Rheinland-Pfalz
„Nah bei de Leut“ – aber fern von fehlerfrei: Kurt Beck wird 75
Ehemaliger Ministerpräsident Kurt Beck
Kurt Beck (SPD), ehemaliger rheinland-pfälzischer Ministerpräsident und SPD-Bundesvorsitzender, gestikuliert während eines Gesprächs in seinem Büro.
Uwe Anspach. Uwe Anspach/dpa

Als Kurt Beck noch regierte, wurde mit wachsenden Amtsjahren süffisant gern darüber spekuliert, ob er denn schon jeder und jedem im Land die Hand geschüttelt hat. Am Montag kann er wieder viele Hände schütteln – die von Freunden und Weggefährten, die ihm im heimatlichen Steinfeld (Landkreis Südliche Weinstraße) zu seinem 75. Geburtstag gratulieren. Eine Würdigung.

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Ehemaliger Ministerpräsident Kurt Beck
Kurt Beck (SPD), ehemaliger rheinland-pfälzischer Ministerpräsident und SPD-Bundesvorsitzender, gestikuliert während eines Gesprächs in seinem Büro.
Uwe Anspach. Uwe Anspach/dpa

„Nah bei de Leut“ sein, war stets sein bodenständiges Motto. Und nach manchem Gespräch im Bürgerbüro oder vor Ort verteilte er „kleine grüne Zettel“ mit Aufgaben, die seine Genossen im Kabinett zu erledigen hatten, wie sich der SPD-Landesvorsitzende und Ex-Innenminister Roger Lewentz erinnert. Dieses Netzwerken zahlte sich für den Pfälzer aus, der als Sozialdemokrat in einem strukturkonservativen Land immerhin gut 18 Jahre lang als Ministerpräsident an der Macht war.

Seine Heimat nah der französischen Grenze prägte den Vollblutpolitiker, der aus der Gewerkschaftsarbeit 1979 in den Landtag zog. Steinfeld samt Becks Hausbau in Eigenleistung erklärt, warum der Maurersohn aus der Südpfalz die Rente mit 67 ohne Ausnahmen ablehnte, sich für den Dom in Speyer engagiert, den Westwall als Mahnmal schützen will oder so vehement für seine Bildungspolitik stritt. Er, der die Mittlere Reife an der Abendschule machte, wollte, dass Lernen von der Kita bis zum Studium gratis ist. Lange galt Beck auch als Chef, der in der Machtzentrale sparsam das Licht ausknipste. Aber am Ende wurde der eingefleischte FCK-Fan auch als Politiker bekannt, der Millionen in (erfolglose) Prestigeprojekte pumpte – etwa am legendären Nürburgring, der nach der Pleite in russische Hand kam.

Schnell Respekt verschafft

Dass sich der gelernte Elektromechaniker und Ortsbürgermeister ganz nach oben schrauben würde, überraschte anfangs auch Genossen. Doch der Gewinner des Machtwechsels im Land, Rudolf Scharping, war von Becks Qualitäten überzeugt. Er machte den damaligen Fraktionschef 1993 zum Chef der Landes-SPD und 1994 zu seinem Nachfolger in der Staatskanzlei. Dabei wurde der Pfälzer vorher eher im Schatten des Lahnsteiners Scharping wahrgenommen. Doch er verschaffte sich schnell Respekt. Trotz anfangs lauter Proteste verkleinerte er das Kabinett, in dem Frauen wie Winzer eigene Ministerien verloren und der Einfluss von Koalitionspartner Rainer Brüderle (FDP) mit zusätzlicher Zuständigkeit für Bauern und Winzer wuchs.

Kabinett Rheinland-Pfalz 1994
Der neue rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (M) stellt nach seiner Vereidigung am 26.10.1994 in Mainz sein Kabinett vor.
Oliver Berg. picture alliance / dpa/Oliver Be

1996 musste Beck noch zittern. Der SPD-Sieg von 1991 stand auf der Kippe. Aber die FDP machte keine Rolle rückwärts zur CDU, mit der sie auch wieder hätte regieren können. Sie pokerte lieber sozialliberal um größeren Einfluss. Die Folge: Die CDU ist bis heute in der Opposition.

Kümmerer vor Ort

Diese Chance nutzte Beck – als jovialer Kümmerer vor Ort und mit geräuschlosem Regieren. Strittiges räumten die Spitzen von SPD und FDP beim deftigen Frühstück vor Kabinettssitzungen ab. Justizminister Herbert Mertin (FDP) erinnert sich an Becks Gabe, Brücken zu bauen und eine angespannte Stimmung aufzulockern – „auch mal mit einem Witz“. War ein Streit vom Tisch, habe man gemeinsam ein Glas Wein getrunken. Die Kunst, in Konflikten alle Beteiligten an einen Tisch zu holen, „beherrschte er meisterhaft“, lobt Nachfolgerin Malu Dreyer.

Mainz bleibet Mainz - Beck Brüderle
Beck mit Gattin Roswita und Rainer Brüderle bei "Mainz bleibt Mainz" im Jahr 1998
Katja Lenz. picture-alliance / dpa/Katja Len

Der Pfälzer konnte im Land punkten, zumal die Konversion nach enormem Kaufkraft- und Stellenverlust wegen des Abzugs von US-Truppen und der Aufgabe Hunderter militärischer Liegenschaften auch mit dem Aufbau neuer Fachhochschulen gut anlief. Das gab bei der Wahl 2001 Auftrieb. Seinen Triumph feierte Beck 2006 mit 45,6 Prozent, was im Landtag ohne Grüne zur absoluten Mehrheit führte. Nur merkwürdig: Nicht alle Spitzengenossen strahlten siegestrunken. Einige wollten gar weiter mit der FDP regieren. Ahnte man, dass auf einem Gipfel auch politisch der Abstieg stets nah ist? Das ungute Gefühl sollte nicht trügen, obwohl die Erfolgswelle Beck 2006 zunächst bis zur Spitze der Bundes-SPD trug.

Schmach am Schwielowsee

Doch in Berlin hatte er kaum Vertraute, aber viele Kritiker um sich, die Angriffsflächen auskosteten. So endete diese Karriere im September 2008 jäh am Schwielowsee (Brandenburg). Früh sickerte da durch, dass Frank-Walter Steinmeier Kanzlerkandidat werden soll. Der musste sich selbst dazu erklären. Denn Beck, der die Indiskretionen als Putsch gegen seine Autorität empfand, hatte hektisch die Klausur verlassen. Er flüchtete, von der Berliner „Wolfsrudel-Mentalität“ tief verletzt, nach Mainz, wo er gleich mit 99,5 Prozent wieder zum gefeierten Landeschef gewählt wurde. Hier hatte der Pfälzer das Heft des Handelns wieder ganz in der Hand.

Vor einem Jahr - Kurt Beck tritt als SPD-Chef zurück
Durch den Hintereingang kommt der SPD-Vorsitzende Kurt Beck in Werder zur SPD-Klausurtagung; später bestätigte Vizekanzler Steinmeier den Rücktritt von Beck (Archivfoto vom 07.09.2008). Tief gedemütigt warf Beck als SPD-Chef nach 90-stündigem Politthriller das Handtuch und verzichtete auf das Amt an der Spitze der ältesten deutschen Partei.
Peer Grimm. picture-alliance/ dpa/Peer Grimm

Aber auch seine Landespolitik, bis 2006 skandalfrei, war eine andere geworden. Beck hatte sein inneres Frühwarnsystem und sein FDP-Korrektiv mit der absoluten Mehrheit verloren: Auf dem Flughafen Hahn ließ er die Fraport AG, die bisher das Defizit getragen hatte, ohne großen Widerstand ziehen. Sein vermeintlicher Finanzguru Ingolf Deubel brachte den mehr als 300 Millionen schweren Ausbau des Nürburgrings auf einen für den Steuerzahler teuren Schleuderkurs und sich selbst später sogar ins Gefängnis. Gleichzeitig legte sich Beck heftig mit der Justiz an – mit einer vom Bundesverwaltungsgericht verurteilten rechtswidrigen Personalpolitik am Oberlandesgericht Koblenz. Die bittere Quittung nach Affären: Die SPD sackte 2011 auf 35,7 Prozent ab, musste mit den Grünen (15,4 Prozent) regieren.

Auch schon mal ein Wutanfall

Der im Bundesrat als „wandelnder Vermittlungsausschuss“ geschätzte Beck zeigte sich seit 2006 auch immer dünnhäutiger. Als „Buddha mit Zündschnur“, wie man ihn eher nur hinter SPD-Kulissen kannte, war er plötzlich auch auf der Straße vor Kameras laut. So brüllte er einem Studenten bei der Einheitsfeier in München beim Zuruf zum Nürburgring-Desaster zu: „Können Sie mal das Maul halten, einen Moment einfach das Maul halten, wenn ich ein Interview mache?“ Legendär ist auch das harsche Kontra zu einem Arbeitslosen: „Wenn Sie sich waschen und rasieren, haben Sie in drei Wochen einen Job.“ Auch dies gehörte zu seinem Typus als Politiker.

Henrico Frank
Der Arbeitsuchende Henrico Frank gibt auf einer Bücke in Wiesbaden ein Fernsehinterview. Ministerpräsident Kurt Beck hatte dem Langzeitarbeitslosen Frank (37) vorgeschlagen, sich zu waschen und zu rasieren, um seine Arbeitsmarkt-Chancen zu verbessern. Dies hatte eine bundesweite Debatte ausgelöst.
Uwe Anspach. picture-alliance/ dpa/Uwe Anspac

Als Beck 2011 lieber das Oberlandesgericht Koblenz auflösen wollte statt einen ihm nicht genehmen Präsidenten zu akzeptieren, verstanden ihn auch viele Genossen nicht mehr. Sie organisierten Widerstand – auch auf der Straße. Bundesweit schlug Beck wieder Häme entgegen – über den „Aufstand in König Kurts Reich“. Beck musste gesichtswahrend den Ausweg über eine Kommission suchen, die das OLG gerettet hat.

Den Abgang selbst gesteuert

Aber am Ende gelang Beck doch, was nicht allen Politikern möglich ist: Selbstbestimmt gab er als damals Deutschlands dienstältester Ministerpräsident sein Amt im Januar 2013 ab – mit dem Coup, Malu Dreyer zur Nachfolgerin zu erklären. Lewentz war zuvor SPD-Landeschef geworden. Beck übernahm die Ebert-Stiftung und als Beauftragter der Bundesregierung für die Opfer des Attentats vom Berliner Breitscheidplatz noch einmal eine bundesweit beachtete Aufgabe, die Spuren hinterließ.

Für Nachfolgerin Dreyer ist Beck „als Mensch und Politiker ein großes Vorbild“ – wohl auch in der Medienpolitik, die er fast zwei Jahrzehnte entscheidend mitgeprägt habe – an der Spitze der Rundfunkkommission der Länder und des ZDF-Verwaltungsrats.

Becks Tierliebe war schon bei Urlauben in Cochem zu beobachten, wenn er mit dem Hund der Wirtsleute unterwegs war. Da wundert es nicht, dass er beim Geburtstag um Spenden für den Tierschutz bittet, der in seiner Amtszeit auch in der Verfassung verankert wurde. Der Pfälzer kann zu seinem 75. wahrlich auf viele Höhen und Tiefen zurückblicken.

Kurt und Roswitha Beck
Seine Frau Roswitha küsst Kurt Beck am 05.08.2008 im Gästehaus der Landeregierung in Mainz.
Boris Roessler. dpa/Boris Roessler

„Ich hätte mir nicht mehr vorstellen können, dass unsere Demokratie so massiv gefährdet sein könnte“

Wie blickt der frühere Ministerpräsident Kurt Beck zurück – zufrieden? „Ja. Aber ohne jede Entscheidung verteidigen zu wollen“, meint er in seinem Arbeitszimmer in Steinfeld. Er berichtet, wie er zur SPD stieß. „Ein Grund war eine Ausgrenzungserfahrung.“ Er habe wegen einer schweren Hauterkrankung nicht Messdiener werden dürfen. „Diese Ungerechtigkeit hat mich geprägt.“ Es gebe auch heute viel Ungleichheit, sagt Beck. „Es wäre Aufgabe der SPD, das anzuprangern. Aber nicht bloß einfach dagegen sein, sondern mit konkreten Schritten, wie man diese Herausforderungen in Hoffnungen umwandeln kann.“

In der heutigen Bundes-SPD sehe er durchaus Bemühungen. „Aber wir dringen nicht ausreichend durch.“ Wie schaut er überhaupt auf die Bundespolitik? „Leider spielt die Bundesregierung derzeit keine besonders überzeugende Rolle“, sagt Beck. Zwar habe die Ampel einiges erreicht. „Aber die Performance ist verbesserungswürdig.“

Sorgen bereiten ihm die Umfragewerte der AfD. „Ich hätte mir nicht mehr vorstellen können, dass unsere Demokratie so massiv gefährdet sein könnte. Es ist besorgniserregend, dass vielen egal zu sein scheint, was sich um die AfD abspielt. Dagegen müssen wir uns mit aller Kraft stemmen“, betont Beck. Viele wollten zwar keinen Rechtsruck, „aber schließen es nicht konsequent aus. Vor 100 Jahren führte das zur Katastrophe.“

Auch außenpolitisch sieht der frühere SPD-Chef eine gefährliche Lage. „Ich war nie Pazifist. Ich war immer der Meinung, dass sich eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft wehrhaft zeigen muss.“ So müsse Deutschland der Ukraine natürlich bei ihrem Abwehrkampf gegen Russland helfen. „Aber mit Bedacht und nicht mit Hurra.“ Er unterstütze die vorsichtige Linie von Kanzler Olaf Scholz (SPD). Als Regierungschef habe er Fehler gemacht, etwa die Nürburgring-Pleite. „Das hätte man besser wissen sollen“, sagt Beck. „Es waren die falschen Partner, und die Wirtschaftsprognosen, die mir vorgelegt wurden, haben nicht getragen.“

Zur Entspannung greift er zu Musik, etwa von Georg Kreisler. „Oder ich setze mich in ein Orgelkonzert im Speyerer Dom“, sagt Beck, der früher Klarinette im Musikverein von Steinfeld gespielt hat. Wie ist er noch politisch unterwegs? „Mit 75 sollte man sich nicht mehr überall einmischen wollen. Vom Wegesrand aus rufen“, sagt Kurt Beck, „ist mir zu blöd.“ Wolfgang Jung (dpa)

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