifikante Steigerung der Zuverlässigkeit und Attraktivität des Systems Wasserstraße ermöglicht“. Und zugleich wurde Volker Wissing dazu aufgefordert, „den Ausbau und die Instandsetzung der Wasserstraßen durch die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) durch die konsequente und nachhaltige Implementierung effizienter und einheitlicher Projektmanagementprozesse zu optimieren und zu beschleunigen“. Einfach übersetzt hieß das: Zieh deinen Beamten endlich die Hammelbeine lang.
Stellenoffensive soll helfen, Projektteam zu verstärken
Auf Anfrage unserer Zeitung erklärt das Ministerium dazu, man setze sich „derzeit intensiv mit den kürzlich durch die Beschleunigungskommission vorgelegten Maßnahmenempfehlungen auseinander. Um keine Zeit zu verlieren, werden die vielversprechendsten Beschleunigungshebel durch die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung umgehend auf den Weg gebracht. So wird unter anderem eine breit angelegte Stellenoffensive zur Verstärkung des Projektteams gestartet. Die Prozesse im Projekt werden im Sinne einer agilen und schlagkräftigen Projektorganisation optimiert.“
Und mit dem Genehmigungsbeschleunigungsgesetz will man das Projekt ebenfalls schneller voranbringen. Unterstrichen wird zudem die Wichtigkeit des Vorhabens: Zwar würden detailliertere Verkehrsprognosen für den Mittelrhein erst im kommenden Jahr mit der Verkehrsprognose 2040 vorliegen, die Engpassbeseitigung am Mittelrhein werde aber auf jeden Fall selbst bei stagnierenden Verkehrsmengen hoch wirtschaftlich sein.
Für Klima und Umwelt: Mehr Güter vom Lkw auf die Wasserstraße bringen
„Als effiziente und leistungsfähige Alternative zum Lkw kann das System Hafen-Schiff-Wasserstraße entscheidend dazu beitragen, dass wir mehr Güter transportieren und gleichzeitig unsere Straßen entlasten“, schrieb der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) in seinem Vorwort zum „Masterplan Binnenschifffahrt“. Und weiter heißt es an dieser Stelle: „So stoßen wir weniger CO2, weniger NOx und weniger Feinstaub aus. Kurz: Eine umwelt- und klimafreundliche Logistik ist ohne die Binnenschifffahrt nicht denkbar.“
Das Binnenschiff trägt den Hauptanteil des Gütertransports am Rhein – noch vor Schiene und Lkw. Der Rhein ist laut Bundesverkehrsministerium die bedeutendste und umweltfreundlichste Transportroute Deutschlands, das Binnenschiff selbst ein Transportgigant. Das Umweltargument findet sich auch bei der IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz wieder, wenn es um die dringend notwendige Rheinvertiefung geht: „Mit dem seit Jahrzehnten geplanten Ausbau der Fahrrinne können Rheinschiffe durchschnittlich etwa 45 Tonnen mehr laden und dadurch jährlich etwa 100.000 Lkw-Fahrten vermeiden.
Laut Langfristprognose des Bundesverkehrsministeriums wird die Verkehrsleistung im Güterverkehr weiterhin zunehmen. Mit einer intakten und ausgebauten Wasserstraßeninfrastruktur könnte die Binnenschifffahrt so zusätzliche Transportkapazitäten aufnehmen und dadurch Straße und Schiene entlasten.“
Im Vergleich zu einem 40-Tonnen-Sattelzug verbrauchen Bahn und Schiff laut Umweltbundesamt weniger als ein Drittel an Energie und stoßen entsprechend weniger Treibhausgase aus. Und der Verband der Chemischen Industrie macht darauf aufmerksam, dass nur durch einen leistungsfähigen Binnenschiffverkehr klima- und verkehrspolitische Ziele zu erreichen und gleichzeitig die Herausforderungen des Güterverkehrs der Zukunft zu bewältigen seien. Die Voraussetzungen, um Transporte von der Straße aufs Binnenschiff zu verlagern, seien ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz.