Mittelrhein
Niedrigwasser behindert Frachtverkehr am Rhein: Wie und warum die Fahrrinne an der Loreley tiefer werden soll
Rheinvertiefung
Der Rhein – hier bei Bacharach – ist eine wichtige Wasserstraße. Bei Niedrigwasser kann insbesondere der Mittelrhein zum Nadelöhr werden. Eine Vertiefung der Fahrrinne soll die Kapazitäten dauerhaft erhöhen.
Thomas Frey. picture alliance/dpa/Thomas Frey

Bei Niedrigwasser haben Frachter am Mittelrhein erhebliche Probleme, 2018 und 2022 saß die Industrie wochenlang auf dem Trockenen. Das soll in Zukunft verhindert, zumindest abgemildert werden. Im Raum steht ein gigantisches Bauvorhaben, die Vertiefung der Fahrrinne. Wir fassen zusammen, was genau dahintersteckt - und wie der aktuelle Stand ist.

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Rheinvertiefung
Der Rhein – hier bei Bacharach – ist eine wichtige Wasserstraße. Bei Niedrigwasser kann insbesondere der Mittelrhein zum Nadelöhr werden. Eine Vertiefung der Fahrrinne soll die Kapazitäten dauerhaft erhöhen.
Thomas Frey. picture alliance/dpa/Thomas Frey

Wenn der Rhein extremes Niedrigwasser führt, dann sitzen auch große Teile der deutschen Industrie auf dem Trockenen. Denn je weniger Wasser die Schiffe unterm Kiel haben, desto weniger Fracht können sie laden und transportieren. Solche Probleme hat die Binnenschifffahrt aufgrund des Klimawandels immer häufiger und auch über längere Zeiträume.

Das größte Hindernis bildet – wie in den Dürrejahren 2018 und 2022 – der Pegel Kaub, denn hier weist die Fahrrinne die geringste Tiefe auf der gesamten Rheinstrecke auf. Um den Rhein als wichtigste Wasserstraße für den Gütertransport zu erhalten, plant das Bundesverkehrsministerium die sogenannte Abladeoptimierung, womit die Vertiefung der Fahrrinne gemeint ist.

So wichtig ist der Rhein als Schifffahrtsstraße

884 Rheinkilometer auf der Strecke von Rotterdam und Antwerpen über Duisburg, Koblenz, Mannheim und Straßburg bis Basel sind schiffbar. Circa 80 bis 85 Prozent des deutschen Güterumschlags erfolgen auf dieser Wasserstraße, das sind jährlich 60 Millionen Tonnen und mehr. Im Abschnitt zwischen Bingen und St. Goar sind Jahr für Jahr rund 50.000 Güterschiffe unterwegs. Und es sollen noch mehr werden: Laut Langfristprognose des Bundesverkehrsministeriums wird der Güterverkehr insgesamt zunehmen. In diesem Zusammenhang geht das Land Baden-Württemberg von einer wachsenden Rolle der Schifffahrt aus: Demnach steigt die Transportleistung bis 2030 um 25 Prozent verglichen mit 2010.

Land dringt auf Tempo bei Rheinvertiefung
Bei Niedrigwasser haben Frachter am Mittelrhein erhebliche Probleme
Thomas Frey. picture alliance/dpa/Thomas Frey

„Mit einer intakten und ausgebauten Wasserstraßeninfrastruktur könnte die Binnenschifffahrt zusätzliche Transportkapazitäten aufnehmen und dadurch Straße und Schiene entlasten“, erklärt dazu die Industrie- und Handelskammer (IHK) Koblenz, die zusammen mit den Kammern von Rheinland-Pfalz, Hassen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg für eine rasche Umsetzung des Projekts Abladeoptimierung streitet.

Die IHK weist darauf hin, dass im Koalitionsvertrag der Ampelregierung eine Steigerung des Schifffahrtsanteil im Güterverkehr postuliert wird. Und im Bundesverkehrswegeplan 2030 sind die Wasserstraßeninfrastrukturmaßnahmen am Rhein, allen voran die Abladeoptimierung, in der höchsten Kategorie der neuen Projekte eingestuft und fest verankert. Investitionen von rund 60 Millionen Euro sind dafür vorgesehen.

Was konkret geplant ist

In der Planung ist nun die Beseitigung der Engpässe in der Fahrrinne zwischen Mainz und St. Goar (Rheinkilometer 508,00 bis 557,00). Ziel ist es, hier die Mindestfahrrinnentiefe unter dem sogenannten gleichwertigen Wasserstand von jetzt 1,90 auf 2,10 Meter zu verbessern. Laut Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) gliedert sich das Vorhaben in drei Teilabschnitte, nämlich „Oestrich“ bei Oestrich-Winkel“ und das „Kemptener Fahrwasser“ als Abschnitt 1, am „Lorcher Werth“ und „Bacharacher Werth“ als Abschnitt 2 sowie der „Jungferngrund“ bei Oberwesel und der „Geisenrücken“ bei St. Goar (Abschnitt 3). Ziel ist es also, im Abflussbereich zwischen Mittel- und Niedrigwasser durchgehend 20 Zentimeter mehr Tiefgang für Schiffe zu gewährleisten, um die Einschränkungen in Niedrigwasserperioden zu verringern.

Wissing verweist auf komplexes Ökosystem

Eine Vertiefung der Fahrrinne im Mittelrhein muss laut Bundesverkehrsminister Volker Wissing trotz ihrer großen wirtschaftlichen Bedeutung sorgfältig ausgearbeitet werden. An der Bundesanstalt für Wasserbau in Karlsruhe werde derzeit simuliert, wie sich eine Vertiefung der Fahrrinne auf die Sedimentablagerung konkret auswirken werde, sagte der FDP-Politiker der dpa. Der Rhein sei ein wichtiger Verkehrsträger, zugleich aber auch ein komplexes Ökosystem. „Es gibt dort wertvolle Biotope und man muss wissen, wie sich die geplante Vertiefung darauf auswirkt“, sagte Wissing.

Land dringt auf Tempo bei Rheinvertiefung
So viel Wasser unterm Kiel braucht’s: Volker Wissing am Mittelrhein.
Thomas Frey. picture alliance/dpa/Thomas Frey

Die Vertiefung der Fahrrinne zwischen St. Goar und Mainz von garantierten 1,90 Metern auf durchgängig 2,10 Meter müsse schnell kommen, aber sie müsse so gestaltet werden, dass sie mit ökologischen Belangen in Einklang stehe. Umweltschützer sehen das Vorhaben sehr kritisch. Die Anrainer-Bundesländer Rheinland-Pfalz, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sowie die ansässige Industrie haben sich dagegen schon alle für eine Vertiefung starkgemacht. Zuletzt hatte Wissing eine Kommission eingesetzt, die einen umfassenden Bericht über Beschleunigungsmaßnahmen für die Rheinvertiefung vorgelegt hat. red

Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Man staut das Rheinwasser auf, um die erforderliche Tiefe zu erreichen, oder man baggert aus beziehungsweise fräst die felsige Flusssohle ab. In den drei Teilbereichen soll nach Modellversuchen und Erkenntnissen der Bundesanstalt für Wasserbau Karlsruhe beides gemacht werden, auch deshalb, so ein Experte des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Rhein, um den Hochwasserspiegel nicht zu verändern.

Die Arbeiten im Flussbett gestalten sich je nach Teilabschnitt durchaus verschieden. Während im Abschnitt 1 meist kiesiges Material vorzufinden ist, sodass in Teilen gebaggert werden kann, trifft man in den Abschnitten 2 und 3 auf Fels wie Grauwacke, Schiefer, aber auch Quarzit. Das Material ist teils spröde und weist Risse und Spalten auf. Wenn man hier mit dem Bagger rangehen würde, dann würde zu viel am Grund kaputtgemacht. Um schonender vorzugehen, muss gefräst werden; meist werden Felsspitzen abgetragen, je nachdem geht man aber auch flächiger vor. Ein Baggerversuch im Jahr 2022 hat gezeigt, dass dieses Verfahren durchführbar ist.

Wie der Rhein aufgestaut werden soll

Parallel dazu wird der Rhein mithilfe von sogenannten Längswerken am Flussrand sowie Buhnen und mit Grundschwellen an der Flusssohle so aufgestaut, dass man in Kombination mit der Fräsung beziehungsweise dem Ausbaggern die erforderliche Fahrrinnenriefe von 2,10 Meter erreichen kann. Solcherart Bauten sind am Rhein schon seit Jahrhunderten bekannt. In der Regel handelt es sich um Steinschüttungen, die auf dem Fels oder auf befestigten Flächen aufgebracht werden. Die Steine sind so groß und schwer, dass sie von der Strömung auch am Grund nicht weggeschwemmt werden können.

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Abladeoptimierung der Fahrrinnen am Mittelrhein: Die Projektstrecke gliedert sich in drei Teilabschnitte.
Rhein-Zeitung

Bei Mittelwasser sind große Teile dieser „Bauwerke“ nicht zu sehen, bei Niedrigwasser schon. Ziel muss es laut WSV sein, dass diese Maßnahmen so gestaltet sind, dass sie ökologisch an die Landschafts- und Ortskulissen angepasst sind, zum Beispiel auch Wassersportler nicht behindern, und doch ihre hydraulischen Aufgaben erfüllen, also im Sinne der erwünschten Vertiefung der Fahrrinne funktionieren.

So ist der aktuelle Stand

Und wie ist der aktuelle Stand des Vorhabens? In den Jahren 2017 bis 2019 hat es laut WSV Konsultationen mit Akteuren in der Region gegeben, wobei grob vorgestellt wurde, was geplant ist. In den Abschnitten 2 und 3 ist zudem die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung gelaufen, Kommunen und Verbände haben in diesem Zusammenhang ihre Interessen und Bedenken geäußert. Für den Bereich 1 ist dieser Schritt für das nächste Jahr geplant.

Für die Abschnitte 2 und 3 ist außerdem das sogenannte Scopingverfahren durchgeführt, bei dem Ziel und Umfang des Projekts erläutert wurde. Dies steht in Bereich 1 ebenfalls noch aus. In den Teilabschnitten 2 und 3 kann laut WSV nun die Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen. Und das Bundesverkehrsministerium erklärt: „Derzeit erarbeitet das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Rhein, als Träger des Vorhabens, die Unterlagen zur Durchführung des Anhörungs- beziehungsweise Planfeststellungsverfahrens.“

Genaues Startdatum ist noch unklar

Der Beginn der Baumaßnahmen im jeweiligen Teilabschnitt kann nach Auskunft des Bundesverkehrsministeriums erst nach Abschluss des Genehmigungsverfahrens erfolgen; „ein konkreter Zeitpunkt lässt sich derzeit noch nicht nennen“. Der weitere Zeitplan ist wohl entscheidend davon abhängig, ob das Verfahren in einem gesetzlichen Rahmen beschleunigt werden kann oder im klassischen Planfeststellungsverfahrens umgesetzt werden wird. Wann geht es los?

Rheinvertiefung
Bei Niedrigwasser haben Frachter am Mittelrhein erhebliche Probleme
Thomas Frey. picture alliance/dpa

Das Verkehrsministerium erläutert, dass das entsprechende Maßnahmenvorbereitungsgesetz zwar im Jahr 2020 in Kraft getreten ist, nach einem Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission nunmehr aber „als Teil des Genehmigungsbeschleunigungsgesetzes (...) aufgehoben“ werde, das noch in diesem Jahr kommen soll. Dies führe nicht zu einer Verzögerung. Laut WSV wäre nach Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfung vermutlich Teilabschnitt 2 als Erstes im Planverfahren an der Reihe. Wirtschaft und Binnenschifffahrt, die immer wieder auf eine schnelle Umsetzung des Projekts drängen, werden sich noch gedulden müssen. Wie es aus dem WSV heißt, rechnet man mit der Fertigstellung der Gesamtmaßnahme nicht vor 2033.

Weil Schiene und Lkw teurer sind: Niedrigwasser kostet Unternehmen viel Geld

Während des extremen Niedrigwassers im Jahr 2018 fiel der Kauber Pegel zeitweise bis auf 25 Zentimeter. Die Fahrrinne war an diesem Nadelöhr am Mittelrhein somit nur noch maximal 1,50 Meter tief. Das aber reicht für die meisten Schiffe nicht – sie können daher diese Passage nicht befahren. Wie die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) ausführt, liegt die Risikogrenze am Pegel Kaub bei 40 Zentimeter; unter diesem Pegelstand sei „eine sinnvolle Binnenschifffahrt kaum noch möglich“. Je nach Bauart können einzelne Schiffe noch bis 35 Zentimeter fahren – aber auch nur mit einem kleinen Teil der normalen Ladung.

Probleme aber haben die Binnenschiffer am Pegel Kaub schon vorher: Ab unter 80 Zentimeter, so die WSV, erlischt die sogenannte Transportverpflichtung. Der Schiffsführer hat die Wahl, die Fahrt vorzunehmen oder nicht. Auf jeden Fall ist die Weiterfahrt eine besondere nautische Herausforderung.

Niedrigwasser am Rhein
Niedrigwasser am Rhein: Sinkende Pegelstände bedeuten auch sinkende Transportmengen auf den Güterschiffen.
Frank Rumpenhorst. picture alliance/dpa/Frank Rumpe

Niedrigwasser verteuert den Transport von Fracht erheblich. Je weniger Wasser der Rhein führt, desto geringer ist die Ladekapazität des einzelnen Frachters. Um die gleiche Menge zu transportieren, müssen ergo mehr Schiffe eingesetzt werden. Hinzu kommen längere Reisezeiten, da die Schiffe langsamer unterwegs sind, und ein steigender Energieverbrauch. In den Jahren 2018 und 2022, als der Kauber Pegel am 15. August den niedrigsten Wert von 31 Zentimetern angab, sank gleichzeitig die Zahl der fahrenden Schiffe wie auch die Menge an Fracht. Industrieunternehmen, die auf die Schiene umdisponierten, mussten laut Logistikexperten rund 30 Prozent mehr zahlen. Lkw-Ladungen kommen noch wesentlich teurer. Allein die BASF in Ludwigshafen soll das Dürrejahr 2018 rund eine Viertelmilliarde Euro gekostet haben.

Wie der WSV zusammenfasst, beeinflusst die Auslastung der Frachter wesentlich die Rentabilität der Binnenschifffahrt. Insofern haben die Niedrigwasser der vergangenen Jahre „nennenswerte Auswirkungen auf die Schifffahrtsbedingungen“. Und umgekehrt: Große Wassertiefen ermöglichen einen hohen Grad an Rentabilität. ms

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