Verschwörungsmythen sind nach Erkenntnissen des Mainzer Sozialpsychologen Roland Imhoff möglicherweise nur eine Rechtfertigung, um das zu tun, was man ohnehin tun wolle. Das könne die Anwendung von Gewalt sein oder auch nur, keine Maske zu tragen. Das sei aber nur eine der möglichen Ursachen dafür, dass Menschen in eine Verschwörungsideologie wie die der „Reichsbürger“ abgleiten, sagt Imhoff.
Wichtig als Motiv ist auch die „Suche nach Bedeutsamkeit“, sagt Imhoff. Demzufolge sind Verschwörungsgläubige und Radikale oft Menschen, die danach streben, jemand zu sein, der in den Augen anderer bedeutend ist. Es gebe einen leichten Zusammenhang mit narzisstischen Persönlichkeitszügen. Persönliche Erlebnisse des Scheiterns könnten dazu führen, per Verschwörungserzählung die Schuld dafür anderen zuzuweisen, erklärt der Sozialpsychologe: „Das kann zum Beispiel eine Herabstufung in der Lohnstufe oder ein Arbeitsplatzverlust sein.“
Wenn Verschwörer radikal werden
Am Mittwoch hatten Sicherheitskräfte eine Reihe verdächtiger Personen in ganz Deutschland festgenommen. Sie sollen aus der „Reichsbürger“-Szene kommen und einen gewaltsamen Umsturz geplant haben. Durchsuchungen gab es auch in Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland. Sie richteten sich laut Bundesanwaltschaft auch gegen weitere 27 Beschuldigte. „Reichsbürger“ glauben, dass die Bundesrepublik Deutschland kein legitimer Staat sei, sondern dass das Deutsche Reich fortbestehe.
Verschwörungsglaube sei zwar eine notwendige Bedingung, um sich zu radikalisieren, aber keine alleine ausreichende, so Imhoff. Leute wie die jüngst verhafteten Personen nach Razzien in ganz Deutschland seien unter Verschwörungsgläubigen nur eine Minderheit. Es gebe viel mehr Menschen in Deutschland, die für solche Erzählungen offen seien, die aber „nie weiter gehen, als mal auf einer Demo ohne Maske mitzulaufen“, sagte er.
Wie verbreitet Verschwörungsmythen mittlerweile auch in unserer Region sind, zeigt jedoch der Blick ins hessische Elz, direkt an der Grenze zu Rheinland-Pfalz: Dort sorgt eine geplante Reichsbürgerveranstaltung eines ehemaligen AfD-Politikers für Wirbel. In einem bei Querdenkern beliebten Café ist ein Vortrag über „indigene Volk Germaniten“ angekündigt – eine rechtsextreme Verschwörungsideologie.
Wie Umgehen mit der Verwandschaft?
Laut Imhoff gibt es zwei Möglichkeiten, wie man mit Verschwörungserzählungen von Verwandten an der Weihnachtstafel umgehen soll: „Wenn ich den Onkel, der sowas erzählt, eigentlich mag, dann lohnt es sich nicht, über Fakten zu streiten.“ Das werde ihn nicht überzeugen.
Besser sei es, „neugierig und wertschätzend nachzufragen, warum er glaubt, was er glaubt“, sagte der Sozialpsychologe. Dann könne man verstehen, was der Auslöser dafür sei. „Und manchmal fällt dem Onkel dann auch auf, dass seine Überzeugungen auf nicht ganz so festem Grund stehen.“
Die zweite Möglichkeit sei, dass das Verhältnis zum Onkel nicht im Vordergrund stehe. Dann solle man ihm durchaus widersprechen, rät Imhoff. Denn wenn Verschwörungsmythen unwidersprochen blieben, verschöben sich Normen, was man behaupten dürfe.
Hintergrund: Der Experte
Roland Imhoff ist seit 2015 Inhaber der Professur Sozial- und Rechtspsychologie an der Gutenberg-Universität Mainz. Zuvor war er Junioprofessor in Köln und Forscher in Bonn. Zuletzt beschäftigte er sich unter anderem mit einer Analyse von Online-Artikeln in Bezug auf Verschwörungs-Erklärungen („How Do Conspiratorial Explanations Differ from Non-Conspiratorial Explanations? A Content Analysis of Real-World Online Articles”).