Eine Straße kaufen – das kennt man eigentlich nur von „Monopoly“. Und ein wenig wie bei dem Brettspielklassiker fühlt sich auch Günther Clemens. „Das ist fast schon unmoralisch. Wir sind doch nicht in der Schlossallee“, empört sich der 59-Jährige.
Clemens bewohnt in der pfälzischen Stadt Zweibrücken eines von 14 Häusern in einer Abzweigung der Siebenpfeifferstraße. Der gebogene Seitenweg gilt als ruhige Gegend. Vor wenigen Wochen liegt überraschend ein Schreiben in den Briefkästen: Ein Geschäftsmann teilt den perplexen Anwohnern mit, bei einer Auktion den Straßenteil ersteigert zu haben. Nun biete er diesen den Anliegern zum Kauf an, damit sie ihn weiter nutzen können. Sonst sehe er sich gezwungen, die Straße zu sperren. Damit beginnt ein Streit, der bis heute andauert.
Die Geschichte des etwa 100 Meter langen Teilstücks ist verworren. Eine heute nicht mehr existierende Baufirma hatte Anfang der 1990er Jahre die Erschließungsstraße und die Wohnhäuser errichtet. Eine Übernahme der nach dem Freiheitskämpfer Philipp Jakob Siebenpfeiffer benannten Straße schlägt die Stadt bis heute aus – aus Furcht vor Folgekosten wie etwa durch eine Kanalsanierung. Bereits jetzt gilt Zweibrücken als eine der am höchsten verschuldeten Städte in ganz Deutschland.
Ein „Fehler im System“?
Warum ersteigerte der Unternehmer Yildirim Sevindik aus Rheinböllen das Teilstück für 2500 Euro? „Die Frage ist eher, warum eine Straße verkauft wird“, sagt sein Bruder Aziz. Die Sevindiks hätten mit dem Kauf auf einen „Fehler im System“ hinweisen wollen. „Gedanken über einen möglichen Verkaufspreis hatten wir uns keine gemacht.“
Anfangs nennt Sevindik keine Summe, für die er die Straße abgeben würde. Als ihn türkische Medien fragen, nennt er „mindestens 300 000 Euro“. In Zweibrücken löst das Empörung aus. „Hätte man über 10 000 Euro oder 20 000 Euro geredet, okay. Aber 300 000 ist jenseits von Gut und Böse“, sagt Clemens. Im Grunde wolle der Eigentümer eine Straße loswerden, die er nicht brauche. „Von uns wird er aber kein Angebot in der geforderten Höhe bekommen“, sagt der Schulleiter.
Die Stadt will sich aus dem Zwist weitgehend heraushalten und höchstens vermitteln – falls man sie darum bitte. Es handele sich um einen „privatrechtlichen Streit“, betont ein Sprecher. Einzige Ausnahme: „wenn gegen bauordnungsrechtliche Vorgaben verstoßen wird“. Sollte der Besitzer die Straße tatsächlich abriegeln, werde die Stadt die Barrieren abbauen, kündigt er an. „Die Anwohnenden haben in der Baulast ein Zufahrtsrecht zu ihren Grundstücken eingetragen.“
Diese Sicht stößt wiederum in Rheinböllen auf Kopfschütteln. „Es gibt in der Siebenpfeifferstraße keine eingetragenen Wege- oder Durchfahrtsrechte“, meint Aziz Sevindik. „Mich würde interessieren, wie die Anwohner sich verhalten würden, wenn man ihre Stellplätze kostenlos nutzen wollte und ihnen mitteilen würde, dass sie es zu dulden hätten.“ Überhaupt fühle man sich falsch verstanden. Man wolle mit dem Verkauf nichts verdienen. „Der gesamte Erlös wird an Erdbebenopfer und krebskranke Kinder gespendet“, sagt Sevindik.
Man überlege nun, das Teilstück einseitig zu sperren. „Die andere Fahrbahn dient dann als Zufahrt. Und dann würde ich gerne sehen, was die Verwaltung alles macht und was ich nicht darf.“
Das erste Schreiben mit der Androhung einer Sperrung hat mich verunsichert, jetzt aber gehe ich gelassen damit um.
Anwohner Günther Clemens
Clemens betont, die Anlieger der Siebenpfeifferstraße 23 bis 43 würden sich davon nicht einschüchtern lassen. „Das erste Schreiben mit der Androhung einer Sperrung hat mich verunsichert, jetzt aber gehe ich gelassen damit um.“ Es wäre wichtig, ins Gespräch zu kommen, meint er. „Wir müssen schauen, wie man die Patt-Situation auflöst.“
Plötzlich ergibt sich vor wenigen Tagen die Gelegenheit dazu. Aziz und Yildirim Sevindik kommen mit ihrem Bruder Yilmaz unerwartet aus dem Hunsrück in die Siebenpfeifferstraße. Es entwickelt sich ein Gespräch mit Anwohnern. Darin beklagen die Brüder unter anderem, als Erpresser hingestellt zu werden. Dabei habe man nur eine Straße gekauft, die jeder hätte ersteigern können. Zu einer Annäherung kommt es nicht. Das Gespräch ist freundlich im Ton, aber hart in der Sache.
„Wir haben nichts Ungesetzliches getan“, sagt Aziz Sevindik am Ende. Mittlerweile hätten viele seiner Bekannten ihr Interesse an der Straße bekundet. Möglicherweise verkaufe er sie ja quadratmeterweise.