Canyon-CEO im Interview
Nicolas de Ros Wallace über Strategie und den Standort Koblenz
Canyon-CEO Nicolas de Ros Wallace hat mit unserer Zeitung über die Offline-Strategie des Fahrradherstellers gesprochen.
Canyon/Matthias Fend

Dass Kunden ihr Fahrrad online kaufen – darauf setzt der Koblenzer Hersteller Canyon. Doch Canyon will auch den persönlichen Kundenkontakt ausbauen. Der Standort Koblenz spielt dabei weiter eine große Rolle. CEO Nicolas de Ros Wallace im Interview.

Lesezeit 9 Minuten

Der Koblenzer Fahrradhersteller Canyon setzt auf den Direktvertrieb. Die Online-Präsenz des Unternehmens spielt dabei eine zentrale Rolle. Doch der Hersteller hat jüngst angekündigt, künftig noch stärker den persönlichen Kontakt zu seinen Kunden zu suchen – etwa durch mehr Service-Partner oder den neuen Store in München, der Mitte März eröffnet hat. Unsere Zeitung hat mit Canyon-CEO Nicolas de Ros Wallace unter anderem über die Offline-Strategie des Unternehmens, die Bedeutung des Standorts Koblenz und die Herausforderungen gesprochen, vor denen die Fahrradbranche aktuell steht.

Laut dem Branchenverband ZIV sind 2024 die Umsätze mit E-Bikes und Fahrrädern im Vergleich zum Vorjahr um etwa 10 Prozent auf rund 6,3 Milliarden Euro gesunken. Die Zahl der verkauften E-Bikes und Fahrräder ist nach Daten des Verbands das vierte Jahr in Folge zurückgegangen. Der ZIV sagt, die wirtschaftliche Lage der Branche bleibe angespannt. Steckt die Fahrradindustrie in einer Krise?

Ich würde sagen: Ja. Bei Canyon haben wir diesen Umsatz-Rückgang allerdings nicht erlebt, vor allem in Deutschland nicht. Aber wir sehen, dass die Situation in den vergangenen Quartalen sehr viel schwieriger war. Die Fahrradindustrie ist definitiv in einer angespannten Lage, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

Was sind Ihrer Einschätzung nach die Gründe dafür?

Vor allem während der Corona-Pandemie war die Nachfrage nach Fahrrädern extrem hoch. Alle Fahrradmarken sind im hohen zweistelligen Bereich gewachsen. Jeder hat große Mengen an Lagerbeständen eingekauft – mehr als die Kunden schließlich abgenommen haben. Das hat dazu geführt, dass die Fahrradmarken angefangen haben, Rabatte zu geben, was auch Canyon in diese Richtung getrieben hat. Im vergangenen Jahr war unsere Wachstumskurve im Vergleich zum Vorjahr flach, und der Gewinn ist hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben. Und jetzt sehen wir, dass das erste Quartal 2025 schwieriger war als die vorherigen. Es ist gerade keine einfache Zeit für die Fahrradindustrie – und damit auch nicht für Canyon.

Das "Headquarter" der Firma Canyon in Koblenz. Der Standort wird weiter wichtig für den Radhersteller bleiben, wie CEO Nicolas de Ros Wallace im Interview mit unserer Zeitung betont.
Kevin Rühle/Archiv. Kevin Ruehle

Können Sie noch genauer darauf eingehen, wie sich der Umsatz und die Verkaufszahlen für Canyon 2024 im Vergleich zu den Vorjahren entwickelt haben?

Unser Jahresumsatz ist 2024 auf rund 800 Millionen Euro gewachsen – vor Corona lagen wir im Jahr 2019 bei 300 Millionen Euro. Allerdings ist unsere Wachstumskurve 2024 im Vergleich zu Vorjahren flacher ausgefallen. Aber es hängt auch von der Produktkategorie ab: Es gibt Kategorien, die besser abschneiden als andere – dazu gehören beispielsweise die Rennräder und Gravel Bikes. Die Nachfrage nach normalen Mountainbikes ohne E-Antrieb lässt dagegen stark nach.

Was sind die Gründe dafür, dass es in manchen Fahrradsegmenten besser läuft als in anderen?

Generell gibt es im Mountainbike-Bereich zu viel Angebot. Aber wenn wir speziell auf Canyon blicken, so haben vor allem Rennräder für den Radsport am Anfang unsere Unternehmens-DNA geprägt. Darauf hat sich Roman Arnold zunächst fokussiert, als er das Unternehmen gegründet hat. Mit der Zeit haben wir unser Portfolio erweitert, es haben sich weitere Produktkategorien herausgebildet. Die Hauptkategorien, in denen es auch in der aktuellen Lage gut läuft, sind traditionell Renn- und Triathlonräder sowie Gravel Bikes.

Canyon hat jüngst in einer Pressemitteilung erklärt, seine Offline-Präsenz weiter auszubauen. Neben einem neuen Store in München sollen die Service-Partner verdoppelt werden, das „Collect & Ride“-System soll weiter ausgebaut werden, und es soll gemeinsame Events mit Kunden geben. Warum ist es Canyon wichtig, den Offline-Kontakt zu Kunden auszuweiten?

Bei allem, was wir tun, steht der Kunde im Mittelpunkt. Um das zu erreichen, müssen wir näher an unseren Kunden sein, wir müssen verstehen, was ihre Bedürfnisse sind, um sie besser bedienen zu können. Vor allem bei den E-Bikes sehen wir, dass es für die Kunden wichtig ist, einen Vor-Ort-Service zu haben und die Fahrräder testen zu können. Daher verfolgen wir unsere Offline-Strategie mit unseren unterschiedlichen globalen Partnern und in manchen Fällen auch unseren Stores – so wie in Koblenz oder jetzt auch in München. Hinzukommen weitere Canyon-eigene Standorte in Rotselaar (Belgien), Eindhoven (Niederlande), Madrid (Spanien) und Carlsbad (USA). Wir glauben, dass es in bestimmten Kategorien besser ist, die Kunden persönlich vor Ort zu bedienen. Den Store in München haben wir Mitte März eröffnet und bekommen super-positive Reaktionen von unseren Kunden.

E-Bikes will Canyon in Koblenz künftig in einem neuen Gebäude präsentieren. Im Mai starten die Arbeiten für einen neuen Store, "in dem unser Sortiment, vor allem aber auch unsere E-Bikes gezeigt werden", erklärt CEO Nicolas de Ros Wallace.
Canyon/Marco Freudenreich

Canyon hat auch mehr gemeinsame Events mit Kunden und der Radsport-Community angekündigt. Wollen Sie der Marke Canyon so zu einem noch besseren Image verhelfen?

Lassen Sie mich dazu zwei Beispiele nennen: Zum einen haben wir unsere Experience Partner, die Veranstaltungen auf die Beine stellen. Sie haben eine enge Verbindung zur Radfahrer-Community in ihren Städten. Sie veranstalten Events, um noch mehr Menschen aufs Rad zu bekommen. Zusätzlich dazu haben wir ein Programm, das von Messen über Radrennen bis hin zu Veranstaltungen an der Radfahrer-Basis reicht, die wir in den einzelnen Ländern machen. Damit werden wir weitermachen, wir investieren konstant. Es ist sehr wichtig für uns, dort präsent zu sein, wo die Radfahrer sind.

Ist es für die Kunden auch wichtig, eine Kontaktperson für Reparaturen am Fahrrad zu haben?

Ich würde sagen, nicht für jeden Kunden. Manche Kunden, die bereits erfahrener sind, brauchen keine Unterstützung. Ob Support gebraucht wird, hängt auch vom Fahrrad und von der jeweiligen Problemstellung ab. Es gibt Dinge, die leicht zu beheben sind, und andere, die schwieriger sind – je nach Thematik ist der persönliche Kontakt erforderlich oder nicht. Wenn Sie ein Fahrrad online bestellen, kann es zu einem unserer mehr als 350 autorisierten Service-Partner, einem unserer 15 Experience Partner, in einen Store oder zu Ihnen nach Hause geschickt werden. Ein Fahrrad zusammenzubauen, ist jedoch sehr einfach. Es kommt auf das ausgewählte Fahrrad und die eigenen Fertigkeiten an. Und wer es nicht zu Hause zusammenbauen will, kann es bei einem unserer Partner fertig montiert abholen.

In einer Canyon-Pressemitteilung ist auch die Rede davon, dass der vermehrte persönliche Kunden-Kontakt dazu beitragen soll, „digitale Kaufbarrieren“ zu minimieren. Könnten Sie näher erläutern, was damit gemeint ist?

Nehmen wir das Beispiel eines City-E-Bikes: Der Karton ist etwas größer als bei einem Rennrad, daher kann der Empfang des Rades zu Hause etwas komplexer sein. Das Rad bei einem unserer Partner vor Ort abzuholen, ist deutlich einfacher: Man bekommt das zusammengebaute Rad, der Partner erklärt die Funktionsweise – die aber auch nicht sonderlich komplex ist –, und das Fahrrad wird auf die eigene Körpergröße eingestellt. Das ist letztlich der Vorteil des persönlichen Kontakts. In manchen Bereichen oder Regionen sind Menschen es nicht gewohnt, teure Produkte online zu bestellen. Wenn man dagegen in die Niederlande, nach Deutschland, die nördlichen Länder oder die USA blickt, sind sie es mehr gewohnt. Solche Barrieren sind es, die wir versuchen abzubauen – auch beispielsweise, indem wir vor Ort noch mehr Hilfe bei Leasing- oder Finanzierungsfragen anbieten. Wir arbeiten kontinuierlich daran, Hürden für Kunden abzubauen.

Sie arbeiten seit mehr als drei Jahren als CEO für Canyon. Wie sah Ihr beruflicher Werdegang davor aus?

Zuvor habe ich elf Jahre lang für den amerikanischen Sportbekleidungshersteller Nike gearbeitet. Dort hatte ich verschiedene Positionen inne, vom Produkt-Merchandising bis zum digitalen Einzelhandel. Zudem war ich Hauptgeschäftsführer für das Segment Fußball für die südlichen Länder und auch Vizepräsident für die Nike-Marke Jordan für Europa, den Nahen Osten und Afrika. Davor habe ich 13 Jahre lang bei Inditex gearbeitet, für deren Modemarke Zara. Dort habe ich mich um den Bereich Schuhe und Taschen gekümmert. Zara hatte zu dieser Zeit 1400 Geschäfte weltweit, und wir starteten damals das Digital-Geschäft.

Von Bekleidung zu Fahrrädern, gibt es da Parallelen?

Ich denke, es gibt mehrere Parallelen. Canyon und Nike sind beides Sportmarken, beide sind sehr stark in ihrem Bereich, beide sind sehr kundenorientiert. Die Ähnlichkeiten mit Zara liegen mehr im Management eines Unternehmens aus der Daten-Perspektive heraus. Dabei geht es um die Schnelligkeit des Geschäfts, um alles Datenbasierte – darum, wie wir Entscheidungen treffen, um sicherzustellen, dass wir weiterhin an der Spitze bleiben. Also würde ich sagen, in der Modewelt zu arbeiten, ist nicht komplett anders als im Fahrrad-Business.

Rechnen Sie damit, dass 2025 ein gutes Geschäftsjahr für Canyon wird?

Für Canyon rechnen wir in diesem Jahr nicht mit großen Sprüngen. Wir sind im vergangenen Jahr kaum gewachsen – und rechnen auch in diesem Jahr nicht damit. Für die Fahrradindustrie wird es insgesamt ein herausforderndes Jahr werden. Das ist die Vorhersage des Branchenverbands, aber auch von anderen Schlüsselpartnern, die wir haben. Deshalb sind wir bei der Geschäftsplanung in diesem Jahr vorsichtig. Wir legen keinen übermäßigen Lagerbestand an und gewähren auf viele Produkte keinen Rabatt. Und man muss auch auf das wirtschaftliche Umfeld blicken, unter anderem auf die US-Zölle, das spielt ebenfalls eine Rolle. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern weltweit. Es führt dazu, dass Kunden bei ihren Ausgaben vorsichtiger sind – deshalb müssen wir auch unser Geschäft vorsichtig planen.

Das Rennrad Aeroad - ab Juli sollen auch Kunden in Europa sich das Rad über das Programm MyCanyon individuell zusammenstellen können.
Canyon/Mats Palinckx

Was werden die größten Projekte in diesem Jahr sein? Es soll einen Neubau in Koblenz geben.

Ja, wir arbeiten an einem neuen Gebäude. Die ersten Bauarbeiten beginnen jetzt im Mai. Eröffnet wird das Gebäude voraussichtlich im Frühjahr nächsten Jahres. Wir bauen den neuen Canyon Campus. Es handelt sich also nicht nur um ein Gebäude, sondern um ein ganzes Areal: mit Grünflächen und einem neuen großen mehrstöckigen Store, in dem unser Sortiment, vor allem aber auch unsere E-Bikes gezeigt werden.

Bislang haben wir einen großen Show-Room, in dem wir alle nicht-elektrischen Fahrräder präsentieren. Daneben haben wir noch einen kleinen Show-Room, ein temporäres Gebäude, um die E-Bikes auszustellen – auch für diesen Zweck bauen wir nun ein neues Gebäude. Wir investieren in unseren Campus in Koblenz. Für uns ist das wichtig, denn das Herz von Canyon ist in Koblenz. Canyon wurde in Koblenz gegründet, und wir wollen in Koblenz bleiben. Und wir sehen auch, dass viele Kunden nach Koblenz kommen, weil wir alle Fahrräder hier haben, die Leute sie testen und sogar am selben Tag mit nach Hause nehmen können. Deshalb wollen wir weiter hier investieren.

Wird es neue Arbeitsplätze in Koblenz geben?

Ja, es wird neue Stellenangebote geben. Wenn wir den neuen Store öffnen, werden wir mehr Personalbedarf haben.

Was wird neben der Standorterweiterung in Koblenz noch wichtig für die Canyon-Strategie sein?

Deutschland ist unser wichtigster Markt, in den wir weiter investieren. Wir glauben nach wie vor, dass es in Deutschland viele Chancen gibt. Das ist der Grund, warum wir den Store in München eröffnet haben, das ist der Grund, warum wir in einen weiteren in Koblenz investieren. Wir gehen von Deutschland in die Welt – wir werden dort, aber auch weltweit unsere lokale Präsenz ausweiten. Dazu haben wir unterschiedliche Konzepte, solche mit mehr Fokus auf Service und Reparatur oder solche mit mehr Fokus auf Marke, Produkterlebnis und Community. Zuletzt haben wir zum Beispiel neue Experience Partner in Berlin, London und Girona in Spanien hinzugewonnen.

Wir verkaufen Fahrräder in mehr als 70 Länder. Wir konzentrieren uns auf unsere Kern-Märkte in Europa, Asien und China sowie die USA. China ist ein komplett anderes Kunden-Land. Die Menschen kaufen dort ganz anders Produkte ein, als es die Europäer tun – dem passen wir uns an. Wir haben in Schanghai – nach den USA, wo es das Angebot schon seit Januar gibt – kürzlich die Individualisierung von Fahrrädern eingeführt. Kunden können mit MyCanyon ein Rad kaufen, dessen Elemente sie individuell zusammenstellen können: die Schaltgruppe beispielsweise, den Sattel, die Laufräder oder die Farbe. Im Moment geht das bei einem unserer Topmodelle, dem Rennrad Aeroad. Weitere Bikemodelle folgen. Und im Juli geht das MyCanyon-Programm vom Store in München aus mit einem großen Launch-Event im Rest der Welt an den Start, vor allem in Europa.

Das Gespräch führte Cordula Sailer-Röttgers

Unterschiedliche Canyon-Partner

Zu Canyons Offline-Strategie gehören unter anderem autorisierte Service Partner sowie Experience Partner. Das ist der Unterschied der beiden Vor-Ort-Angebote:

Autorisierte Service Partner sind Fahrrad-Werkstätten, die eine feste Kooperation mit Canyon eingehen. Für Canyon-Kunden sind sie Kontaktpunkte, wenn es um Service, Reparatur und Ersatzteile geht, erläutert das Unternehmen. Sie seien dazu enger an Canyon angebunden, erhielten etwa aktuelle Informationen und Ersatzteile.

Experience Partner legten den Fokus auf „Experience“, also das Markenerlebnis Canyon. „Hier werden – zusätzlich zum Service/Reparatur – auch Bikes ausgestellt, man kann sie probefahren und bekommt eine Kaufberatung“, erläutert Canyon.

Beide Konzepte ermöglichen laut Canyon die Nutzung des „Collect & Ride“-Services. Dabei wird das Bike online bestellt und der Canyon-Partner baut es für den Kunden auf, der es vor Ort abholen kann. red

Top-News aus der Region

Weitere regionale Nachrichten