Die Regierungschefin hatte zur Demonstration am 18. Januar über das offizielle Internetportal der Staatskanzlei aufgerufen und danach dort wie in sozialen Netzwerken auch kommentiert. Dem Aufruf vorausgegangen war der Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv über ein Geheimtreffen in Potsdam, bei dem Rechtsextreme über Remigration diskutierten.
„Überlebensfrage der Demokratie“
Dreyer nahm mit Kabinettsmitgliedern an der Kundgebung in Mainz teil und sprach auch vor den Demonstranten. Auf der Homepage der Staatskanzlei war beispielsweise zu lesen: Die aktuell öffentlich gewordenen Vertreibungspläne seien ein erschreckender Höhepunkt des rechtsextremen Gedankenguts, das auch führende Köpfe der AfD verbreiteten. „Rechtsextremisten bedrohen unsere Demokratie“, erklärte Dreyer wörtlich. Dabei betonte sie, auch Mitglieder der AfD Rheinland-Pfalz seien in rechtsradikalen Zusammenhängen unterwegs. „Das alles zeigt: Auch in Rheinland-Pfalz geht es nicht um Geschmacksfragen oder politische Moral. Hier geht es um eine Überlebensfrage der Demokratie.“
Die AfD hatte danach Dreyer sofort vorgeworfen, dass sie als Ministerpräsidentin gegen ihre Verpflichtung zu parteipolitischer Neutralität verstoßen habe. Die Partei hatte im Januar auch bereits mit Klage gedroht, falls die Äußerungen auf der Webseite nicht gelöscht und eine Unterlassungserklärung bis zum 12. Februar abgegeben werde. Damals erklärte die Staatskanzlei, dass aus ihrer Sicht Dreyers Äußerungen nicht gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. „Wir sehen daher keine Notwendigkeit für weitergehende Stellungnahmen zu Aufforderungen der AfD“, erklärte Regierungssprecherin Andrea Bähner damals.
Klage ging am 28. Mai ein
Danach herrschte langes Stillschweigen, bis nun die Organklage der AfD beim VGH mit Hinweis auf die Aussagen rund um die Demo am 28. Mai einging – kurz vor der Europawahl. Dabei ist der Wahlkampf der AfD von Skandalen beispielsweise um den Spitzenkandidaten Maximilian Krah, der Schmiergelder aus Russland angenommen haben soll, sowie gerichtlichen Niederlagen geprägt. Krah zog sich aus dem Bundesvorstand zurück. Auch ein Auftrittsverbot wurde verhängt.
Der Mainzer Staatsrechtler Friedhelm Hufen, früher auch Mitglied im VGH, hat es als problematisch bezeichnet, dass Dreyer das Portal der Landesregierung für Kritik an der AfD genutzt habe. Es gehe dabei um die Chancengleichheit der politischen Parteien, gibt Hufen zu Bedenken.
Funktion als Amtsträgerin
Dreyer, selbst Juristin, könne als Parteipolitikerin, wenn sie dies ausdrücklich betone, natürlich klar Stellung beziehen. Aber in der Funktion als herausgehobene Amtsträgerin müsse sie und andere auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene grundsätzlich darauf achten, dass sie ihr Amt nicht einsetzten, um den politischen Wettbewerb zu verzerren: Deshalb dürften Amtsträger, „wenn das bei einer Partei wie der AfD auch schwerfällt, nicht die Möglichkeiten und Mittel des Ministeriums, der Staatskanzlei oder der Stadt benutzen, um die Chancen des Gegners zu beeinträchtigen“.Hufen sieht sich damit, wie er unserer Zeitung sagt, auf der Linie des Bundesverfassungsgerichts. Das hat die Neutralitätspflicht in anderen Streitfällen mit der AfD streng ausgelegt, auch in einer Auseinandersetzung mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
2014 war die NPD mit einer Klage gegen Dreyer vor dem Verfassungsgerichtshof gescheitert. Sie hatte damals auf einer SPD-Veranstaltung im Trierer Kommunalwahlkampf gesagt, dass „alles daran gesetzt werden (muss), um den Wiedereinzug der rechtsextremen NPD im Stadtrat zu verhindern“. Die Richter kamen zum Schluss, dass sie als Bürgerin die Meinung äußern durfte. Das Internetportal spielte noch keine Rolle. Wann die Koblenzer Verfassungsrichter über die Klage der AfD entscheiden, ist völlig offen. Zunächst laufen in der Regel monatelange Fristen zur Stellungnahme.