Weitefeld (dpa/lrs) – Die vergangenen vier Monate haben bei den Menschen in und um Weitefeld im Westerwald Spuren hinterlassen. Ein Dreifachmörder, der eine Familie brutal getötet hat und von dem wochenlang jede Spur fehlt, hat den beschaulichen Ort in einen Ausnahmezustand versetzt. Jetzt steht fest: Der Mann ist tot. Doch die Aufarbeitung hat gerade erst begonnen.
Viele Fragen rund um die Tat vom April sind nach wie vor offen und werden vermutlich nie beantwortet werden können. Was heißt das für die Menschen, die rund um den Tatort leben, arbeiten und wohnen?
Kann jetzt etwas Ruhe einkehren?
«Ich denke schon, dass der Fund der Leiche und vor allem ein eindeutiger Nachweis der Täterschaft eher beruhigend wirken und Ängste im Ort und in der Umgebung reduzieren können», sagt Ulrich Wagner, Professor im Ruhestand für Sozialpsychologie. «Auch kann man vermuten, dass ein eindeutiger Nachweis einer Täterschaft bei Angehörigen der Mordopfer etwas Ruhe einkehren lässt.» Voraussetzung sei jedoch, dass es nicht noch zu neuen Erkenntnissen komme.
Frühere Aussagen von Ermittlern deuten darauf hin, dass der Tat eine zufällige Begegnung zwischen Täter und einem der Opfer vorausging. Würde sich das bestätigen, würde das vermutlich zu gesteigerten Ängsten vor Fremden führen, erklärt Wagner. Denn Gewalttaten, auch Messerattacken, gingen oft nicht von Fremden aus, sondern seien Folge von Konflikt-Eskalationen in Familien.
Hätte es auch andere treffen können?
Menschen wollten von Natur aus wissen, warum etwas passiert sei, sagt Sebastian Sobota von der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden. Das gelte vor allem für auf den ersten Blick «sinnlose» Ereignisse oder schwere Straftaten. «Speziell für Angehörige ist es häufig ein besonderes Bedürfnis zu erfahren, wie es zu der Tat gekommen ist.» Das könne aber nicht immer restlos aufgeklärt werden, wie im Fall Weitefeld, wenn der Täter tot sei oder auch wenn ein Täter schweige.
«Im Fall von Weitefeld dürfte hinzukommen, dass sich manche Bewohner fragen, ob es genauso gut sie selbst hätte treffen können», sagt Sobota. Ungewissheit könne beunruhigen, und die Geschehnisse wären womöglich leichter zu verarbeiten, wenn bekannt wäre, wie es zu dem Mehrfachmord gekommen sei. «Zwingend ist das aber nicht, denn wer weiß, ob die wahren Hintergründe nicht ebenfalls furchteinflößend sind.»
Gefunden worden war die Leiche des Täters am Dienstagnachmittag und damit vier Monate nach dem Dreifachmord. Dann dauerte es noch knapp zwei Tage, bis die Obduktion des in der Nähe von Weitefeld von einem Bürger entdeckten Leichnams in der Rechtsmedizin Mainz Klarheit brachte.
Ein anderes Leben: Keine Feiern an der Hütte, keine Kita-Ausflüge
Ortsbürgermeister Karl-Heinz Keßler (parteilos) kennt die Fundstelle sehr gut, seit seiner Geburt lebt er in Weitefeld. Und er weiß nur zu gut, wie angespannt die Stimmung in den vergangenen Monaten voller Ungewissheit in dem Ort war und was für Folgen das hatte. Die Kita habe die Waldwochen ausfallen lassen, Eltern hätten ihre Kinder in die Grundschule im Wald gefahren, an der Grillhütte sei nicht gefeiert worden, Sporttraining sei ausgefallen.
«Ja, es war schon extrem», berichtet Keßler. Positiv sei bei all dem gewesen, dass die christlichen Einrichtungen zusammengearbeitet und etwa eine gemeinsame Gedenkfeier auf die Beine gestellt hätten.
Auch der Erste Beigeordnete der Verbandsgemeinde Daaden-Herdorf, Dirk Eickhoff (CDU), spricht von schwierigen zurückliegenden Monaten. «Es war wirklich ein Wechselbad der Gefühle die letzten vier Monate», erzählt Eickhoff – «zwischen ein bisschen Erleichterung, bisschen Normalität und wieder zurück auf den Boden der Tatsachen».
Tatsache ist nun also, dass der Täter nicht mehr frei herumläuft. Der rheinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling spricht von Gewissheit in einem tragischen Fall. Der SPD-Politiker hofft darauf, dass das Sicherheitsgefühl der Menschen in dem Ort und der Region möglichst schnell zurückkehre.
Wie gehen die Polizistinnen und Polizisten mit dem Erlebten um?
Und was macht so ein Fall mit den Polizistinnen und Polizisten, die in den vergangenen Wochen in Weitefeld und auf den Feldern drumherum ermittelt haben? «Wir haben hier einen Täter gehabt, wo man bis heute nicht weiß, was die eigentliche Motivation war», erklärt Christian Soulier, Vorsitzender des Landesverbandes des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.
«Das heißt, man hat die Frage: Was macht der Täter vielleicht noch? Begeht der möglicherweise weitere Taten? Wie schnell können wir dem habhaft werden?», fragt Soulier. «Besteht für die Bevölkerung in der Umgebung eine Gefahr?» Hinzu komme auch die Frage, wie man sich als Polizist oder Polizistin selbst schütze.
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Mordkommission oder der Kriminaltechnik seien abgehärteter, weil sie öfter mit Leichen und Gewalttaten konfrontiert seien, sagt Soulier, der selbst mehr 15 Jahre in einer Mordkommission gearbeitet hat. «Problematischer ist es natürlich für Bereiche, die wenig damit zu tun haben. Wenn die jetzt in einen Tatort kommen, als Erstkräfte, die gerufen werden.» In der Polizei selbst gebe es Hilfsangebote, um das Erlebte zu verarbeiten.
Sebastian Sobota von der Kriminologischen Zentralstelle sagt ganz grundsätzlich, Einzelfälle dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass schwere Gewalt in Deutschland langfristig zurückgehe und sich im internationalen Vergleich auf einem relativ niedrigen Niveau bewege. «Wir leben in einem sehr sicheren Land.»
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